Reich, Stephan: Wenn’s brennt

Verlag: DVA
erschienen:
2016
Seiten:
240
Ausgabe:
Klappenbroschur
ISBN:
3421046980

Klappentext:

Sommer in der Provinz. Seit Kindheitstagen sind Erik und Finn beste Freunde, aber nach den Ferien werden sich ihre Wege trennen: Während Erik eine Lehre bei seinem Vater auf dem Postamt beginnt, muss Finn die Schule wechseln und nach Hamburg ziehen. Jetzt bleiben den beiden sechs Wochen, in denen sie es noch einmal so richtig krachen lassen wollen – doch je näher der Abschied, desto düsterer die Stimmung. Die Partys werden zu Saufgelagen, Streiche zu Straftaten, und das Gefühl der unendlichen Freiheit weicht der Angst vor der Zukunft ohneeinander. Bis irgendwann nicht mehr klar ist, ob Erik und Finn dasselbe meinen, wenn sie vom Ende der gemeinsamen Zeit sprechen …

Rezension:

DVA mausert sich langsam aber sicher zu einem meiner Lieblingsverlage. Schöne neu übersetzte Klasssiker, wie z.B. Edith Wharton und dann wieder so überraschende Newcomer, wie Stephan Reich. Das Buch ist mir in der Vorschau erstmal wegen des knalligen Covers aufgefallen und dann wegen der Autoreninfo. Ich gestehe, ich hatte es vor allen Dingen auf meiner Liste, weil Stephan Reich Redakteur bei 11Freunde ist. Wahrscheinlich schlägt der Autor gerade die Hände über dem Kopf zusammen. Die Rezensentin hat mein Buch gelesen, weil ich über Fußball schreibe. Ja sorry, aber ich liebe die 11Freunde und Fußball und überhaupt. Eher selten findet man in diesem Metier Männer, die dann auch noch in Sachen Literatur unterwegs sind.

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Um es mal vorweg zu sagen, „Wenn’s brennt“ ist ein Jungsbuch. Was jetzt nicht heißt, dass Frauen es nicht lesen können (sie sollten es!), aber es wird in diesem Buch schon gehörig viel abgehangen, gesoffen und gekifft und geschimpfwortet. Gut, wenn man in Eriks und Finns Alter ist, haut einen ficken, Alter, kackegal, etc. natürlich nicht hinter dem Ofen hervor. Mich im wahren Leben übrigens auch nicht, in einem Buch lese ich so etwas in der Häufung aber eher selten und wenn, dann würde ich es im Normalfall glaube ich voll scheiße finden (um mal im Slang zu bleiben).

Bei Erik, Finn, Nina und Co. und der Handlung des Buches ist es aber eigentlich die einzig authentische Sprache, die ich mir nach dem Lesen überhaupt vorstellen kann. Die Jungs und Mädels hängen in einem öden Provinznest fest und besonders Eriks Leben scheint so vorbestimmt, wie der Kater nach einer Pulle Berentzen. Die Schule ist bald aus und Papa wartet mit einer Stelle beim Postamt auf. Irgendwann Heirat, Kinder, Reihenhaus. Anstatt sich dagegen zu wehren oder einen gewissen Ehrgeiz zu entwickeln, kifft Erik lieber mit Freunden und hängt saufend am „Schotter“, dem Treffpunkt der Clique, ab.

Klingt soweit erstmal langweilig, ist es aber überhaupt nicht, denn Stephan Reich packt das in pointierte und pfeilschnelle Dialoge. Man merkt, der Autor kommt vom Poetry Slam. Es wird nicht ellenlang rumgeschwurbelt, sondern direkt gesagt, was gemeint ist. Und dennoch steckt hinter vielen Dialogen so viel mehr. Angst, Hoffnungslosigkeit, Agressionen und auch eine gewisse Traurigkeit.

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Besonders Erik ist sich eigentlich schon bewusst, dass er auf ein Leben zusteuert, das er überhaupt nicht will und immer wenn er den Leser an seiner Gedankenwelt teilhaben lässt, zeigt er eine durchaus verletzliche Seite. Nach den ersten zwanzig Seite voller lässig cooler Dialoge, erzählt Erik von der Traurigkeit seiner Mutter und der Behinderung seines Bruders und diese Zeilen sind so berührend, dass es mich erstmal von den Socken gehauen hat.

Dann fahren wir morgens gemeinsam zur Post und mittags wieder nach Hause, jeden Tag wahrscheinlich, damit sich Mama nicht noch mehr langweilt, als sie es ohnehin schon tut. Kein Mensch kann den ganzen Tag Paulo-Coelho-Bücher lesen, ohne depressiv zu werden. Wobei: Der Zug ist eh schon abgefahren. Oder diese Lebensratgeber. Müsste man ja erstmal ein Leben haben nicht wahr? … Manchmal denke ich, Mama ist wie eines dieser Unfallopfer, die sich so sehr im Wrack verkeilt haben, dass nur die verschobene Karosserie sie noch am Leben hält. (S. 24)

Nach dieser Seite wusste ich, ich würde das Buch voller pupertärer Großmäuler lieben und so kam es dann auch. Die Jungs verüben abstruse Streiche (ich sag nur Trockner und verrate jetzt nichts), reiten sich das ein oder andere Mal richtig in die Scheiße und sind dabei meist bekifft oder besoffen oder auch beides. Mit der Liebe klappt es auch nicht so wirklich, weil Erik zu blöd ist, Nina seine Gefühle zu offenbaren. Jungs halt. :roll: Aber zwischen knackigen Dialogen, die einen durch das Buch fliegen lassen, sind da immer wieder wunderschöne Sätze zum Innehalten und vor allen Dingen Finns bedrohliche Entwicklung. Nach dem ersten Kapitel weiß man eigentlich, dass es irgendwann zu einer Katastrophe kommt und die Handlung steuert sozusagen ohne Bremse auf einen Abgrund zu, den man schon lange kommen sieht.

Das ist meist schräg und oft auch sehr lustig. Mein Highlight in Sachen Humor ist sicherlich Eriks Fußballspiel unter Drogeneinfluss. Ehrlich, ich habe halb auf dem Boden gelegen vor Lachen, obwohl die Szene an sich wiederum gar nicht komisch ist, weil sie ein weiterer Beweis für Finns Selbstzerstörung ist.

„Wenn’s brennt“ ist schnörkellos, rotzfrech und hart, aber mich hat es unter all der kompromisslosen Sprache extrem berührt. Es ist die Geschichte von zwei Jungs, die nichts mehr hassen als das Spießerleben ihrer Eltern und trotzdem gefangen sind in gähnender Langeweile, die sie schließlich vereinnahmt und zu einer Katastrophe führt. Insgesamt bleibt mir nur zur sagen:

Dieses Buch ist fucking großartig!

Note: 1

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