Eva Menasse - Dunkelblum

Begonnen von Esmeralda, 07. Februar 2022, 08:53:17

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Kathrin

#15
Ich habe mir gerade Inges Rezi zu "Dunkelblum" nochmal durchgelesen und eigentlich würde ich das am liebsten Wort für Wort kopieren. Besser kann ich meine Meinung zu dem Buch auch nicht wiedergeben, aber ich versuche es trotzdem mal.

Wow! Was für ein tolles Buch! ,,Dunkelblum" war zwar das erste Buch der österreichischen Autorin Eva Menasse für mich, aber sicherlich nicht das letzte. Sie hat mich mit ihrer vom ersten Satz an in ihren Bann gezogen und ich habe sowohl die Sprache und Geschichte als auch die tolle Leserunde total genießen können!

Dunkelblum ist ein fiktiver Ort in Österreich, kurz vor der ungarischen Grenze. Angelehnt ist der Ort an die österreichischen Gemeinde Rechnitz, in der im Jahr 1945 von dort stationierten SS-Leuten ein Massaker an etwa 200 jüdischen Zwangsarbeitern verübt wurde. Aber auch andere Begebenheiten aus der Zeit des zweiten Weltkrieges in Österreich webt die Autorin in die Geschichte ein, was zusammen mit der großen Anzahl an Dunkelblumern zu eine unglaubliche komplexe Geschichte ergibt, bei der ich all meine Sinne und Konzentration zusammennehmen musste, um den Durchblick nicht zu verlieren.

Die eigentliche Geschichte spielt im Sommer 1989. Mehrere Fremde sind in Dunkelblum, darunter eine Gruppe Studierende, die den jüdischen Friedhof sanieren wollen und ein rätselhafter Besucher, der mit seinen unermüdlichen Fragen etliche Dunkelblumer aufschreckt. Es gibt keine klare Hauptfigur in dem Buch, dafür umso mehr Figuren, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird ... oder auch nicht erzählt wird. Denn was die Dunkelblumer eint, ist ihr ,,tosendes Schweigen" über Dinge – große und auch kleine individuelle Geheimnisse, die teilweise schon lange zurückliegen. Mal wird hier ein Spotlight hingerichtet, mal dort, mal sind wir in der Vergangenheit im zweiten Weltkrieg, mal bei den DDR-Flüchtlingen, die hinter der nahgelegenen Grenze in Ungarn auf die Weiterreise warten. Es wirkt wie ein großer bunter Wandteppich, der sich aus vielen kleinen Bildern zusammensetzt und eine große, spannende Geschichte erzählt.

Ich habe die Sprache der Autorin als bildgewaltig und ehrlich empfunden. Mit einem bissigen, feinen Humor fängt sie so grandios gut ein, wie so eine Kleinstadt mit ihren so unterschiedlichen Bewohner funktioniert und tickt, wer mit wem oder gegen wen und die vielen Andeutungen, die sie macht, die großen und kleinen Geheimnisse, die unter der Oberfläche aufblitzen, haben eine absolute Sogwirkung auf mich gehabt. Sie fängt den Zeitgeist so gut ein, stellt tolle Vergleiche an und hat so viele tolle Szenen und einzelne Sätze in ihren Roman gepackt, dass evtl. kleinere Kritikpunkte – zumindest für mich – nicht ins Gewicht fallen. Ein Kritikpunkt war z.B. ein wenig Schwafelei um Dinge, die nicht wirklich was für die Geschichte tun und die mich weniger interessierten oder auch das Ende, das man wirklich mögen muss. Auch ich musste erstmal schlucken, aber inzwischen feiere ich das Ende, genau so wie es ist. Da ich leider noch eine ,,alte" Ausgabe ohne Personenregister habe, bin ich mitunter ein wenig ins Schwimmen geraten. Ohne meine Notizen und die Leserunde hätte ich in der Geschichte durchaus auch verloren gehen können.

Alles in allem war es ein wirklich grandioses Buch mit einer tollen Geschichte und Sprache, mit sperrigen, mit liebenswerten aber auch mit absolut hassenswerten Figuren und einer Kleinstadt, die so echt wirkt und aus der ich gar nicht auftauchen wollte.

Bewertung:
[note1]
Rock the Night!

Inge78

Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf