Charlotte Link: Sturmzeit

Begonnen von Kathrin, 23. Februar 2009, 08:47:59

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Kathrin

[isbn]3442410665[/isbn]   Sturmzeit
Link, Charlotte
hist. Roman
20. Jahrhundert
   
Seiten: 531

Inhalt:
Sommer 1914: In Europa gärt es, doch auf dem Familiengut der Degnellys in Ostpreußen scheint noch Zeit zu sein für Idylle und Plänkeleien und für den Traum von der großen Liebe. Ein Traum, der die achtzehnjährige Felicia durch eine harte Zeit begleiten wird, in der alteTraditionen und Beziehungen untergehen und einer gar nicht mehr vornehmen Realität weichen. Charlotte Link gelang mit "Sturmzeit" die faszinierende Geschichte einer ungewöhnlichen Frau in einer bewegten Zeit. Ein großer Frauenroman.

Meine Meinung:
Inzwischen ist es bestimmt 7-10 Jahre her,  dass ich ,,Sturmzeit" Charlotte Link zum ersten Mal gelesen habe und ich hatte wirklich Bedenken, dass es total neu für mich sein könnte, aber ganz schnell wurde ich eines Besseren belehrt, denn sehr schnell war ich wieder in der Geschichte drin und an viele Figuren und Geschehnisse konnte ich mich dann doch direkt wieder erinnern. Auch jetzt liebe ich dieses Buch wieder von der ersten Seite an. Ich finde zwar schon, dass auf den ersten Seiten viel passiert und ja, vielleicht sogar schon zu viel passiert, aber mich hat das sofort in die Geschichte reinkatapultiert.

,,Sturmzeit" ist der erste Band einer Trilogie, einer Familien-Saga und startet kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges auf dem Familiengut Lulinn in Ostpreußen. Die Hauptfigur Felicia finde ich auf den ersten Blick eher unsympathisch. Sie wirkt gerade am Anfang sehr oberflächlich, verwöhnt, die den Ernst der Lage nicht sieht und schon gar nicht sehen will. Sie erinnert mich auf diesen ersten Seiten schon ein wenig an Scarlett O'Hara, wobei ich ,,Vom Winde verweht" nur als Film, nicht als Buch kenne. Aufgrund ihres bewegten Lebens und vieler familiärer Ereignisse wird Felicia jedoch im Laufe der Zeit erwachsen, wenn auch nicht unbedingt sympathischer. Einige Münchner Damen der guten Gesellschaft sagen, sie sei "kalt bis ins Herz und wird es immer bleiben". Letztlich finde ich es nicht schlimm, dass mir Felicia als Hauptfigur nicht sympathisch ist, denn sie ist dadurch unheimlich lebendig. Sie ist mir so, wie sie ist, lieber als ein verhuschtes Mäuschen wie beispielsweise Linda, ihre Schwägerin. Dann doch lieber ein Hauptcharakter, an dem ich mich stoßen und über den ich mich auch mal gehörig aufregen kann. Dass Felicia so eine gnadenlose und eiskalte Kämpferin geworden ist, ist eigentlich kein Wunder, da sie eigentlich immer nicht nur für ihr eigenes Leben sondern auch das der ihr Anvertrauten mitkämpfen musste. Gerade ihre Schwägerin Kat oder  auch Linda wirken teilweise doch sehr überlebensunfähig. Was mir bei Felicia total gut gefällt, ist ihre Loyalität der Familie gegenüber. Ein toller Zug an ihr, auch wenn ich sie später für ihr kaltes Mutterherz auch zwischenzeitlich wieder sehr verachtet habe.

Neben Felicia als Hauptfigur finde ich eigentlich alle Figuren in diesem Buch schon sehr gelungen und emotional und dadurch sehr lebendig, gerade auch Felicias Familie finde ich einfach nur genial. Sie sind alle wunderbar unterschiedlich und teiweise so liebenswert, vor allem Tante Belle und Onkel Leo, die mir beide sehr ans Herz gewachsen sind. Aber ich liebe auch Felicias Großeltern, ihren Großvater Ferdinand, den alten Grantler, Hausherr und Tyrann, der allerdings eher zu der Kategorie von bellenden Hunden gehört, die nicht beißen. Seine Frau Laetitia hat für mich heimlich die Zügel in der Hand, sie ist wohl ähnlich wie Felicia eine sehr starke Persönlichkeit. Überhaupt scheinen sich Großmutter und Enkelin sehr ähnlich zu sein. Auch die Münchner Charaktere, die Familie Lombard (allen voran Severin und sein Sohn Alex Lombard, Felicias erster Ehemann) und der große (geschäftliche) Widersacher Tom Wolff sind äußerst spannende, wenn auch nicht immer sympathische Charaktere. Ich denke Severin Lombard und Felicias Großvater Ferdinand hätten sich gut verstanden, denn auch Severin hat einen starken Hand zu Sarkasmus und Ironie und der Familientyrann. Aber gerade diese beiden Figuren haben mir mehr als einmal zum schmunzeln oder kichern gebracht. Alex und Tom Wolff sind herrlich abgründige Charaktere. Wolff mag ich eigentlich gar nicht, aber als Romanfigur, allein für die Unterhaltung und die Lebendigkeit finde ich ihn toll. Allein die Wortgefechte, die er oder auch Alex sich mit Felicia liefern, sind aller erste Sahne. Alex ist mir im Laufe der Zeit, mit all seinen Fehlern irgendwie immer mehr ans Herz gewachsen. Nicht, dass er für mich der allersympathischste Super-Held wäre, aber er hat was finde ich. Und ich glaub schon, dass er Felicia auf seine Art liebt.

Den geschichtlichen Hintergrund für dieses Buch finde ich alles in allem gut in Felicias Leben eingewebt. Sie erlebt den Krieg hautnah als Krankenschwester an der Front, gerät in russische Gefangenschaft und kann dieser letztlich nur mit Hilfe ihrer Tante und ihres russischen Onkels entkommen. Dass wir als Leser somit auch die Revolution in Russland hautnah mitbekommen hat mir gut gefallen, da das für mich eine sehr spannende und faszinierende Zeit ist. Dennoch hätte es mir denke ich besser gefallen, wenn manche Zeitsprünge oder Perspektivwechsel nicht so abrupt gewesen wären. Zwischenüberschriften wie "Russland, Januar 1918" oder "München, April 1919" hätten mir gut gefallen Allein wenn es optisch auffällt, ist der Wechsel zwischen den Schauplätzen oder den Zeiten irgendwie eingängiger. Etwas ausführlicher hätten allerdings für mich die Hintergründe zum ersten Weltkrieg sein können, mir ist z.B. der Hintergrund, warum auf einmal aus dem Attentat auf den Thronfolger in Sarajevo auf einmal ein Weltkrieg geworden ist und warum die ganzen Nationen in den Krieg eingestiegen sind, nicht deutlich genug. Sehr gut finde ich aber, dass schon erste Verbindungen zu den nächsten Bänden und die Zeit des Zweiten Weltkriegs geknüpft worden sind. Felicias Freundin Sara und ihr Mann Martin, beide Juden, sind zwar im Moment für mich nur Randfiguren, ihr Schicksal könnte aber später noch spannend werden.

Ich freue mich sehr auf die Fortsetzung und bin gespannt, wie es mit Felicia weitergehen und für welchen Mann (Maksim oder Alex oder jemand, den wir noch nicht kennen?) sie sich letztlich entscheiden wird, bzw. ob sie sich überhaupt für einen entscheidet oder vielleicht doch lieber sich selbst treu bleibt. Grundsätzlich denke ich, werden wir alle drei wiedersehen, sowohl Alex als auch Maksim und Felicia, auch wenn die nächste Generation wohl die Hauptfiguren des nächsten Teils bilden werden.

Bewertung:
[note1] (1-)

lg
kathrin
Rock the Night!

Wiebke

Meine Meinung:

Aus dieser Epoche habe ich noch nie etwas gelesen.
Das, und das Setting in Ostpreußen, woher ca. Dreiviertel meiner Ahnen stammen, ließ mich zu diesem Buch greifen.  Was die Handlung in Ostpreußen angeht, zeigte sich allerdings, dass nur ein kleiner Anteil der Geschichte auch tatsächlich auf dem Heimatgut Lulinn spielt. Insgesamt finden die Geschehnisse zwar auch dort, aber auch in Russland, Frankreich sowie Berlin und München und sogar in Amerika statt. Davon war ich aber nicht enttäuscht, durch die vielen Orte sieht man auch viele verschiedene Facetten und Stimmungen des ersten Weltkrieges. Da es ja ein "Welt"-krieg war, ist es auch interessant, mehrere Schauplätze zu sehen.  Das passiert darüber, dass die verschiedenen Wege vieler Protagonisten abwechselnd begleitet werden, wie sie getrennt voneinander laufen, sich aber auch immer wieder begegnen.
Die Vielzahl der Figuren macht die Geschichte zwar einerseits lebendig, andererseits fiel es mir bis zum Schluss schwer, bei allen im Kopf zu behalten, in welchem Verhältnis sie zu Felicia als Hauptperson stehen. Tante, Cousine, Freundin? Bei einigen ist es mir mit der Zeit abhandengekommen und auch nicht wieder eingefallen, wenn sie erneut zum Vorschein kamen. Da es oft eh nur kurze Episoden waren, habe ich aber auch problemlos darüber hinweggelesen.
Die vielen Protagonisten und Ihre jeweiligen Perspektiven waren grade am Anfang eher anstrengend, nach einer Weile war ich aber daran gewöhnt. Ein, zwei Handlungsfäden weniger wären sicher schön gewesen.

Nun ist die Sache mit Felicia selbst aber die, dass sie zu Beginn als sehr oberflächliches, selbstbezogenes Püppchen dargestellt wird. Das kam also erschwerend hinzu, so dass ich eine Weile gelesen habe, ohne eine große Verbindung zu irgendjemandem aufbauen zu können.  Aber genauso, wie ich mich an die verschiedenen Perspektiven gewöhnt habe und anfing, die Wechsel zu mögen, so entwickelte sich auch Felicia nach und nach zu einer Figur, die zwar bis zuletzt nicht wirklich sympathisch wird, aber immer mehr an Tiefe gewinnt und ein interessanter Charakter wird. Und das ist wirklich speziell und auch nicht oft so zu finden: Felicia begegnete mir zunächst auf eine Art und Weise, die mich denken ließ:" Na, so ein egoistisches Hohlköpfchen, dass kann ja heiter werden" Figuren, die so beginnen, sind mir schon oft begegnet und werden dann oft von Autoren "schöngeredet", indem immer wieder dargestellt wird, wie gut und toll und liebenswert die Figur doch ist und egoistisches Verhalten soll dann irgendwie die berühmten Ecken und Kanten darstellen. 
Bei Felicia merkte ich aber nach und nach, dass hier etwas anders ist.
Felicia ist selbstverliebt, egoistisch und belügt sich gern selbst- aber die Autorin steht dazu, dass sie so ist und versucht nicht, sie anders zu verkaufen. Oft genug bekommt Felicia ihre Schwächen und ihr Verhalten um die Ohren gehauen und muss ebenso oft die Konsequenzen tragen. Dann regen sich bei ihr durchaus Selbstzweifel und schlechtes Gewissen, aber sie schafft es immer wieder, diese beiseite zu schieben, die Zähne zusammenzubeißen und weiter für das zu kämpfen, was sie will. Dabei redet sie sich die Dinge aber nicht schön- sie akzeptiert viel eher immer wieder, dass ihr Weg nunmal Opfer fordert und nimmt diese eben in Kauf.  Wie gesagt, sympathisch wird sie nicht, dennoch habe ich ihren Weg bis zum Schluss gebannt verfolgt und ihr immer gewünscht, dass sie für sich mal etwas Ruhe und Zufriedenheit findet. Nach dem holprigen Einstieg habe ich das Buch am Ende weggelegt und hätte mir gewünscht, dass es grade jetzt weitergegangen wäre!

Note:
[note2]

Bücherhexe

Ostpreußen, 1914. In Insterburg nahe Königsberg steht der Gutshof Lulinn, welcher seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Degnelly ist. Hier scheint die Welt noch in Ordnung, während es im Rest Europas bereits zu brodeln beginnt.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die jüngste Tochter der Familie, Felicia. Kurz vor Kriegsbeginn ist sie achtzehn Jahre alt, schaut zuversichtlich in ihre Zukunft und träumt von einem sorglosen und aufregenden Leben. Im Laufe der Jahre des ersten Weltkrieges zerplatzen die meisten dieser Träume und die ihr vertraute Weltordnung ändert sich dramatisch. Aber obwohl sie Verluste hinnehmen muss, hört sie nicht auf, das Leben zu lieben, ebenso das Risiko und nicht zuletzt zwei unterschiedliche Männer. Trotz aller Widrigkeiten steigt sie in den Wirren des Krieges zu einer erfolgreichen Geschäftsfrau auf. Sie spielt hoch und fällt tief, aber lässt sich nie entmutigen. Ihr Ziel: das Familiengut Lulinn für die späteren Generationen zu erhalten.

,,Sturmzeit" ist der erste Teil von Charlotte Links Ostpreußen-Trilogie. Hier wird die Familiengeschichte der Degnellys in den Jahren 1914 bis 1930 erzählt. Neben Felicia lernen wir auch noch andere Familienmitglieder kennen, ihre Großmutter, ihre Mutter, ihre Tante und ihre Brüder. Vor dem Hintergrund des ersten Weltkrieges und seinen Folgen erlebt man die Schicksale vieler Personen, man hofft, leidet und liebt mit ihnen. Eingewoben in den Verlauf des Krieges und der Zusammenhänge der Ereignisse z. B. auch in Russland, lernt man zusätzlich noch etwas über diese Jahre.
Auch wenn ich den Anfang ein wenig zäh fand, bin ich froh, dass ich dran geblieben bin, denn nach und nach entwickelt die Geschichte eine regelrechte Sogwirkung und der hervorragende Schreibstil der Autorin tut sein Übriges. Sie lässt die damalige Zeit lebendig werden. Zunächst die Euphorie zu Kriegsbeginn, dann die Ernüchterung und schließlich der Zusammenbruch und die Trauer. Auch das Grauen und die Verzweiflung auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben ist greifbar und man stellt sich die gleich Frage wie die Soldaten: ,,Warum das Ganze?"

In erster Linie steht natürlich das Schicksal der Degnellys im Vordergrund, aber immer wieder wird Bezug genommen zu den politischen Ereignissen und wie sich diese auf Felicia und ihre Familie auswirken. Dadurch wirkt das Ganze noch authentischer.

Mit Felicia hatte ich zwischendurch so meine Probleme und sie war mir nicht immer sympathisch, manche ihrer Entscheidungen konnte ich nicht wirklich gutheißen. Aber gerade dadurch wirkt diese Figur auch realistischer, denn wer ist schon immer perfekt?
Gleiches gilt eigentlich auch für Maksim, obwohl ich seine Beweggründe aufgrund seiner Herkunft schon eher nachvollziehen konnte.
Laetitia, Elsa und Johannes mochte ich dagegen gleich, ebenso Alex und Kat.
Auf jeden Fall hat jeder Charakter seine Ecken und Kanten und es gibt nicht nur schwarz und weiß. Um in der damaligen Zeit nicht unterzugehen, musste eine Frau ,,ihren Mann stehen", stark sein für die Familie, gerade weil so viele Männer nicht aus dem Krieg heimkehrten.

Fazit: Auftakt zu einer spannenden und großartig erzählten Familiensaga über eine bedeutsame Zeit deutscher Geschichte, die nicht nur gut unterhält, sondern auch nachdenklich macht.

:Box1: :Box1: :Box1: :Box1: :Box1: :Box1:
Was ich rette geht zu Grund, was ich segne muss verderben.
Nur mein Gift macht dich gesund. Um zu leben musst du sterben.
(Musical: Tanz der Vampire)