Becker, Martin: Marschmusik

Verlag: Luchterhand
erschienen:
2017
Seiten:
288
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3630875106

Klappentext:

In den frühen Sechzigern lernen sich die Eltern des jungen Mannes kennen: Sie ist Näherin, er ist Kohlenhauer. Viele Jahrzehnte später will der erwachsene Sohn endlich Licht ins Dunkel der eigenen Familiengeschichte bringen: Wie hat die Familie gelebt inmitten von Zechentürmen, Taubenschlägen und Schrebergärten? Und was ist eigentlich noch übrig vom bescheidenen Reihenhaus, das dem erwachsenen Sohn doch früher vorkam wie ein Palast? Wie lange wird seine Mutter noch rauchend im Sessel sitzen und sich an den verstorbenen Vater erinnern? Und was bleibt, wenn es das alles wirklich bald nicht mehr gibt?

Rezension:

Martin Beckers neuer Roman beschäftigt sich mit einem Stück deutscher Geschichte, die immer noch zugegen ist, aber langsam in Vergessenheit gerät. Ich selber bin ein Kind des Ruhrgebiets. Geboren in Dortmund, immer noch dort lebend und vermutlich, wird man mich hier auch – in einer hoffentlich ganz fernen Zukunft – verbuddeln. Obwohl in meiner Familie niemand unter Tage gearbeitet hat, kenne ich das Milieu und konnte mich daher besonders gut in Handlung und Figuren hinein versetzen.

Der Ich-Erzähler und Sohn der Familie erzählt mit leisen Worten die Geschichte seiner Familie, die sich durch viele Zeitsprünge erst langsam entblättert. Dabei hat Martin Beckers Sprachstil einen eigenen Rhythmus. Schnörkellos, aber dennoch offensichtlich liebevoll, erzählt er von den Sorgen und Nöten einer typischen Arbeiterfamilie, deren Leben aus wenig Abwechslung und dafür umso mehr harter Maloche besteht. Mutti näht Kleidung aus dem Versandhauskatalog um und Vati verbringt einen Großteil seines Lebens unter der Erde und baut Kohle ab. Wenig Träume hat das Ehepaar. Ein Reihenhaus leisten sie sich, welches für die Kinder wie der Himmel wirkt und heute nur noch ein enger von Zigarettenqualm benebelter Ort der Traurigkeit ist.

Es klingt trübsinnig und doch ist es das irgendwie nicht. Vielmehr umweht den Roman besonders in der gegenwärtigen Zeitebene ein Hauch von Melancholie. Der Vater tot, die Mutter schwer krank und mit so wenig zufrieden in ihren abgenutzten vier Wänden und dem ebenfalls abgenutzten Ort, der langsam vor sich hin stirbt. Verstehen kann man den Protagonisten, dass ihn die Besuche Überwindung kosten, auch wenn sich mir bis zum Ende nicht ganz erschlossen hat, wieso ihn sowohl der Ort (das fiktive Mündendorf), als auch das Elternhaus so beunruhigen. Es wird immer wieder eine gewisse Panik angedeutet, die sich mir nicht endgültig erschlossen hat.

In Rückblenden wird nicht nur die Geschichte der Eltern erzählt, sondern auch die Kindheit des Protagonisten, der als Jugendlicher anfängt sich für das Posaunenspiel zu begeistern und von einer großen Weltkarriere träumt, obwohl er gar nicht das Talent dazu hat. Ein ziemlich krasser Gegensatz wenn man es mit dem Leben der Eltern vergleicht, für die eine Kutschfahrt durch Wien der größte Traum ist. Vielleicht rühren daraus die Ängste des jungen Mannes. Er ist an seinen Träumen gescheitert und die Erinnerungen daran sind schmerzhaft.

Spannung gibt es in „Marschmusik“ nicht wirklich. Auch keinen richtigen Anfang oder ein richtiges Ende. Es ist das Erzählen eines Alltags, der uns heute so fremd erscheint, dass man sich kaum vorstellen kann, dass ganze Generationen so gelebt haben. War der Vater Bergmann, wurde es der Sohn eben auch. Der Protagonist ist nur ein paar Jahrzehnte davon entfernt, scheitert an seinen Karriereträumen und lebt längst in der Stadt, fernab von Erinnerungen.

Das Ganze ist dabei so vortrefflich beschrieben und voller Traurigkeit, Humor, feinem Gespür für kleine Dinge, dass ich das Buch am Ende wehmütig zugeklappt habe. Ein bisschen war es wie der vorgezogene Abschied einer Welt, die auch tatsächlich bald untergehen wird. Schon bald wird es keine Zechen mehr geben.

Einen kleinen Einblick in das Buch bekommt ihr in der knapp 5minütigen Lesung vom Autor auf dem youtube Kanal der Verlagsgruppe:

Note: 2

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