Intro bis Kapitel 7

Begonnen von Inge78, 13. Dezember 2016, 08:00:31

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Inge78

Hier bitte nur den Inhalt der angegebenen Kapitel beposten  :brav:
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Inge78

Guten Morgen zusammen

Ich freue mich auf die Leserunde mit Euch
Ich habe das Buch ja bereits gelesen deshalb muss ich mich sehr zusammen reißen nicht zu viel zu schreiben und zu spoilern

Aber ich habe direkt mal eine Frage:

Wenn ihr in der Situation wie Toni wärt , ihr kommt aus einem Urlaub nach Hause und quasi vor eurer Nase hätten sie eine Flüchtlingsunterkunft gebaut, wie würdet ihr reagieren?

Ich habe mich das beim Lesen ständig gefragt und frage mich das auch jetzt noch

Und es ist traurig zu sagen dass ich glaube ich auch erst mal ein ungutes Gefühl hätte ... vor Allem weil ich Sorge vor Ärger und Randale hätte
Nicht nur von Seiten der Flüchtlinge sondern eben auch von Seiten "rechter Wutbürger" die dann ja auch vermehrt dort auftauchen könnten

Andererseits bin ich schon auch neugierig und interessiert an anderen Kulturen
Aber ich komme kaum in Kontakt mit Flüchtlingen bzw Asylbewerbern
Wie ist das bei Euch?
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Christiane

Hallo Inge,

ja, die Frage stellt man sich natürlich als erstes. Und ich glaube, wenn man ehrlich ist geht es den meisten wie Dir - man hätte schon ein ungutes Gefühl. Das liegt an verschiedenen Dingen, und einige davon haben mit Ablehnung der Flüchtlinge nicht oder wenig zu tun. 'Zuhause' ist ja das was man kennt, was einem vertraut ist. Und gerade wenn so eine Veränderung unangekündigt und in meiner Abwesenheit passiert und ich so garkeine Mitsprachemöglichkeit hatte, dann reicht allein das schon für dies Gefühl.
Dann kann man sich natürlich auch schöneres vorstellen als so einen Zaun direkt vor der eigenen Nase, egal was da eingezäunt wird.
Weiter glaube ich, dass es nie gut ist, viele Menschen so in eine Art 'Ghetto' zu stecken. Noch dazu, wenn diese Menschen ohnehin unter extremen Belastungen stehen. Das muss bei den Menschen untereinander fast zwangsläufig zu Spannungen führen, schon weil es zu wenig Privatsphäre gibt, der Streß sich Ventile sucht,... Und die Konstellation macht es den Ortsansässigen schwer, den Einzelnen zu sehen, die Leute kennenzulernen, Kontakt aufzunehmen.
Deine Bedenken, dass zusätzlich Randale von Seiten rechter Wutbürger und Neonazis zu befürchten ist, teile ich ebenfalls. Und das würde ich eigentlich als größte Gefahr für mich und meine Familie sehen. Denen, wenn sie in Gruppen auftreten, möcht ich ganz sicher nicht im Dunkeln begegnen und ich möchte mir auch nicht vor meinem eigenen Haus überlegen, ob ich sagen kann was ich denke, ohne dass mich die Wutbürger aufs Korn nehmen.

Direkten Kontakt zu (einigen wenigen) Flüchtlingen habe ich seit etwa einem guten halben Jahr. An der Schule meiner Kinder sind im Frühjahr die ersten Flüchtlinge eingeschult worden. Sie bekommen zwar einen Deutschintensivkurs, gehen daneben aber auch in ihre jeweiligen 'normalen' Schulklassen. Ich helfe an zwei Tagen pro Woche in dem Deutschkurs, da der öffentlich finanzierte Betreuungsschlüssel leider katastrophal schlecht ist. Eine Lehrkraft mit 20 Schülern aus x Nationen, unterschiedlichem Alter, unterschiedlichem Bildungsstand aus ihrem Herkunftsland und ebenso unterschiedlichen Deutschkenntnissen - dazu Kinder, die erstmal (wieder) lernen müssen, wie Schule funktioniert.
Ja, und so kenn ich jetzt eben eine handvoll Flüchtlinge persönlich. Und es sind genauso nette, pfiffige, freche, faule, sympathische und unsympathische Kinder wie in jeder beliebigen 'normalen' Schulklasse auch - na, wer hätte das gedacht?!  :zwinker:
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Inge78

ZitatJa, und so kenn ich jetzt eben eine handvoll Flüchtlinge persönlich. Und es sind genauso nette, pfiffige, freche, faule, sympathische und unsympathische Kinder wie in jeder beliebigen 'normalen' Schulklasse auch - na, wer hätte das gedacht?!  :zwinker:

So eine Überraschung  :->
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Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

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Inge78

#4
So, ich fange mal einfach an und gebe meine Gedanken erstmal ungefiltert weiter

Zum Einen kann ich schon mal sagen dass ich die Idee mit den SMS und Nachrichten zu Beginn der Kapitel wirklich sehr gut finde. Die machen die Geschichte so real , so persönlich

Als Toni mit ihrer Familie aus dem Urlaub wiederkommt wurde das Tennisheim gegenüber ihrem Haus zu einer Flüchtlingsunterkunft
Gibt es eigentlich Vorgaben welche Gebäude Flüchtlingsunterkunft werden können und wie viel Platz wird einem Flüchtling "gewährt"  :kopfkratz:

Die Einzäunung kann ich sogar verstehen, es geht ja auch um etwas Privatspähre der Flüchtlinge aber man muss sich doch wirklich komisch vorkommen hinter so einer Wand

Und ich muss sagen, ich kann den Vater sogar ein Stück weit verstehen ... es ist so typisch, man denkt schon dass Flüchtlinge natürlich schon kommen dürfen aber doch bitte nicht in meine Nähe, ich glaube so denken -leider- viele. Die Angst vor dem Unbekannten

Fee finde ich übrigens richtig toll, die ist so spontan, sie denkt (etwas) zu wenig nach und handelt einfach. Eine tolle Freundin und ich mag den Namen

Müssen die Helfer eigentlich volljähring sein? Ich wundere mich schon dass die Mädels da einfach so mithelfen können bzw Fee einfach so mitgeholfen hat

Und Antonia hat eine "Vorgeschichte" in Bezug auf Ausländer
Ich finde ja dass ist ein bisschen sehr Klischee und lässt natürlich gerade an Köln denken

Wobei ich sie schon verstehen kann als sie Panik bekommt als so viele Fremde auf sie einstürmen, dass hat noch nicht mal was mit den Flüchtlingen zu tun, so würde man auch bei einer Gruppe deutscher Jugendlicher denken

Dass Antonia ihren Namen auf die Unterschriftenliste schreibt bereut sie bestimmt noch

Und diese Hetznachrichten , die Toni in den sozialen Netzwerken liest laufen einem jetzt ja ständig über den Weg , gerade auch in den "Ortsgruppen" bei Facebook . Traurig . Und ich frage mich oft ob ich besser ignorieren soll oder dazu was schreiben soll  :rotwerd:

Und dann begegnet Toni Shirvan, eine schöne Begegnung. Dieses Missverständnis mit den Mülltüten passiert wahrscheinlich ständig weil es die Sprachbarriere gibt, die nicht so einfach zu überwinden ist. Wie gut dass Shirvan da ist und übersetzen kann.

Jenny, kannst Du sagen wie viele der Flüchtlinge sich gut verständen können?
Können viele Englisch ? Deutsch ja wahrscheinlich eher nicht

Und waren die Verhältnisse in den Flüchtlingsunterkünften so chaotisch wie du es im Buch schilderst?
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Christiane

Hallo Inge,

ich bin noch nicht so arg weit, kann daher noch nicht zu allem etwas schreiben. Ich will jetzt auch nur kurz eine Sache rausgreifen, die ich ganz anders empfunden hab als Du. Du sagst, dass Du Antonias Vorgeschichte mit den Schlägern zu sehr 'Klischee' findest. Das fand ich garnicht so. Ich hab eher gedacht, dass das erklärt warum sie die Nähe der Flüchtlinge tatsächlich als bedrohlich empfindet, dabei aber ja eigentlich die gängigen Ressentiments gegenüber Ausländern garnicht teilt. Diese Geschichte ist auch für jemanden, der z.B. in der Nothilfe aktiv ist, nachvollziehbar. Und da sie ja selbst sagt, dass die Typen, die sie überfallen haben, akzentfreies Deutsch sprachen, betont es eigentlich eher, dass die Vorurteile gegenüber den Kriegsflüchtlingen Humbug sind. Ein guter Einstieg dafür, sich über die Vorurteile der Leute und auch die eigenen mal Gedanken zu machen.

Was die Verhältnisse in den Unterkünften angeht war es hier bei uns GsD weit entfernt von diesem Chaos. Die Stadt und der Kreis haben da unglaublich gute Arbeit geleistet. In Rekordzeit wurden leerstehende Immobilien für die Menschen vorbereitet. Und dazu gab es immer auch Infoveranstaltungen für die Leute in der Nachbarschaft, die Informationspolitik war wirklich vorbildlich. Natürlich geht es nicht völlig reibungsfrei, aber ich war total von den Socken, dass es doch so gut lief. Und es gab und gibt total viele Leute, die ehrenamtlich auf unterschiedlichste WEise helfen. Angefangen von Sammlung und Verteilung von Sachspenden (die auch reichlich kamen) über Leute, die alte Fahrräder aufgemöbelt und an Flüchtlinge gegeben haben, bis zu gemeinsamen Kochveranstaltungen o.ä. gibt es alles und nichts. Und das sind nur so ein paar Dinge, die ich zufällig mitbekommen hab.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Inge78

ZitatIch will jetzt auch nur kurz eine Sache rausgreifen, die ich ganz anders empfunden hab als Du. Du sagst, dass Du Antonias Vorgeschichte mit den Schlägern zu sehr 'Klischee' findest. Das fand ich garnicht so. Ich hab eher gedacht, dass das erklärt warum sie die Nähe der Flüchtlinge tatsächlich als bedrohlich empfindet, dabei aber ja eigentlich die gängigen Ressentiments gegenüber Ausländern garnicht teilt. Diese Geschichte ist auch für jemanden, der z.B. in der Nothilfe aktiv ist, nachvollziehbar. Und da sie ja selbst sagt, dass die Typen, die sie überfallen haben, akzentfreies Deutsch sprachen, betont es eigentlich eher, dass die Vorurteile gegenüber den Kriegsflüchtlingen Humbug sind. Ein guter Einstieg dafür, sich über die Vorurteile der Leute und auch die eigenen mal Gedanken zu machen.

Die Tatsache mit dem "akzentfreien Deutsch" ist mir persönlich gar nicht so bewusst geworden, aber Du hast recht ... das ist eindeutig eine Angrenzung zu den Flüchtlingen  :hau:


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(aus "ES" von Stephen King)

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- Virginia Woolf

Jennifer B.

Es geht schon los, das ist ja prima!
Ganz ehrlich - natürlich würde ich auch erst mal ganz dumm aus der Wäsche gucken, wenn gegenüber meines Hauses plötzlich irgendetwas Neues, Unbekanntes - und zutiefst Hässliches erscheinen würde. Ich glaube, es gibt nur ganz wenige Leute, die dann auf Anhieb "Juchu, neue Nachbarn" rufen  :applaus1:
Wobei ich witzigerweise erst in 2015 erfahren habe, dass wir ein normales Flüchtlingsheim in unmittelbarer Nähe haben. Ich bin da seit unserem Einzug in 2011 jeden Tag 2-3 mal mit den Hunden vorbei gegangen und habe nie gemerkt, dass das ein Asylbewerberheim ist. Aber so eine Notunterkunft mit Sichtschutzzäunen, Schlafsälen und Schlepperlastern, die da schon mal direkt vor der Tür halten können, ist eine ganz andere Geschichte. Klar reagiert man da zunächst mal ... kritisch und fragt sich: Hätte das nicht wo anders sein können?
Da muss man sich ja nur mal anschauen, was passiert, wenn irgendwo ein Kindergarten eröffnet wird. Da sind auch nicht alle Nachbarn glücklich. (Ich wäre es wohl auch nicht  :meditate1:.)

In *meiner* NUK (NUK = Notunterkunft und *meine* sage ich, wenn ich die meine, in der ich ein halbes Jahr lang Deutschkurse gemacht habe) war es tatsächlich genau wie im Buch. Die unmittelbaren Nachbarn kamen aus dem Urlaub und standen mit großen Augen vor dem Zaun, der um die Turnhalle einer Grundschule gebaut worden war. Ihr Küchenfenster guckte genau gegen den Bürocontainer. Die haben es aber nach dem ersten Schreck pragmatisch gesehen und sich prima damit arrangiert - die NUK stand dann auch nur ein gutes halbes Jahr.

An Chaos war es auch bei uns in der ersten Zeit kaum zu toppen. Die Info, unsere Stadt müsste Notunterkünfte bereitstellen, kam 48 Stunden vor der offiziellen Ankunft der ersten 100 Menschen - die kamen dann 5 Stunden zu früh (mitten in der Nacht!) und es waren 180. Zwei Busse voller Menschen kamen ohne Gepäck - das war irgendwo beim Umsteigen/ Umladen verloren gegangen - die Leute hatten also nicht mal eine Unterhose zum Wechseln.
Die Bürger waren natürlich komplett geteilter Meinung, vor allem an der zweiten NUK kam es viel Gegenwehr, denn die stand auf dem Gelände eines Gymnasiums - Leerstand gibt es in Langenfeld einfach nicht. Lief dann aber hervorragend - die Oberstufen haben dann u.a. Deutsch- und Sport-AGs angeboten und dadurch, dass die Flüchtlinge in der Mensa versorgt wurden, kam es ganz viel zu Kontakt und es gab keinerlei Abgeschiedenheit - was SO viel wert ist!
Der Kika berichtete uA mehrmals drüber - es war sehr nett da.

Was die Ehrenamtler betrifft, hing das bei uns immer komplett davon ab, wer die NUK leitete, das waren idR DRK oder Malteser und da gab es in den ersten Wochen keinerlei offiziellen Richtlinien. In manchen Einrichtungen konnte jeder ohne ein Wort rein- und rausspazieren, andere wurden komplett abgeschottet - da durften auch keine Ehrenamtler rein -, wieder andere hatten bestimmte Bedingungen. Witzig wurde es, wenn die Leitung wechselte - was überall mehrmals der Fall war, da Leute hinschmissen oder sich einfach als unfähig herausstellten. Da galten von heute auf morgen andere Regeln - ich habe da einige Male sehr böse werden müssen, um meinen Deutschkurs weiterführen zu können.
Vorgaben von der Bezirksregierung (die für alle Notunterkünfte verantwortlich ist) gab es zunächst nur für den Bereich Küche und Sanitär. Wozu übrigens auch die Anweisung gehörte, die Flüchtlinge dürften keinesfalls selbst in den Gemeinschafts- oder Sanitärbereichen putzen - aus versicherungstechnischen Gründen. Regelungen für Ehrenamtler gab es erst später; das wird im Buch auch noch Thema.

Zitat von: Christiane in 13. Dezember 2016, 20:50:14
Ja, und so kenn ich jetzt eben eine handvoll Flüchtlinge persönlich. Und es sind genauso nette, pfiffige, freche, faule, sympathische und unsympathische Kinder wie in jeder beliebigen 'normalen' Schulklasse auch - na, wer hätte das gedacht?!  :zwinker:

Ja, das war auch exakt mein Erleben, wobei ich das auch noch auf die Erwachsenen ausweiten kann.





Jennifer B.

Zu dem Überfall in Tonis Vergangenheit habe ich mich aus einem bestimmten Grund entschieden.
Ich habe während meiner Recherche ja nicht nur mit Geflüchteten und Ehrenamtlern gesprochen, sondern auch mit kritischen Menschen und Gegnern. Die Frage nach dem Grund ihrer Ablehnung brachte eigentlich immer eine Antwort: "schlechte Erfahrung". Wie diese Erfahrungen aussahen, ging dann im Einzelnen sehr weit auseinander.
(Es gibt da auch ganz interessante Erhebungen, dass weiße Deutsche sehr stark dazu neigen, eine Personengruppe als "Gruppe von Ausländern" zu bezeichnen, wenn nur eine Person in der Gruppe äußerlich stark auf eine andere Nationalität hindeutet - selbst wenn die anderen alle blond und blauäugig sind! - Passt gerade ganz gut zu der Statistik, dass die Deutschen durchschnittlich davon ausgehen, dass in D 21% Muslime leben, obwohl es nur gute 5% sind.)

Es war mir aber wichtig, diese häufig genannte Antwort "schlechte Erfahrung" aufzunehmen; das ernst zu nehmen - sonst hätte ich nicht fragen müssen, denn auch wenn es eben "postfaktisch" sein mag, um mal dieses halbschicke neue Wort zu bemühen - gefühlt ist es für viele eben wahr. Letztlich ist es in der Großstadt nicht so unwahrscheinlich, in einen unangenehmen Kontakt mit einer Gang zu geraten. Ist mir in meiner Jugend drei mal passiert, und mit Sicherheit sahen davon auch mal welche aus, als würden sie oder ihre Vorfahren nicht aus Deutschland oder Schweden stammen.

Inge78

ZitatEs gibt da auch ganz interessante Erhebungen, dass weiße Deutsche sehr stark dazu neigen, eine Personengruppe als "Gruppe von Ausländern" zu bezeichnen, wenn nur eine Person in der Gruppe äußerlich stark auf eine andere Nationalität hindeutet - selbst wenn die anderen alle blond und blauäugig sind! - Passt gerade ganz gut zu der Statistik, dass die Deutschen durchschnittlich davon ausgehen, dass in D 21% Muslime leben, obwohl es nur gute 5% sind

ich glaube dieses subjektive Empfinden ist wirklich stark ausgeprägt
Man hört wirklich aus allen Ecken "ich sehe nur noch Ausländer" "immer diese Gruppe von Ausländern die herum ziehen" "die ganze Stadt ist voll von Ausländern"

Wenn man aber mit offenen Augen durch die Gegend geht empfinde ich nicht dass es so viel mehr fremdländische Menschen gibt.

Aber natürlich hört man trotzdem immer wieder dass Deutschland ja quasi "überrannt" wird

Und dass man blöd von irgendwelchen Gruppen von Halbstarken angemacht wird passiert ja leider immer wieder mal
Sogar ich wechsle bewusst die Straßenseite wenn mir eine Gruppe entgegenkommt, wobei ich das aber unabhängig von der vermeintlichen Staatsangehörigkeit mache

Und "postfaktisch" ist wirklich ein erschreckendes Wort
Aber natürlich werden gerade solche Gefühle die nicht auf Tatsachen beruhen sehr schnell weiter verbreitet, bei sowas sind die sozialen Medien leider viel zu gut
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Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
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- Virginia Woolf

Inge78

Wie real sind eigentlich die Personen im Buch?

Sind Toni und Shirvan und Fee und Saskia ein "Durchschnitt" der Personen die Du im Rahmen der Arbeit als Helferin in der "Nuk" kennen gelernt hast?


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Christiane

Das gleiche Phänomen kenn ich auch aus ganz anderen Zusammenhängen. Als ich schwanger war sah ich plötzlich überall nur Schwangere und Menschen mit kleinen Kindern. Und das waren definitiv nicht urplötzlich so viele mehr geworden.  :-) Da ist einem gleich klar, dass man einfach nur einen anderen Blick auf die Welt bekommen hat.
Nun waren die Flüchtlinge ja im vergangenen Jahr immer und überall Thema. Da ist schon klar, dass man da genauso sensibilisiert durch die Welt läuft und dabei dies Gefühl entsteht, es seien 'plötzlich überall' Flüchtlinge. Nur ist die Gefühl bei vielen Leuten eher negativ besetzt und die wenigsten machen sich klar, dass es vor allem an ihnen selbst liegt und nicht an der objektiven Anzahl an Migranten  :hau:.

Seit ich mal irgendwo Zahlen dazu gelesen hab versuch ich in Gesprächen oft, das für die Leute greifbarer zu machen. Zum Beispiel: prozentual gesehen sind so viele Flüchtlinge gekommen als wenn wir im Verein 4 Familien dazu bekommen hätten. Da würde auch nicht gleich die Welt zusammenbrechen, der Verein würde nicht 'überrannt' und wir würden dadurch auch nicht unsere Trainingsmethoden plötzlich auf den Kopf stellen. Wenn ich es so konkretisiere sind die meisten Leute bisher doch wenigstens mal bereit gewesen, drüber nachzudenke ob das wirklich so schlimm ist wie sie denken.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Jennifer B.

Normalerweise achte ich darauf, dass meine Figuren möglichst keine Ähnlichkeiten zu realen Menschen haben - hier bin ich daran grandios gescheitert und habe es dann auch aufgegeben.
Ein paar Figuren laufen original so rum; ihr könnt im späteren Verlauf mal raten.
Shirvan ist tatsächlich so eine Art "Durchschnittstyp" - seine gesamte Geschichte ist aus den Erzählungen unterschiedlicher junger Frauen und Männer zusammengesetzt.
Ich habe dazu insgesamt über 50 Geflüchtete interviewt (plus deutsche) und war neben *meiner NUK* in 17 weiteren, um mit Leuten zu reden. Allen ist gemein, dass sie unglaublich gerne erzählen und total erleichtert sind, mal jemanden zu haben, den das interessiert. Einige hatten aber große Angst, mit dem Buch in Verbindung gebracht zu werden. Einige haben tatsächlich auch nach Monaten in Deutschland noch Angst, verfolgt zu werden - oder befürchten, dass ihre Interviews mit mir mich in Gefahr bringen könnten. Daher habe ich da sehr, sehr stark auf Verfremdung geachtet und die öffentlichen Kontakte (z.B. über Facebook) zu vielen sind gekappt, weil es ihnen damit besser geht.

Jennifer B.

Christiane, mir ist mal etwas sehr, sehr lustiges (na ja, mit meinem Humor lustig - eigentlich eher traurig!)  passiert, als ich mit einer Autorenkollegin durch Düsseldorf zog. Sie trägt ein Kopftuch. Hinter uns nuschelte jemand: "Boar, überall nur noch Flüchtlinge am Rumrennen!", meinte damit definitiv meine Kollegin. Und sie drehte sich um und erwiderte: "Ja wirklich. Es wird doch immer komplizierter, wenn man sich nur ein einziges Mal in korrektem Deutsch unterhalten möchte, nicht wahr. Wofür habe ich denn Linguistik studiert!"
Der dumme Gesichtsausdruck war es echt wert  :bang:

Christiane

Oh, das Gesicht hätt ich auch zu gern gesehen!! Auch wenn es wie Du sagst ja eigentlich traurig ist - drüber lachen ist die beste mögliche Reaktion. 'Humor ist wenn man trotzdem lacht'  :-).

Hier bei uns haben die Leute es durchaus auch schwer: hier (ich wohne im Umland von Kaiserslautern) gibt es total viele Amerikaner (wegen der Airbase Ramstein) und darunter natürlich auch immer schon etliche Schwarze. Dann gibt es wie überall natürlich auch Leute, die nicht schon seit x  Generationen aus deutschen Landen kommen, aber trotzdem hier aufgewachsen sind. Dazu noch die Uni und etliche Institute, an denen jede Menge Studenten, Forscher, Mitarbeiter aus aller Herren Länder arbeiten. Da kann man echt schon mal ins Schleudern geraten, wenn man jemanden als 'FLüchtling' bezeichnet  :-).

Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)