Brigitte Glaser - Rheinblick

Begonnen von Inge78, 18. März 2019, 06:50:47

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Inge78

Bundestagswahlen 1972. Nach der Wahl beginnen die Koalitionsverhandlungen. Und Hilde Kessel ist als Wirtin des beliebten Lokals "Rheinblick" mittendrin und erfährt so Einiges,was lieber geheim bleiben sollte. Gleichzeitig kämpft Willi Brandt mit der Logopädin Sonja um seine Stimme.

Deutsche Geschichte, über die ich viel zu wenig weiß. Brigitte Glaser zeichnet ein lebendiges Portrait der politischen Situation im Deutschland der jungen 70er Jahre.
Ich bin ein Kind der späten 70er Jahre, einige Namen sagen mir auch noch was aber sehr bewusst habe ich die Politik damals natürlich nicht mitbekommen. Umso interessanter, hier einen Einblick in Romanform zu erhalten. Dabei verwebt die Autorin geschickt reale politische Ereignisse mit einer fiktiven Geschichte. Dabei stehen nicht die bekannten Politiker im Zentrum der Geschichte sondern zwei normale Frauen, die ihrer Arbeit nachgehen. Im Nachwort erklärt die Autorin welche Personen real und welche fiktiv sind.

Die Story ist mir viel Lokalkolorit untermalt und gerade der gesprochene Akzent vieler Akteure macht das Buch auch so realistisch.
Brigitte Glaser schafft es, Spannung aufzubauen, so dass man das Buch gut in einem Rutsch lesen kann. Es gibt einen fiktiven Mordfall, und viele interessanten Personen die Aspekte des Lebens der 70er beleuchten die mir gar nicht so bewusst waren
Gefühlt endet das Buch mitten in der Geschichte. Die Story an sich ist abgeschlosse aber trotzdem verlassen wir viele der Personen natürlich mitten in ihrem Leben. Gerade in Bezug auf Willy Brandt tut mir das schon sehr leid. Günter Guilaume läuft zB mal "durchs Bild" aber mehr erfährt man dann nicht, das ist schon irgendwie schade.

Das Cover finde ich sehr passend, zum Titel und zur Zeit der 70er Jahre.

Ich denke, ich habe viele Andeutungen und Personen nicht erkannt, weil ich mich in der Zeit zu wenig auskenne, nichtsdestotrotz habe ich das Buch sehr gerne und mit Interesse gelesen

[note2]
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Esmeralda

Und wieder eine Rezi, die mich neugierig macht, gerade im Hinblick, dass ich ein Kind der frühen 70er Jahre bin.
Menno, wann soll ich eigentlich all die Bücher lesen, die Ihr hier empfehlt.  :dong:
Life is too short to read bad books. 

Christiane

Ich hab das Buch nun auch gelesen und es hat mir gut gefallen. Aber ganz so begeistert wie Inge bin ich nicht. Ich hatte mir an der ein oder anderen Stelle wohl ein bisschen mehr erwartet.
Kanzler Brandt ist tatsächlich nicht so im Fokus des Geschehens und so bleibt er doch ein wenig blass. Man kommt ihm nicht so richtig nahe und ich denke, ihn hätte man doch noch etwas klarer zeichnen können. Seine Frau Ruth läuft quasi immer nur durchs Bild und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nie auch nur ein Wort mit der Logopädin ihres Mannes gesprochen hätte. Die Möglichkeit war gegeben und sie bleibt total distanziert.

Spannend fand ich die Verwicklungen um die Regierungsbildung, die ja zumindest auf wahren Begebenheiten beruhen.
Aber auch andere reale Figuren wie Ehmke oder Schmitt bleiben irgendwie genau so fremd wie man sie aus dem Fernsehen kennt - öffentliche Personen, denen man aber persönlich nicht näher kommt, die man als Mensch nicht wirklich kennenlernt. Die Darstellung dieser Personen im Buch beschränken weitgehend auf einige wenige Klischees, die man auch als typisch für sie schon kennt. Da gibt es einfach nichts Neues.

Dann die Darstellung des WG-Lebens anno '72. Das ist schon ganz gut umrissen mit all den Diskussionen, etc. Aber auch hier hatte ich wohl einfach ein bisschen mehr erwartet. Mehr Details, ein tieferer Einstieg,... Es bleibt mir alles ein wenig zu sehr in Klischees stecken, bleibt oberflächlich.

Trotzdem: die Figuren der Kneipenwirtin und der Jungjournalistin haben mir sehr gut gefallen. Sie waren so lebendig gezeichnet, dass man mit ihnen miterleben konnte, dass man sich einfühlen konnte. Die Logopädin hätte auch so sein können. Aber in dieser Figur kamen so viele Ideen der Autorin zusammen, dass keine so auserzählt wurde, wie ich es mir gewünscht hätte. Das fand ich sehr schade.

Und nochmal trotzdem: ich hab das Buch gern gelesen, es las sich locker weg und hat mir einiges an Erinnerung an diese Zeit gebracht. Daher trotz der Kritik eindeutig ein Lesevergnügen!

[note2-]
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Inge78

Vielleicht ist mir die Zeit einfach fremder und deshalb war so Vieles neu für mich und vielleicht fehlte mir deshalb diese Tiefe nicht
Ich habe auch über die Politiker neues erfahren. Und mehr Politiker wäre auch mehr "Roman" gewesen, weil Brigitte Glaser dann hätte noch mehr Unterhaltung erfinden müssen

Aber gut, dass es Dir auch gefallen hat

Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Christiane

Ja, genau das hab ich mir auch schon gedacht. Ich hab '72 ja doch schon das ein oder andere mitbekommen. Vor allem auch, weil durch meine 10 Jahre ältere Schwester daheim immer diskutiert wurde.
Für  meinen Geschmack hätte das Buch gern 'mehr Roman' sein dürfen - also einfach noch einiges an Seiten mehr  :->.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)