Wendy Holden - Teatime mit Lilibet

Begonnen von Sagota, 25. November 2020, 22:28:10

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Sagota

"Teatime mit Lilibet" von Wendy Holden erschien (HC, gebunden) 2020 im List-Verlag. Die Autorin, selbst Journalistin, zeichnet hier den Weg der einstigen Gouvernante Marion Crawford nach und gibt einen kleinen "Einblick" hinter die Kulissen - oder die "Glaswand" der britischen Royals von den 30er bis Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts, als Crawford oder von der königlichen Familie Crawfie genannt, als Hauslehrerin die beiden Prinzessinnen Elizabeth (Lilibet) und Margaret unterrichtet.

Eigentlich war das berufliche Ziel von Marion Crawford, einer jungen angehenden Lehrerin aus Edinburgh, die sozial benachteiligten Kinder in den Slums zu unterrichten und somit für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Doch ihre Mentorin erkennt (Marion ist ihre beste Schülerin) ihre Fähigkeiten und so begibt sich Marion nach London, um der Bitte der Herzogin von York, der Mutter von Lilibet und Margaret, zu entsprechen und die beiden kleinen Prinzessinnen (Lilibet ist 7 Jahre alt; geboren 1926) in den verschiedensten Fächern zu unterrichten. Was anfangs als ein "Probemonat" bei den Royals angedacht war, sollte viele Jahre andauern, obgleich Marion Crawford einige Male ernsthaft versuchte, ihre (sehr begehrte) Stelle im englischen Königshaus zu beenden (letzteres wurde besonders durch die Mutter der Prinzessinnen immer wieder vereitelt mit dem Hinweis, "man brauche sie").

Somit führt uns der Roman in die königlichen Schlösser Balmoral, wohin sich Queen Elizabeth II noch heute im frühen Herbst gerne zurückzieht; auch in den Kensington Palace, nach Piccadilly 145, London - und in den Buckingham Palace. Auch viele einflussreiche Politiker und Adelige sowie reiche Familien kreuzen den Weg des Lesers; die königliche Familie selbst, zwei der Mitford-Schwestern, deren politische Ansichten weit auseinandergingen, die Kennedy's, Chamberlain und Winston Churchill, der eine wichtige Rolle für Großbritannien im 2. Weltkrieg spielen sollte. Es ist - abgesehen von den sehr üppigen Schilderungen der Feste, Bälle und Zeremonien, der Krönung (1937) und der Abdankung von Prinz Eduard, dem Onkel von Lilibet, wodurch ihr Vater König von England wurde, ein interessanter Spaziergang durch die (oftmals für die Völker Europas jedoch auch leidvolle) Geschichte des 20. Jahrhunderts; speziell der von Großbritannien, das gesellschaftliche Umbrüche verkraften musste und der Adelsstand einem gewissen Niedergang folgte.

Wendy Holden beschreibt also das Leben, den Alltag (und auch einige Intrigen) innerhalb "der Glaswand", des Palastes und fängt hierbei die Gefühle von Marion Crawford ein, die aus einfachen Verhältnissen stammt und all der Pracht erst einmal staunend gegenübersteht. Einerseits verfolgte sie andere berufliche Ziele, andererseits schließt sie schon bald besonders die ältere Prinzessin, Lilibet, sehr ins Herz und erhält auch von den Mädchen und der royalen Familie selbst eine gewisse Zuneigung. Diese erschweren es Marion Crawford, nach einigen Jahren die Royals zu verlassen und ihre Tätigkeit als Gouvernante zu beenden - was sich zum Teil als Tragik für sie selbst lesen lässt, denn sie verzichtet auf vieles - und es gibt auch Enttäuschungen, mit denen zu leben muss. Ivy, eine Bedienstete und Freundin von Marion, rät ihr zu einer Beziehung "innerhalb der Glaswand", da alles andere unmöglich ist. So sind ihre Erfahrungen mit Männern eher negativ und sie fühlt sich oftmals einsam. Einzig die Liebe zu den Prinzessinnen, die sie wie eine zweite Mutter beschützt, macht vieles wieder wett....

Sie versucht, den Mädchen einen Bezug zum ganz normalen Leben der BürgerInnen Englands zu geben; die sogenannte "Operation Normal", die sich jedoch als sehr schwierig gestaltet und oft von einem Privatdetektiv begleitet wird. Die Zwänge des Palasts sind durchaus spürbar und auch Marion kann dies nicht grundlegend verhindern. Dennoch fährt sie mit den Prinzessinnen U-Bahn, besucht ein Kino und macht einen Ausflug in einen Park, was die Mädchen sehr erfreut. Mrs. Knight, die alte Nanny der beiden, hat für solcherlei Dinge kaum etwas übrig und verkörpert das restringente Verhalten des alten Hochadels, wo sich bestimmte Dinge (wie z.B. Spielkleider) nicht geziemen. Die Autorin beschreibt auch die andere Seite der sozialen Schichten, die in konträrem Gegensatz zum Leben im Palast stehen: Millionen Arbeitslose, Hungermärsche, Hunger und auch Elend, das im Lande grassiert. Marion Crawford ist lange Zeit hin- und hergerissen, ob es ihre wirkliche Berufung ist; Anfang 20, als sie ihre Stellung bei Hofe antritt - und fast 40, als Lilibet Prinz Philip von Griechenland heiratet (und wie man weiß, noch heute Prinzgemahl von Elizabeth II. ist - sie stolze 94, Prinz Philip 99 Jahre alt). Aber sie ist loyal und - selbst kinderlos geblieben - überwiegt ihre Liebe gegenüber den Prinzessinnen immer wieder in der Entscheidung, zu gehen - oder zu bleiben.

Der Stil von Wendy Holden ist eingängig zu lesen; jedoch fand ich viele Beschreibungen sehr langatmig, sich wiederholend und inhaltlich etwas ausufernd, so dass es nach einiger Zeit ermüdete. Auch die Schriftgröße des Romans ist sehr klein, was die Lesefreundlichkeit leider etwas mindert. Ausser einigen Nebensächlich- bis hin zu Nichtigkeiten habe ich zumindest erfahren können, dass "Lilibet" als Kind bereits sehr willensstark war; ein hohes Empathievermögen, besonders gegenüber Tieren hatte; einen fast zwanghaften Ordnungssinn (Sicherheit gebend) und Uniformen mochte.
Es fehlen genauere Angaben über Wahrheit und Fiktion, wobei sich der Roman jedoch an reale historische Begebenheiten weitgehend hält. Auch basiert der Roman auf dem Buch von Marion Crawford selbst ("The Little Princesses"), dessen Inhalt mich noch mehr interessieren würde. Denn die Gouvernante ist eine tragische Figur: Sie hatte eine sehr wichtige Aufgabe im Königshaus der Windsors zu erfüllen - und darüber ihre Lebenswünsche und ihr eigenes Glück hinten angestellt, sich den Wünschen besonders der Königinmutter gebeugt. Zeitgeschichtlich muss man diese Entscheidungen Marions jedoch auch im Beginn der Zeit sehen, zu der es Frauen überhaupt erst möglich war, ihren Unterhalt selbst zu verdienen und sich zu emanzipieren. Letzteres ist Marion Crawford auf jeden Fall gelungen, ich habe nur den betroffenen Eindruck, dass es ihr nicht gedankt wurde.

Für LeserInnen, die sich für Her Majesty, Queen Elizabeth II und der Kindheit der beiden Prinzessinnen im Hause Windsor interessieren und mehr über Marion Crawford, der Gouvernante von Lilibet und Margaret erfahren möchten, kann ich das Buch bedingt empfehlen. Gänzlich überzeugt hat es mich leider nicht, daher von mir knappe 3,5 *