Feuerpferd- Jane Smiley

Begonnen von wingfoot, 29. Juli 2008, 11:37:49

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wingfoot

Verlag: Krüger, Frankfurt (2002)
Ausgabe: Hardcover, 765 S.
ISBN-10: 3810519154
ISBN-13: 978-3810519153
Preis: vergriffen

[isbn]3810519154[/isbn]

und Horse Heaven (Audio-Book)
[isbn]0754006719[/isbn]

Kurzbeschreibung:

Vollblutpferde, Rennbahnen, Turnierpreise und der Glanz des Geldes - das ist die Welt, in der Rosalind Maybrick lebt. Ihrem Mann Al sind die Rennsiege seiner Pferde schon lange wichtiger als seine Frau. Aber auch Rosalind liebt die erregende Spannung der Rennbahn, die nervöse Schönheit der Vollblüter. Als sie dem Pferdetrainer Dick Winterson begegnet, ist es sein souveräner, sanfter Umgang mit den Tieren, der eine schicksalhafte Spannung zwischen ihnen entstehen lässt. Aber wie kann Rosalind ihrem Gefühl folgen, da sie doch alle unlösbar in die gleiche Welt verstrickt sind?

Ein gewaltiges Gesellschaftspanorama entwirft Jane Smiley auf den Rennbahnen von Kalifornien bis Paris. Leidenschaftlich und idealistisch, aber auch korrupt und kaltherzig sind die Menschen, denen Pferde das Leben bedeuten. Vom jungen Roberto mit dem perfekten Renninstinkt, reitbessenen Teenagern, von Millionären, Spielern und fanatischen Jockeys bis zu den hinreißend geschilderten Rennpferden selbst entfaltet sich die glamouröse Welt aus Sehnsucht und Liebe, Ehrgeiz und Hass, die den Leser bis zum finish in Atem hält.

Meine Meinung:

Ich gestehe, die Kurzbeschreibung ist von amazon geklaut. Zum einen, weil in dem Buch so unglaublich viel passiert und ich keinen roten Faden finde, um selbst eine Inhaltsangabe zu schreiben, zum anderen, damit ihr versteht, warum ich es in meiner Liste für den SUB-Wettbewerb als "Schnulze" bezeichnet habe und nun so angenehm überrascht bin, die Rezension guten Gewissens unter "Literatur" schreiben zu können. Der Klappentext umfasst nämlich sogar nur den ersten Absatz des Textes oben und ich war auf Kitsch gefasst. Dabei hätte ich es besser wissen können: Ich habe als Teenager ein anderes Buch von Smiley gelesen, "Moo", und obwohl es mir damals gar nicht gefallen hat (ich war einfach zu jung, glaube ich jetzt, muss ich nochmal versuchen, ist auch schon bestellt), habe ich doch gesehen, dass es etwas hat.

In "Feuerpferd" (was im Übrigen ein absolut dämlicher Titel ist, das Original heisst "Horse Heaven" und das macht wesentlich mehr Sinn, kommen doch so viele Pferde vor, dass man beim besten Willen nicht wissen kann, wer denn des ominöse "Feuerpferd" sein soll und auch als Metapher sehe ich nicht, auf was es sich beziehen könnte, während "Horse Heaven" einen schönen Rahmen für das Buch setzt) lässt Smiley einen in ein Kaleidoskop aus Menschen und Pferden schauen. Das macht es nicht ganz einfach, die Personen zuzuordnen und kennenzulernen. Es sind so viele Zwei- und Vierbeiner, und manche sind sich auf den ersten Blick so ähnlich. Eine Personen-Liste ist zwar vorhanden, befindet sich aber am Ende des Buches, und das meide ich immer wie die Pest, bis ich dort angekommen bin., also war sie mir keine große Hilfe. Die Personen zu erkennen ist aber nicht unbedingt extrem wichtig, obwohl es bestimmt noch mehr Sinn erschließen würde- jedes Kapitel ist eine Kurzgeschichte, und obwohl es natürlich eine weiterreichende Handlung gibt (die allerdings schwer im Auge zu behalten ist), kann man sie auch als Kurzgeschichten lesen und verstehen- und dabei wunderbare Einsichten gewinnen. Smiley schreibt liebevoll und einfühlsam und doch nicht ohne Humor, einen satirischen Unterton, der wie Selbstironie daherkommt. Viel deutlicher wird das noch in der Originalfassung, die ich fast komplett als Hörbuch gehört habe, im Wechsel mit dem Lesen des deutschen Hardcover. Die Frau ist sprachlich ein Genie und vieles davon, gerade dieser besondere Blick auf und in Menschen und Pferde, ist übertragen. Vielleicht auch, weil manche kleinen Stellen einfach fehlen. Keine besonders ausdrucksstarken, inhaltlich fehlen sie nicht wirklich, aber wenn ich parallel gelesen und gehört habe, ist mir ab und zu aufgefallen, ach, da fehlt eine Satz- und der ist doch so schön! Ausserdem, aber das ersparen einem ja die wenigsten Übersetzer, sind Fehler drin. Auf Deutsch haben Pferde einfach vorn keine Knie und niemand wird eine "Drahtseil-Trense" verwenden usw. Aber gut. Und aus lauter Angst davor, Anglizismen stehen zu lassen, entstehen seltsame Wortschöpfungen wie "Quarterpferde". Na, immerhin sind es keine Viertelpferde geworden.  :-> Alles in allem aber ist die Übersetzung nichtmal schlecht, so gern ich mich über Übersetzungen aufrege. Sie wird dem Original nicht ganz gerecht und über das eine oder andere, was bei Smiley noch Sinn macht, wird sich der Pferdekenner wundern, aber das Buch liest sich auch auf Deutsch flüssig und mit Genuss.

Ach ja, die Pferde... Man kann sozialkritische Aspekte aus dem Buch lesen, über Lebenserfahrungen grübeln, die die Charaktere machen, sich schöne Zitate rausschreiben, sich überlegen, ob Tierkommunikatoren vielleicht doch manchmal was auf dem Kasten haben und vieles mehr mit diesem Buch tun- aber zwischendurch war es für mich immer wieder wie "Blitz der schwarze Hengst" für Erwachsene.  :-> Die Rennen sind so spannend und die Pferde so liebenswert- oder zumindest einzigartig-, das ist nur noch schön. Und Smiley hat einen ganz eigenen Blick auf die Tiere. Vermenschlichend? Vielleicht. Aber auf eine höchst angenehme Weise, auf eine pferdegerechte, legitime Weise, die sich wohl jeder zueigen macht (oder es sollte), der mit Tieren zu tun hat. So schreibt sie nicht nur über Pferde, sondern auch über eine Jack-Russell-Hündin und das waren meine Lieblingskapitel, die sind zum Schreien. Direkt aus der Sicht der Hündin erzählt und so gut getroffen, dass mir gerade kein anderer Autor einfällt, dem das so gelungen ist. Ich kann jetzt niemandem empfehlen, das Buch nur wegen der paar Jack Russell-Kapitel zu lesen, aber wert sind sie es fast. Und wenn einem der Rest des Buches ohnehin gefällt, sind sie die Glasur auf dem Kuchen.

Ich hab nur einen Grund, keine eins zu vergeben, auch wenn das eher eine persönliche Sache ist: Ich vermisse einen roten Faden. In Kritiken steht da ja oft, "ein Buch wie das Leben", oder so, das Leben hat ja auch keinen roten Faden, oder zumindest einen schwer erkennbaren. Aber von einem Buch erwarte ich doch irgendwie, dass ich hinterher sagen kann, es ging da um das und das. Hier kann ich nur sagen, es geht um Rennpferde, und dabei steckt in dem Buch soviel mehr... Eigentlich jedes Kapitel enthält was, worüber es sich lohnen würde, nachzudenken. Aber zu welcher großen Denkwürdigkeit sich das aufsummiert, das sehe ich leider nicht. Das ist irgendwie gemein. Als würde man ein Puzzle mit mehrere tausend Teilen zusammensetzen, und auf jedem Teil sind wunderbare kleine Details- und am Schluß hat man unerklärlicherweise ein expressionistisches Gemälde auf dem Puzzle, das man nicht versteht. Aber vielleicht bin ich ja nur immer noch zu jung und wenn ich nochmal 15 Jahre warte, gefällt mir Simley nicht nur, sondern ich verstehe sie auch.  :zwinker:

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"Schweigsam und unschuldig breiten sich die Bücher im ganzen Haus aus und es gelingt mir nicht, sie aufzuhalten." - Carlos M. Dominguez