Thomas Hettche: Herzfaden

Begonnen von Kathrin, 25. September 2020, 14:10:32

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Kathrin

Hier ist Platz für eine spontane LR bzw. Diskussion zu Punkten, die wir besprechen wollen.
Vielleicht einfach kurz am Anfang von Euren Postings kurz schreiben, wie weit Ihr gekommen seid, damit niemand liest, der noch nicht so weit ist.

Ich werde morgen anfangen können. Aber da ich ein PC-freies Wochenende machen will, werde ich vermutlich erstmal still sein.

LG
Kathrin
Rock the Night!

sisquinanamook

Ich lese das Buch ja als Wanderbuch.
Kommt bei mir also drauf an, wann ich es bekomme.
Viele Grüße
Daniela

Christiane

Ich hab gestern Abend angefangen.

Mein erster Eindruck, also Buch aufgeschlagen und einem kurz durch die Seiten geblättert, war gleich richtig gut. Es fasst sich gut an, die Seiten sind aus einem schönen Papier. Die Strichzeichnungen sind toll und passen stilistisch super zum Marionettenthema. Und dann die verschiedenfarbigen Abschnitte. Hach, da hat man gleich Lust, sich in das Buch zu vertiefen!
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Kathrin

Zitat von: sisquinanamook in 25. September 2020, 14:22:47
Ich lese das Buch ja als Wanderbuch.
Kommt bei mir also drauf an, wann ich es bekomme.
Das ist auch eher als lockerer Austausch gedacht und der Tatsache geschuldet, dass ich nicht warten wollte bis das Buch in Christiane bei mir ist. Und jetzt lesen Christiane und ich quasi gleichzeitig. Und jeder kann ja auch noch später seinen Senf dazu geben.

@Christiane: mir geht es ähnlich wie dir wobei ich für das anfühlen oder den Geruch von Seiten keinen Sinn habe. Aber ich bin verliebt in das setting und der Film ist sofort angesprungen in meinem kopfkino. Ich denke das ist ein buch das man auch gut verschenken kann.

Jetzt wird mir das Schreiben über das Handy aber zu nervig. Außerdem will ich weiterlesen
Rock the Night!

Christiane

Ans Verschenken hab ich auch schon gedacht. Weihnachten ist ja nicht mehr sooo weit weg  :->.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Kathrin

#5
Ich bin fertig mit dem Buch, schon seit einigen Tagen und muss gestehen, Christiane, dass meine anfängliche Euphorie ein wenig nachgelassen hat.
Wie weit bist Du? Ich habe Redebedarf, weiß aber grade nicht, wann das passiert, was mir negativ aufgestoßen ist, deshalb stelle ich es mal in einen Spoiler und vielleicht liest Du das tatsächlich erst, wenn Du durch bist. Ich schreib mir das erst mal von der Seele und schaue im Anschluss, ob ich den Spoiler irgendwie noch von Seitenzahl eingrenzen kann.

Spoiler
Ich mochte das Buch und die Idee wirklich sehr, finde auch, dass Thomas Hettche Atmosphäre schaffen kann. Ich mochte auch die Verquickungen zwischen dem hist. Part um die Entstehung der Augsburger Puppenkiste und die Geschichte des Mädchens auf dem Dachboden inmitten der Marionetten und Hatü. Aber die Verbannung des Kasperle fand ich kacke und auch dass er zwar "erlöst" wurde, aber nicht zurück in den Reigen der Marionetten zu Hatü durfte. Ich vermenschliche das hier jetzt sehr, ich weiß, aber ich hätte es besser gefunden, wenn sich Hatü mit ihm ausgesöhnt hätte. ich kann ja noch verstehen, dass Hatü Probleme mit ihm hatte, Angst vor ihm hatte, weil er böse aussah und sich später geschämt hat, weil sie ihn so geschnitzt hat, wie die Nazis Juden verzerrt dargestellt haben.. Aber der Vater hat ihn doch noch verbessert und einen freundlichen Kasperle draus gemacht...zumindest vom Aussehen her. Aber dass Hatü irgendwann an die Juden erinnert wurde bei seinem Anblick wg. der Nase, dann hätte sie doch eher sich selbst böse sein müssen und sich dann irgendwann selbst verzeihen müssen. Und genau das hat sie eigentlich doch nie...sich selbst verziehen. Wenn das Kasperle wirklich irgendwann böse geworden ist, dann sollte sie sich vielleicht eher mal fragen, warum eine unschuldige Marionette böse wird. Ist für das Ego des Kasperle sicherlich nicht förderlich, wenn seine Schöpferin Angst vor ihm hat. Im Endeffekt hat sie alle ihre Marionetten geliebt, nur ihn nicht. Wie gesagt, das ist jetzt alles sehr vermenschlicht und ja, das Kasperle ist eine Marionette, aber es hat mir leid getan, es kann doch nichts dafür, dass sie ihn so geschnitzt und nie geliebt hat.
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So, und jetzt gehe ich erstmal nach dem Buch schauen, auf welche Seitenzahl sich das in etwa bezieht.

Edit: bezieht sich tatsächlich bis fast ans Ende, bis Seite 268.

Rock the Night!

Christiane

Hey Kathrin,

ich bin noch nicht so weit. Ich les es dann wenn ich das Buch fertig gelesen hab, ja?! Ich hoff jetzt einfach mal, dass ich das anders sehe als Du, denn bisher find ich das Buch echt klasse.

Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Christiane

#7
Ich bin jetzt auch fertig. Wem soll ich denn das Wanderbuch denn als nächstes schicken? Daniela, Inge?
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

sisquinanamook

Schick es Inge. Ich komm da im Moment eh nicht zu und schreiben mit Stift geht grade eh nicht so gut wegen meinem blöden Finger...
Viele Grüße
Daniela

Christiane

Zitat von: Kathrin in 05. Oktober 2020, 16:23:19
Ich bin fertig mit dem Buch, schon seit einigen Tagen und muss gestehen, Christiane, dass meine anfängliche Euphorie ein wenig nachgelassen hat.
Wie weit bist Du? Ich habe Redebedarf, weiß aber grade nicht, wann das passiert, was mir negativ aufgestoßen ist, deshalb stelle ich es mal in einen Spoiler und vielleicht liest Du das tatsächlich erst, wenn Du durch bist.
Ich bin jetzt durch, hab deinen Kommentar gelesen und erstmal eine Nacht darüber geschlafen. Ich antworte dann auch mal im Spoiler, denn es werden ja noch mehr Leute das Buch lesen und sollten dies wirklich erst lesen, wenn sie fertig sind. Ich glaube, das würde den eigenen Zugang zum Buch sonst zu sehr beeinflussen.

Spoiler

Zitat von: Kathrin in 05. Oktober 2020, 16:23:19Ich mochte das Buch und die Idee wirklich sehr, finde auch, dass Thomas Hettche Atmosphäre schaffen kann. Ich mochte auch die Verquickungen zwischen dem hist. Part um die Entstehung der Augsburger Puppenkiste und die Geschichte des Mädchens auf dem Dachboden inmitten der Marionetten und Hatü.
Ja, das geht mir genau so.

Zitat von: Kathrin in 05. Oktober 2020, 16:23:19
Aber die Verbannung des Kasperle fand ich kacke und auch dass er zwar "erlöst" wurde, aber nicht zurück in den Reigen der Marionetten zu Hatü durfte. Ich vermenschliche das hier jetzt sehr, ich weiß, aber ich hätte es besser gefunden, wenn sich Hatü mit ihm ausgesöhnt hätte. ich kann ja noch verstehen, dass Hatü Probleme mit ihm hatte, Angst vor ihm hatte, weil er böse aussah und sich später geschämt hat, weil sie ihn so geschnitzt hat, wie die Nazis Juden verzerrt dargestellt haben.. Aber der Vater hat ihn doch noch verbessert und einen freundlichen Kasperle draus gemacht...zumindest vom Aussehen her. Aber dass Hatü irgendwann an die Juden erinnert wurde bei seinem Anblick wg. der Nase, dann hätte sie doch eher sich selbst böse sein müssen und sich dann irgendwann selbst verzeihen müssen. Und genau das hat sie eigentlich doch nie...sich selbst verziehen. Wenn das Kasperle wirklich irgendwann böse geworden ist, dann sollte sie sich vielleicht eher mal fragen, warum eine unschuldige Marionette böse wird. Ist für das Ego des Kasperle sicherlich nicht förderlich, wenn seine Schöpferin Angst vor ihm hat. Im Endeffekt hat sie alle ihre Marionetten geliebt, nur ihn nicht. Wie gesagt, das ist jetzt alles sehr vermenschlicht und ja, das Kasperle ist eine Marionette, aber es hat mir leid getan, es kann doch nichts dafür, dass sie ihn so geschnitzt und nie geliebt hat.
Das ging mir tatsächlich nicht so. Nun muss ich aber auch sagen, dass das Kasperle als Figur mir noch nie so wirklich am Herzen lag. Wenn es das Urmel gewesen wäre - vielleicht wäre es mir da ähnlich gegangen wie Dir?! Wobei, ich hab die Marionetten wohl tatsächlich nicht so mit 'eigenem Leben erfüllt' gesehen.  :kopfkratz:
Ich hab dafür das Buch sehr intensiv als Auseinandersetzung mit der Nazi- und der Nachkriegszeit gelesen. Und da passte das Kasperle einfach hinein. Dass er verbannt wurde: wie viele Menschen haben die Gäuel der Nazizeit verdrängt?! Und das Buch zeigt m.E. auch, dass diese Verdrängung zu einem guten Teil auch notwendig war, um überhaupt nach dem Krieg und all dem Schlimmen, was die Menschen gesehen und erlebt hatten, wieder auf die Beine zu kommen und nach vorn sehen zu können. Erst wenn man wieder ein wenig Normalität und Alltag hat, hat man die Zeit und Ruhe für eine Auseinandersetzung.
Wie das geschieht, wie viel verdrängt bleibt, ob man sich Dinge 'schön redet', sich doch irgendwann ernsthaft damit auseinandersetzt - da sind die Menschen verschieden. Vroni schaut den Film über die KZs an, Hatü ist es schon fast zu viel, mit Vroni darüber zu sprechen.
Dass Hatü so mit dem Kasperle hadert, liegt ja nicht daran, wie er genau jetzt aussieht. Es liegt eben daran, dass sie weiß, wie sie ihn geschnitzt hat und zumindest ahnt, dass sie sich das Judenbild der Nazis doch zu eigen gemacht hat. Zusammen mit ihren Erlebnissen um die Schulfreundin und Frau Friedmann kann sie sich das nicht verzeihen, verdrängt sie das. Kasperles Verbannung ist dafür das äußere Bild. Und als sie es dann schafft, dem Mädchen die ganze Geschichte zu erzählen, also sich dem zu stellen und sich damit auseinander zu setzen, da kann sie loslassen, kann Ruhe finden. Für mich muss das Kasperle nicht bei den anderen Marionetten bleiben - er sagt ja selbst, er ist erlöst. Man soll die Vergangenheit ja auch nicht festhalten, sondern kann es dann auch irgendwann ad acta legen, ziehen lassen.
Nein, das Kasperle ist nicht böse im Sinne von 'er hat einen miesen Charakter'. Das Bild des Juden, dass er verkörpert, beinhaltet diese Boshaftigkeit: sowohl das Aussehen als auch der Charakter wurde ja von den Nazis so verzerrt dargestellt. Dass der Vater dem Kasperl ein netteres Lächeln schnitzt, ist für mich Zeichen der Verdrängung und Hatü hat diese Erlebnisse ja nie so ganz verdrängen können/wollen. Es hat sie ja immer wieder beschäftigt.

Zitatdann hätte sie doch eher sich selbst böse sein müssen und sich dann irgendwann selbst verzeihen müssen
Genau so habe ich es empfunden. Und als sie sich verziehen hatte, konnte das Kasperl erlöst seiner Wege ziehen, sein eigenes Leben leben, statt als Symbol ihrer Gefühle quasi verwunschen zu sein.
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Christiane

Mein Fazit des Buches, das ich so auch hinten ins Buch geschrieben habe (Stichwort: serielle Leserunde/Wanderbuch  :zwinker:), will ich hier auch aufschreiben. Ich setze es ebenfalls in Spoiler-Klammern, denn ich finde, dies Buch sollte jeder erstmal für sich lesen, auf sich wirken lassen, seinen eigenen Zugang finden. Es ist so vielschichtig, man kann es auf so viele Weisen lesen, dass die Eindrücke von anderen Lesern einen da nur unnötig einschränken würden.

Hier also mein kurzes Fazit:
Spoiler
Mir hat das Buch sehr sehr gut gefallen. Die meiste Zeit war ich mittendrin in der Geschichte. Nur in der Passage beim NDR in Hamburg und noch eine Weile danach fand ich es nicht ganz so atmosphärisch rund. Das korrespondiert aber mit der Zeit, in der Hatü auch nicht so recht einig ist mit der Entwicklung der Puppenkiste & auch sich selbst. Irgendwie passt das daher für mich doch.
Zudem hab ich mich gefreut, vieles wieder zu erkennen: nicht nur Urmel, Jim Knopf und andere Marionetten, sondern auch Musik, Mode, Mobiliar, etc aus der damaligen Zeit. Denn auch wenn ich das nicht selbst miterlebt habe, bin ich doch mit all diesen Dingen aufgewachsen.
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Schön war's! Ein Lesehighlight 2020!

[note1]
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Kathrin

@Christiane: ich glaube, da muss ich jetzt erstmal drüber schlafen. Melde mich.
Rock the Night!

Christiane

Ja klar, mach das. Und wenn Du das Buch anders verstanden, gelesen hast - dann ist das so. Ich finde, das ist eine Stärke des Buches, dass es das hergibt. In der Beziehung gehört es in eine Kategorie mit Büchern wie z.B.  'Die unendliche Geschichte' oder 'Der kleine Prinz', die auch so viele verschiedene Leseebenen haben.
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Christiane

Am 13.10. gibt es vom Verlag eine Lesung aus 'Herzfaden', die man online verfolgen kann. So ganz bin ich nicht dahinter gekommen wie das laufen soll, bin da ja so eine Art 'Technik-Legasteniker'  :rotwerd:. Aber hier mal der Link, vielleicht seid Ihr ja schlauer:

https://www.kiwi-verlag.de/veranstaltung/lesung-und-gespraech-thomas-hettche-online-event-201013
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Kathrin

Hallo Christiane,

hab jetzt doch etwas länger drüber geschlafen, als ich wollte  :rotwerd:
Und ich bleib mit meiner Antwort weitestgehend im Spoiler aus dem bekannten Grund

Zitat von: Christiane in 07. Oktober 2020, 12:10:51
Ich bin jetzt durch, hab deinen Kommentar gelesen und erstmal eine Nacht darüber geschlafen. Ich antworte dann auch mal im Spoiler, denn es werden ja noch mehr Leute das Buch lesen und sollten dies wirklich erst lesen, wenn sie fertig sind. Ich glaube, das würde den eigenen Zugang zum Buch sonst zu sehr beeinflussen.
Das stimmt schon, wobei es mir vermutlich geholfen hätte, wenn ich das buch in einer Leserunde gelesen hätte und ich Deine Meinung, Deine Ideen zu dem, was ich kritisiert habe, beim Lesen entdeckt hätte. Ich kam mir gerade ein wenig wie in der Schule vor, weil ich wieder einmal nicht das aus einem Buch herausgelesen habe, was andere sehen. Das konnte ich schon in der Schule nicht. will damit aber nicht sagen, dass Du lehrerhaft rübergekommen bist, sondern einfach nur, dass man mich vielleicht etwas deutlicher auf Dinge hinweisen muss, weil ich es von alleine nicht sehe.

Spoiler

Zitat von: Christiane in 07. Oktober 2020, 12:10:51
Das ging mir tatsächlich nicht so. Nun muss ich aber auch sagen, dass das Kasperle als Figur mir noch nie so wirklich am Herzen lag. Wenn es das Urmel gewesen wäre - vielleicht wäre es mir da ähnlich gegangen wie Dir?!
Wobei für mich das Kasperle jetzt nie wichtiger war als andere Figuren im Puppen- oder Marionettentheater. Da hatte ich keine bestimmten Vorlieben. Okay, naja, vielleicht doch. Ich liebe den Seeelefanten beim Urmel :schmacht:

Zitat von: Christiane in 07. Oktober 2020, 12:10:51
Wobei, ich hab die Marionetten wohl tatsächlich nicht so mit 'eigenem Leben erfüllt' gesehen.  :kopfkratz:
Aber wofür musste dann diese Rahmenhandlung mit dem Mädchen auf dem Dachboden sein. Oder besser gesagt, warum waren die Marionetten dann da lebendig? Da hätte es doch auch gereicht, wenn Hatü ihre Geschichte einfach erzählt hätte.

Zitat von: Christiane in 07. Oktober 2020, 12:10:51
Ich hab dafür das Buch sehr intensiv als Auseinandersetzung mit der Nazi- und der Nachkriegszeit gelesen. Und da passte das Kasperle einfach hinein. Dass er verbannt wurde: wie viele Menschen haben die Gäuel der Nazizeit verdrängt?!
Siehst Du, und das ist so was, was ich alleine nicht gesehen habe. Für mich war das Kasperle verbannt worden und nicht verdrängt.

Zitat von: Christiane in 07. Oktober 2020, 12:10:51Und das Buch zeigt m.E. auch, dass diese Verdrängung zu einem guten Teil auch notwendig war, um überhaupt nach dem Krieg und all dem Schlimmen, was die Menschen gesehen und erlebt hatten, wieder auf die Beine zu kommen und nach vorn sehen zu können. Erst wenn man wieder ein wenig Normalität und Alltag hat, hat man die Zeit und Ruhe für eine Auseinandersetzung.
Da bin ich bei Dir.

Zitat von: Christiane in 07. Oktober 2020, 12:10:51
Dass Hatü so mit dem Kasperle hadert, liegt ja nicht daran, wie er genau jetzt aussieht. Es liegt eben daran, dass sie weiß, wie sie ihn geschnitzt hat und zumindest ahnt, dass sie sich das Judenbild der Nazis doch zu eigen gemacht hat. Zusammen mit ihren Erlebnissen um die Schulfreundin und Frau Friedmann kann sie sich das nicht verzeihen, verdrängt sie das. Kasperles Verbannung ist dafür das äußere Bild. Und als sie es dann schafft, dem Mädchen die ganze Geschichte zu erzählen, also sich dem zu stellen und sich damit auseinander zu setzen, da kann sie loslassen, kann Ruhe finden. Für mich muss das Kasperle nicht bei den anderen Marionetten bleiben - er sagt ja selbst, er ist erlöst. Man soll die Vergangenheit ja auch nicht festhalten, sondern kann es dann auch irgendwann ad acta legen, ziehen lassen.
Das ergibt, so wie Du es schreibst, alles Sinn. Im Endeffekt hätte es meiner Meinung zu dem Buch gut getan, wenn ich das selbst erkannt hätte. Jetzt nervt es mich fast schon wieder, dass ich es nicht selbst erkannt habe und dass mir dieses so tief hinter die Worte schauen zu müssen, den Genuss des Buches fast schon vergällt hat. Das hat mich in der Schule schon genervt. Wenn hier nur einmal das Wort "verdrängt" angeklungen wäre, hätte mir das schon geholfen. Ich will ein Buch lesen und mich mitreißen lassen und nicht er das Gelesene über Nacht in meinem Kopf rumspuken lassen, bis ich verstehe (wenn ich es überhaupt von selbst verstehe), was der Autor mir sagen wollte.

Zitat von: Christiane in 07. Oktober 2020, 12:10:51
Nein, das Kasperle ist nicht böse im Sinne von 'er hat einen miesen Charakter'. Das Bild des Juden, dass er verkörpert, beinhaltet diese Boshaftigkeit: sowohl das Aussehen als auch der Charakter wurde ja von den Nazis so verzerrt dargestellt. Dass der Vater dem Kasperl ein netteres Lächeln schnitzt, ist für mich Zeichen der Verdrängung und Hatü hat diese Erlebnisse ja nie so ganz verdrängen können/wollen. Es hat sie ja immer wieder beschäftigt.
Irgendwie aber auch ziemlich traurig, dass Hatü das erst verarbeitet, als sie schon tot ist.
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LG
Kathrin
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