Der Engel mit der Posaune - Ernst Lothar

Begonnen von Kathrin, 09. April 2018, 15:28:55

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Kathrin

Der Engel mit der Posaune
Ernst Lothar
Familienepos
Seiten: 544
Verlag: btb Verlag

Inhalt:
Wien, Innere Stadt: Über dem Eingang des Hauses Seilerstätte 10 prangt ein Engel aus Stein, der die Posaune bläst. Im Haus lebt die weitverzweigte Klavierbauerfamilie Alt, deren Aufstieg und Untergang in einem Generationen umfassenden Panorama erzählt wird. Im Zentrum steht die schöne Henriette Alt, mit zwanzig Geliebte des Kronprinzen Rudolf, dann eingeheiratet in die Familie und dort ein ewiger Fremdkörper, mit siebzig schließlich Opfer von Hitlers Gestapo. Inmitten von Katastrophen, Intrigen und keimendem Faschismus ist Henriette das Sinnbild von Hoffnung und Endzeit – ihr Schicksal ist das Schicksal einer ganzen Epoche.

Meine Meinubng:
Der Roman ,,Der Engel mit der Posaune" von Ernst Lothar, der bereits 1944 in englischer Sprache in New York erschienen ist, erzählt die Geschichte der fiktiven Klavierbauer-Familie Alt aus Wien und beginnt mit der Verlobung von Franz Alt (Enkel von Christoph Alt, Gründer des Familienunternehmens) mit der schönen und blutjungen Henriette, welche vom Rest der Familie nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird. Anhand des Familienepos' lässt Ernst Lothar Geschichte – angefangen vom Untergang der Donaumonarchie bis hin zum Zweiten Weltkrieg – lebendig werden.

Ich gebe zu, dass gerade der Zweite Weltkrieg nicht wirklich zu meinen liebsten Buchthemen gehört und auch die Tatsache, dass der Roman bereits über 70 Jahre auf dem Buckel hat, hat meine Erwartungen eher gedämpft. Allerdings haben das schöne Cover, der tolle Buchtitel wie auch der musikalische Aspekt einen gewissen Reiz auf mich ausgeübt und zumindest der Anfang war wirklich vielversprechend – wenn auch die große Anzahl allein der Familienmitglieder mich zunächst etwas überfordert hat. Der ein oder anderen kauzige Charakter, gepaart mit Wiener Schmäh und Dialogen in Dialekt wie auch die frühe Begegnung mit dem kaiserlichen Kronprinzen haben dann aber doch die Vorfreude auf's Weiterlesen bei mir deutlich wachsen lassen.

Leider gab es ein paar Ungereimtheiten, wie z.B. das unterschiedlich genannten Alter von einigen Familienmitglieder oder der Engel an der Hausfassade, der mal Posaune, mal Trompete spielt, die mich gestört haben. Zudem ist das Buch mitunter etwas anstrengend geschrieben. So ein seitenlanger und absatzloser Monolog über Recht und Unrecht und/ oder die politische und gesellschaftliche Lage, kann echt ermüdend sein, so dass ich sicherlich nicht alle Argumente wirklich mitbekommen und komplett nachvollzogen habe.

Etwas zwiegespalten bin ich bei den handelnden Figuren, zu denen ich keinen Bezug aufbauen konnte, da ich sie fast alle als ziemlich emotionslos und gefühlskalt empfunden habe. Henriette ist da die einzige Ausnahme, doch auch bei ihr lese ich zwar, wie sie sich z.B. fühlt, aber ich kann es beim Lesen nicht nachempfinden. Auf der anderen Seite passt diese Distanziertheit letztlich aber auch gut zu der Familie, denn wie soll Henriette in einer Ehe, die sie als Gefängnis betrachtet und in einem Haus voller Missgunst, Ressentiments und Standesdünkel, in dem es an Herzlichkeit fehlt, zufrieden – geschweige denn glücklich – werden? Das mag nicht das sein, was ich unbedingt lesen will, aber es ist irgendwie konsequent – wenn auch vielleicht nicht so vom Autor gewollt. Dass er erzählen und auch mich begeistern kann, hat er dafür an anderer Stelle durchaus bewiesen, z.B. am Tag des Attentats auf Franz-Ferdinand in Sarajevo oder auch die Angst der Menschen vor einem Krieg. Das ging dann wieder sehr tief.

,,Der Engel mit der Posaune" ein Buch, bei dem ich zwar über den Schatten meiner Lesegewohnheiten springen musste, von dem ich aber deutlich weniger erwartet habe, als ich bekommen habe. Wer weiß, vielleicht ist für mich mit diesem Buch die Zeit der Romane, die in der näheren Vergangenheit spielen, endgültig angebrochen.

Bewertung:
[note3+]

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