Die Köngin von Jerusalem - Eve Rudschies

Begonnen von Grisel, 06. Juni 2007, 23:39:42

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Grisel


[isbn]3426628228[/isbn]

Inhalt:
Es geht hier um die Jugend der Melisendis von Jerusalem, Erbin von König Balduin II, dem dritten Herrscher des noch jungen Kreuzfahrerkönigreichs. Diese Jugend, inmitten der Konflikte der sog. fränkischen Fürstentümer im sog. Heiligen Land, ist vor allem geprägt von ihrem Kampf um die Anerkennung ihres Vaters, der so viel lieber einen männlichen Erben gehabt hätte, und ihrer Liebe zu Balian, dem Grafen von Jaffa.

Meinung:
Vorangestellt, ich habe keinen blassen Schimmer, warum Balian Balian heißt, ich kenne den Herrn nur als Hugo. Ist Balian seit "Kingdom of Heaven" der Ehrenname für Liebhaber der Königinnen von Jerusalem? Ein leider fehlendes Nachwort hätte dem Aufschluß geben können, genauso einer Menge anderer offener Fragen meinerseits.

Ich bin bekennender Mittelalterjunkie und die Geschichte der Kreuzzüge und der dabei gebildeten Fürstentümer gehört zu den Themen, die mich besonders interessieren. Von daher ist es für mich ein großes Vergnügen, einschlägige Romane parallel in Sachbüchern, speziell meiner Bibel "Geschichte der Kreuzzüge" von Runciman zu verfolgen. Hier hat sich das stellenweise aber etwas schwierig gestaltet, weil ich vieles nicht wiederfinden konnte. Klar, auch Runciman war nicht unfehlbar und nur weil er etwas nicht beschrieben hat, muß es nicht zwangsläufig nie passiert sein. Aber auch weitere Recherche hat nichts ergeben. Daher hätte ich mir ein solches Nachwort gewünscht, in dem die Autorin eventuelle Abweichungen von der Geschichte erklärt.
So muß ich davon ausgehen, daß sie sich einfach entschlossen hat, gelegentlich eigene Wege zu gehen, was ihr zwar unbenommen ist (schriftstellerische Freiheit vs. Fehler), mir aber nicht gefallen muß. Und das tut es nicht. Ich verstehe nicht, warum man Geschichte umschreiben muß. Ich mag sie ergänzt, romanhaft umgesetzt. Ich mag das Spiel mit Geschichte und Geschichte und entzücke mich daran, wie andere Autoren damit umgehen. Bei Rudschies konnte ich dieses Entzücken nicht verspüren. Erst im letzten Abschnitt hat sie mich in dieser Hinsicht versöhnt, aber für Entzücken war es da leider schon zu spät.

Es liegt ja nicht nur daran. Mein Leben als Leserin mittelalterlich-historischer Romane wäre ein trauriges, wenn ich so schießhundartig über "Geschichte und Geschichte" wachen würde, ohne sonst was gelten zu lassen. Einem gut geschriebenen Buch mit dreidimensionalen und interessanten Charakteren erlaube ich vieles. Doch kann ich nicht behaupten, daß ich das Buch stilistisch besonders gut finden würde. Auch nicht besonders schlecht, aber, ein Dazwischen rettet nichts. Es blieb mir fremd. Die Liebesszenen waren leider grauenerregend schwülstig.

Was die Charaktere betrifft, so war ich auch mit denen nicht wirklich glücklich. Melisendis war mir zu sehr die typische Heldin einschlägiger Historienromane, austauschbar. Man kann argumentieren, daß sie hier noch jung ist. Das Urteil steht damit vorerst noch aus, bis zur angekündigten Fortsetzung, die ich trotz all der Kritik lesen werde. Sympathisch konnte ich sie allerdings nicht finden. Der einzige, der mir Sympathien entlocken konnte, war Fulk von Anjou. Letzter Teil des Buches, sag ich doch. Beinahe hat es sich da noch rehabilitiert. Beinahe.

Zu einem anderen meiner Steckenpferde, den Templern. Damit war ich zunächst sehr glücklich hier, da mir die Art und Weise gut gefallen hat, in der Rudschies ihre Anfänge geschildert hat, wie die Person des Hugo von Payens, ihres Gründers. Doch hat sie das zunichtegemacht mit einer für mich mehr als absurden Erklärung seiner Beweggründe.
Spoiler
Er war kurzfristig Assassine auf Alamut, wo er die Anregung für seinen christlichen Mönchsritterorden bekommen hat. Huh?
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Ich kann dieses Buch nur sehr bedingt empfehlen. Stattdessen würde ich eher Chadwicks "Falken von Montabard" empfehlen, die in etwa den gleichen Zeitabschnitt behandelt, der es aber sehr wohl gelungen ist, mich zu entzücken. Tatsächlich ist sie aktuell meine einzige Hoffnung, in absehbarer Zeit wieder mal mittelalterlich romanhaft entzückt zu werden. Nach Young und nun Rudschies beginne ich langsam zu verzweifeln.
Dennoch behalte ich mir das endgültige Urteil über Rudschies bis zur Fortsetzung vor.

[note3]

Lannie

Hallo Grisel,

Danke für Deine sehr aufschlussreiche Rezi. Da ich weiß, dass wir oft unterschiedlicher Meinung sind, hab ich noch Hoffnung, dass mir das Buch vielleicht besser gefallen wird.  :->

LG
Lannie
Liebe Grüße
Lannie aka Cait

The Viewfinder

Grisel

Hi Lannie!

Na klar! Ich gehe ja ganz anders ran solche Bücher und gestehe offen und ehrlich, daß ich es den AutorInnen nicht leicht mache mit meiner Megapingeligkeit was historisches betrifft.
Insofern hoffe ich, daß Du tatsächlich mehr Freude daran hast. Und hoffe selbst auf die Fortsetzung.

Bye,

Grisel

uschi

Hallo Grisel,

auch von mir ein Dankeschön für die Rezi. Ich muss mich überraschen lassen, ändern kann ich sowieso nichts mehr, da ich das Buch schon ersteigert habe.

Liebe Grüße
Uschi

Liebe Grüße
Uschi

Ein schönes Buch ist wie ein Schmetterling. Leicht liegt es in der Hand, entführt uns von einer Blüte zur nächsten und lässt den Himmel ahnen. (Lao-Tse)

Grisel

Hi Uschi!

Dann verbleibe ich gespannt, wie es Euch mit dem Buch ergeht. Auch Dir besser als mir hoffentlich.  :->

Bye,

Grisel

Kathrin

Hallo zusammen,

ich hab das Buch vor einiger Zeit gelesen und fand es gar nicht so schlecht, hätte aber auch schwören können, dass ich dazu ne Rezi geschrieben hab, aber ich find sie nicht mehr... :rotwerd: und da sie auch nicht auf der HP von Steffi ist, werd ich wohl doch keine geschrieben haben...komisch, ich war mir echt sicher  :kopfkratz:

Aber egal. Mit Grisels Hintergrundwissen zu den Kreuzzügen kann ich mich nicht messen und auch so, bin ich was historische Genauigkeit angeht nicht ganz so streng...wobei es inzwischen auch bei mir Dinge gibt, die ich nicht mehr akzeptieren mag. Aber zum Zeitpunkt meiner Lektüre dieses Buches hier von Eve Rudschies war das noch nicht so arg (und ist es ja auch jetzt eigentlich noch nicht), fand ich das Buch ziemlich gut. An die extreme Schwülstigkeit kann ich mich noch erinnern, allerdings hab ich die damals als positiv aufgefasst. Das war schon wieder sooooo schwülstig, dass ich es gut fand, aber ich mag auch einfach das Hohelied Salomo aus dem Alten Testament und da hat mich Eve Rudschies so richtig schön in einen Schwulstrausch getrieben  :->

Ob ich das heute mit meinem ach so großen Hang zu LiRo :-) auch noch so sehen würde, weiß ich nicht. Zu dem Zeitpunkt fand ich es gut und hab
12 Punkte vergeben.

[note2+]

lg
kathrin
Rock the Night!

Grisel

Hi Kathrin!

Zum Thema Schwulst. (Ist das ein Wort?  :kopfkratz: )
Spoiler
Ich fand vor allem den Abschnitt von Balian-Hugos und Melisendis' Reise von Totem zu Rotem Meer fast schon unerträglich. Gerade dieses ewige Zitieren des Hohen Lieds, das ich tatsächlich auch schön finde, aber die beiden haben damit IMO fürchterlich übertrieben. Und es hat mich mörderisch genervt, daß sich die dann auch noch ständig Bruder und Schwester genannt haben.
Als Melisendis dann irgendwann überlegt, ob sie sich nicht gemeinsam in den Abgrund stürzen sollen, um gemeinsam in Liebe zu sterben, habe ich ganz leise "ja bitte" gehaucht. *räusper*
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Spoiler
Etwas ätzend fand ich auch die Sache mit der Familienplanung. Interessanterweise wird man hier nur schwanger entweder in der Hochzeitsnacht (Alix und Melisendis), wo ein Treffer reicht, oder auf Bestellung (Melisendis und Balian-Hugo am Ende), dann ebenfalls sofort. Aber all die Jahre, in denen die beiden sich stets und heftig geliebt haben? Klar, sie wird wohl irgendwie verhütet haben, aber gar so sicher war das damals nicht. Ziemliches Glück gehabt!
Und, zuguterletzt, wieder eine persönliche Sache. Ich mag es einfach überhaupt nicht, wenn die Vaterschaften bei historischen Menschen verändert werden, so daß Balian-Hugo jetzt der Vater von Amaury ist, von dem dann natürlich alle späteren KönigInnen abstammen.
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Naja, es war für mich hier einfach von Anfang an der Wurm drinnen. Aber mal sehen, wie es im nächsten Buch ist. Immerhin merkt man, daß sich Rudschies in der Zeit durchaus auskennt. Vielleicht macht sie mich ja im nächsten glücklicher. Bis dahin setze ich meine Hoffnungen auf meine ungelesene Chadwick oder andere mittelalterliche Schätze im SUB.

Bye,

Grisel