Wahl, Carolin: Die Traumknüpfer

Verlag: Heyne
erschienen:
2016
Seiten:
720
Ausgabe:
Klappenbroschur
ISBN:
3453316479

Klappentext:

In einer Welt, in der Frühling, Sommer, Herbst und Winter über die Träume mit den Menschen verbunden sind, liegt das Schicksal der vier Jahreszeitenvölker in den Händen der Traumknüpferin Udinaa. Doch als Udinaa – halb Mensch, halb Göttin – erwacht, zerbricht ihr Traum in Abermillionen magische Splitter. Jeder einzelne dieser Splitter verleiht, einmal gefunden, dem Träger die Macht der Götter. Als die Traumsplitter in die Hände eines Verräters fallen, scheint ein gewaltiger Krieg unausweichlich. Einzig Kanaael, der Prinz der Sommerlande, und Naviia, eine junge Clansfrau aus dem Wintervolk, vermögen den Lauf des Schicksals noch zu wenden …

Rezension:

Vorab möchte ich erwähnen, dass ich mich wirklich sehr ausführlich mit dem Buch beschäftigt habe, da ich es in einer kleinen (aber feinen) Leserunde gelesen und dort auch viel diskutiert habe. Wir wollten das Buch mögen und haben auch alle Gefallen am Fantasydebüt der jungen Carolin Wahl gefunden, aber das viele verschenkte Potential hat uns letztlich doch mehr gestört, als alles andere.

Aber von vorne. Der Einstieg in den Roman war sehr gelungen, denn die Autorin versteht es ihre Traumwelt zum Leben zu erwecken. Wie Kanaael zum ersten Mal durch die Träume anderer wandert, ist sehr eindrücklich und bildhaft beschrieben. Obwohl dieses Thema durchaus sehr theoretisch klingt, schafft sie es alles vor dem Auge des Lesers lebendig werden zu lassen.

Auch die kapitelweise wechselnde Handlung zwischen Kanaael und Naviia hat mir gefallen, bis ich mich nach 100 Seiten fragte, mit wem ich es da eigentlich zu tun habe. Tatsächlich sind alle Figuren in „Die Traumknüpfer“ gar nicht oder nur sehr wenig beschrieben. Weder Aussehen noch Charaktereigenschaften sind ausreichend erklärt und so blieben für mich alle Figuren bis zum Ende des Romans eher blass. Sie haben einfach nichts besonderes, was sehr schade ist, weil Wahls Weltenbau durchaus zu überzeugen weiß und sich vom Fantasy-Einerlei abhebt.

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Der ungewöhnliche Weltenbau kann jedoch nicht davon ablenken, dass die Handlung keinerlei Überraschungen bereit hält. Es passiert alles so, wie man es sich in der jeweiligen Situation sowieso schon gedacht hat. Sieht man mal von der kurzen Szene auf Udinaas Insel ab. Vermutlich liegt das eben auch an der mangelnden Tiefe der Figuren. Sie überraschen mich nie und folglich gibt es für mich auch keine Überraschungen in der Geschichte. Es gibt auch keinerlei Charakterentwicklung, zumal fast alle Nebenfiguren austauschbar blieben und höchstens noch mit interessanten Namen überzeugen. Mich haben die vokallastigen Namen übrigens nicht gestört, was aber vermutlich auch daran liegt, dass ich da schon ganz andere Kaliber in der Fantasy oder auch bei den historischen Roman gelesen habe. Letztlich sollte man einfach die Doppelvokale zu einem langen Vokal zusammenziehen und schon stolpert man beim Lesen nicht mehr drüber.

Das Buch braucht auch einfach viel zu lange, bis es in die Pötte kommt. Die im Klappentext verratene Erweckung der Traumknüpferin Udinaa passiert erst nach 420 Seiten und plötzlich bleiben nur noch 280 Seiten um einen Krieg anzuzetteln, die Welt zu retten und ein bisschen privaten Kram zu einem guten Ende zu bringen.

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Im Hinblick auf die Romantik ist „Die Traumknüpfer“ für mich ebenfalls eine herbe Enttäuschung. Davon mal ab, dass ich sie eigentlich gar nicht gebraucht hätte und das Buch auch gut ohne Liebesschnickschnack ausgekommen wäre, war die Liebesgeschichte zwischen Kanaael und Wolkenlied unglaublich schmalzig und unverständlich. Wieso sie sich ineinander verlieben, bleibt mir schleierhaft. Was sie aneinander finden ebenfalls. Die Erotikszene einer anderen Figur gegen Ende des Romans setzt dem ganzen leider die Krone auf. Der Roman ist eigentlich ein reiner Fantasyroman und diese Szene wirkt so, als wäre der Autorin am Ende eingefallen, dass sich noch keiner ausgezogen hat.

Auch in Sachen Action konnte mich die Autorin oft nicht überzeugen. Es gibt wunderbare Szenen, wie z.B. die Flugszenen mit dem Vogel Keeveek, die richtiges Kopfkino zaubern, aber sämtliche Kampfszenen zwischen den Figuren fand ich sehr schwach. Sie wirken total durchchoreographiert. Eine Szene ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Während Kanaael um sein Leben kämpft, hat er noch stundenlang Zeit seine Umgebung zu beobachten und innezuhalten. Im wahren Leben wartet ein Assassine sicher auch, bis man fertig mit Kaffee und Kuchen ist, bevor er zum Todesstoß ansetzt.

Das klingt jetzt alles extrem negativ, aber ich möchte nicht verhehlen, dass ich bis ca. Seite 600 wirklich viel Spaß mit dem Buch hatte. Carolin Wahl kann toll erzählen und hat einen wunderbar leichten Schreibstil, aber ich habe das Gefühl, ihr hätte eine gute Lektorin gut getan. Einfach jemand, der sie etwas mehr fordern würde. So habe ich das Gefühl, sie hat sich einfach nie aus ihrer Komfortzone herausgetraut. Die Story ist zu geradlinig und den Figuren fehlt es an Ecken und Kanten. Wenn man zudem berücksichtigt, dass „Die Traumknüpfer“ über 700 Seiten lang ist und es eigentlich genug Zeit für alle diese Dinge gab, so kann ich einfach keine bessere Bewertung abgeben. Es gibt Fantasyromane mit deutlich weniger Seiten, die in all diesen Belangen überzeugen. Letztlich nützt die schönste Idee nichts (und die Traumwelt ist eine außergewöhnlich gute Idee), wenn sie nicht mit Leben gefüllt wird.

Wer die oben angesprochene Leserunde nachlesen möchte, kann das hier tun. Aber Achtung, in den jeweiligen Abschnitten wird natürlich gespoilert.

Note: 3-

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  • Hallo Steffi,
    Ich habe die Autorin kurz auf der Leipziger Buchmesse getroffen (Heyne Fantasy Nacht). Hat mich aber auch nicht beeindruckt. Ihr Textauszug klang sehr nach Purpurprosa.

    • Hey Olaf!

      Also purpurrosa oder mädchenhaft ist das Buch wirklich gar nicht. Kann man bedenkenlos auch als Mann lesen. Ich hatte nach der Rezi sehr netten Kontakt mit der Autorin. Ich kann nur den Hut davor ziehen, wie sie mit der Kritik umgegangen ist.

      Das Buch ist leider vom Verlag auch falsch eingestuft. Es ist kein High Fantasy, sondern ein All Age Fantasyroman. Das steht aber nirgends. Allerdings hätte ich die meisten Kritikpunkte auch gehabt, wenn ich das gewusst hätte.

      Liebe Grüße,
      Steffi

  • Hey Steffi :)

    ich habe „Die Traumknüpfer“ auch gelesen, aber empfand es ein wenig anders als du. Gerade die Handlung war für mich durchgehend spannend und oft auch überrascht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich sonst keine Bücher aus dem High-Fantasy-Bereich lese. ;)

    Liebe Grüße,
    Tatze

    • Hey Tatze! :)

      Letztlich ist das ja auch alles Geschmackssache und als Einführung in das Genre hätte ich das Buch vielleicht auch anders empfunden. Ich würde es auch auf jeden Fall noch mal mit der Autorin versuchen.

      Für Dich wäre dann vielleicht auch Trudi Canavan was.

      Liebe Grüße,
      Steffi