Nino Haratischwili: Das mangelnde Licht

Begonnen von SilkeS., 15. März 2023, 10:10:01

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SilkeS.


Nino Haratischwili

Das mangelnde Licht

832 Seiten
Hardcover
2022

ISBN 9783627002930


ZitatInhalt:
Nach der lang ersehnten Unabhängigkeit vom ins Taumeln geratenen Riesen stürzt der junge georgische Staat ins Chaos. Zwischen den feuchten Wänden und verwunschenen Holzbalkonen der Tbilisser Altstadt finden Ende der 1980er Jahre vier Mädchen zusammen: die freiheitshungrige Dina, die kluge Außenseiterin Ira, die romantische Nene, Nichte des mächtigsten Kriminellen der Stadt, und die sensible Keto. Die erste große Liebe, die nur im Verborgenen blühen darf, die aufbrandende Gewalt in den Straßen, die Stromausfälle, das ins Land gespülte Heroin und die Gespaltenheit einer jungen Demokratie im Bürgerkrieg – allem trotzt ihre Freundschaft, bis ein unverzeihlicher Verrat und ein tragischer Tod sie schließlich doch auseinandersprengt.
Erst 2019 in Brüssel, anlässlich einer großen Retrospektive mit Fotografien ihrer toten Freundin, kommt es zu einer Wiederbegegnung. Die Bilder zeigen ihre Geschichte, die zugleich die Geschichte ihres Landes ist, eine intime Rückschau, die sie zwingt, den Vorhang über der Vergangenheit zu heben und eine Vergebung scheint möglich.
Meine Meinung
Für mich war es das zweite Buch der Autorin. Ich kenne bislang ,,Das achte Leben (für Brilka)" von ihr und außer dass beide in ihrem Heimatland Georgien spielen, finde ich es schwer die beiden Bücher zu vergleichen.
Dieser Plot handelt von eigentlich 4 unterschiedlichen Frauen, die seit Kindertage befreundet sind und deren Lebenswege sie auseinander geführt hat.:
Keto ist  die Erzählerin, die später als Restauratorin und Malerin arbeitet,
 Ira, wird eine erfolgreiche Juristin,
-Nene, wächst bei kriminellen Onkel aufwächst und ihr Lebenslauf ist etwas nebulös
Dina,  wird Kriegsfotografin,. Sie ist inzwischen verstorben und auf ihrer Ausstellung treffen sich die Frauen wieder.
Wo man bei ,,Das achte Leben"  viel Zeit mit den einzelnen Personen und Generationen verbracht hat, sie begleitet hat, sie gut kennengelernt hat und ihre Handlungsmotivation erfahren hat, sind es in diesem Plot viele Erinnerungsepisoden  an traumatische Kriegen, von Mangel und Gewalt, von Drogen und Korruption, die den Ton ausmachen. Aber  wir  erleben auch das Verlieben, die erste Liebe, die erste Enttäuschung...
Gut gefallen hat mir, die Kultur die man vermittelt und näher gebracht bekommen hat .  Man hatte  teils den Eindruck Bilder von Stadt und die Menschen vor dem inneren Augez u sehen, konnte sich alles bildlich vorstellen so gut waren die beschriebenen Fotografien beschrieben. Da das Buch mit 800 Seiten nicht so dick ist, wie ,,Das achte Leben" aber trotzdem auch nicht unbedingt zu dick, hat die Autorin viel reingepackt, viel Biografien der einzelnen, viel Krieg, viel Not, viel Gewalt und ich fand es am Ende immer schwerer zu ertragen.
Man begleitet Keto wie sie in der Ausstellung von Bild zu Bild geht und mit jedem Bild eine Flut  der Erinnerungen bei ihr hochkommen , es wirkt als würden die Fotografien ihre Erinnerungen verstärken. Leider entsteht dadurch ein stetiger Wechsel zwischen damals zur Zeit der Aufnahme, Tiflis / Tbilissi, der 80er/90er-Jahre  und der Jetztzeit, in der sich Keto in der Betrachtung der Aufnahmen der Ausstellung befindet. Mir fiel es nicht immer leicht diesem Wechsel zu folgen. Ich hatte ziemliche Probleme mich zurechtzufinden und ein Gefühl und Gespür für Namen und Alter der Protagonistinnen in den Erzählsträngen zu bekommen.
Sehr gut hat mir aber in diesem Buch außerdem noch gefallen, wie die Autorin den Bogen von zum Ende oder eben von Ende zum Anfang gespannt hat und das Gesamtbild der  Vier Freundinnen  ihrer vier georgische Biografien vermittelt.

Es fällt  mir schwer, das Buch zu benoten. Es sind zwar schon ein paar Tage vergangen, seit ich das Buch beendet habe, aber ich habe mich noch mit niemanden darüber ausgetaucht um meine  Meinung zu festigen.


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Kathrin

Danke Silke, für Deine Meinung zu dem Buch. Ich werde es auch sehr bald lesen, deutlich früher als ursprünglich gedacht und freue mich sehr darauf.
Rock the Night!

SilkeS.

Ich bin gespannt wie es Dir gefällt.
Ich finde es schade, dass ich nicht die Gelegenheit hatte es in einer LR zu lesen, denn das hätte das Buch echt intensiver gemacht, der Austausch über das Gelesene ist hier glaube ich echt gut um vieles besser zu verstehen, mehr zu spüren etc.

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Inge78

Klingt spannend aber auch anstrengend
Ich bin sehr gespannt, wie mir das Buch gefallen wird und bin froh, es in einer LR zu lesen
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Inge78

"Auch mir blieb keine Flucht, denn es war unser Leben, es war unsere Zeit, eine andere würden wir nicht bekommen, wir mussten unser Leben ohne Hintertür leben."
Vier Freundinnen, gemeinsam aufgewachsen im Georgien der 70er/80er Jahre, mitten drin in einem Land großer Umbrüche. Was hat sie entzweit? Keto erinnert sich bei der Fotoausstellung ihrer Freundin Dina in Brüssel an die gemeinsame bewegende Vergangenheit.
Wie kann ich dieses Buch bewerten? Es war ein unglaubliches Lesehighlight, ich habe mich so in die 4 starken Frauen verliebt, ich habe gelitten, gehofft und geweint. Die Geschichte anhand von Fotos und Rückblicken zu erzählen hat für mich super gepasst. Dabei habe ich die Bilder so oft vor mir gesehen, wäre so gerne selber durch die Ausstellung geschlendert. Es gibt viele richtig harte Szenen voller Gewalt, voller Entsetzen. Georgien als Land kommt mir näher, unglaublich was dieses Land durchgemacht hat, ein Spielball der Politik, die Menschen mittendrin, oft eher hilflos auf die gegenwärtige Situation reagierend. Ich habe viel gelernt über die Geschichte und bin neugierig geworden vor Allem auf Tbilissi. Kein einfaches Buch, sehr dicht, sehr emotional, sehr fordernd. Auch vermeintliche Nebencharaktere sind unglaublich gut und voller Tiefe ausgearbeitet. Ich möchte es am Liebsten direkt noch mal lesen, ich kann mich nicht trennen von Keto, Dina, Nene und Ira. Absolutes Lesehighlight und eine große Leseempfehlung.

[note 1]
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Kathrin

So ein tolles Buch!!! Meine Rezi kommt auch bald! Auf jeden Fall auch Note 1!
Rock the Night!

Kathrin

Nachdem mich die aus Georgien stammende Autorin Nino Haratischwili bereits mit ihrem Familienepos ,,Das achte Leben – Für Brilka" und ,,Die Katze und der General" begeistern konnte, habe ich nun im April voller Vorfreude ihren neuesten Roman ,,Das mangelnde Licht" gelesen.

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Zum einen  befinden wir uns im Jahr 2019 in Brüssel, als sich die Freundinnen Keto, Ira und Nene bei einer Ausstellung nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder sehen. Wir begleiten sie bei ihrem Gang durch die Ausstellung und betrachten mit ihnen, vor allem mit der Ich-Erzählerin Keto, die Fotografien ihrer toten Freundin Dina. Durch die Fotos – deren wahren Hintergrund nur die drei Freundinnen kennen – tauchen wir in die Vergangenheit ein – in die 1980er/ 1990er Jahren in Tbilissi (Tiflis). Wir erleben, wie sich die vier Kinder/ Teenager Keto, Ira, Nene und Dina kennenlernen, wie sie sich und auch wie sich ihre Freundschaft als Jugendliche und junge Erwachsene entwickelt. Und dies alles vor dem geschichtlichen Hintergrund des Zusammenbruchs der UdSSR und der jungen Demokratie in Georgien, die von Inflation, Armut, Stromausfällen, Lebensmittelknappheit, Bandenkriegen und Bürgerkriegen gezeichnet und bedroht ist.

Die Idee anhand von Dinas Fotografien in die Vergangenheit einzutauchen hat mir extrem gut gefallen. Die Fotos sind sehr detailliert beschrieben, man sieht sie regelrecht vor sich. Sie üben einen unwiderstehlichen Sog auf mich als Leserin aus und ziehen mich zusammen mit Keto in die Vergangenheit – die Übergänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit sind nahezu nahtlos, aber ohne zu verschwimmen. Ich wusste zu jedem Zeitpunkt der Lektüre wo bzw. in welcher Zeit ich mich befinde. Auch die Geschichte der vier Frauen ist grandios und wie immer bildgewaltig erzählt. Die Autorin verschont weder uns noch ihre Protagonist*innen (ja, auch die Männer in der Geschichte) nicht, beschönigt nichts, erzählt aber glücklicherweise auch nicht alles aus. Immer wieder werden in der Gegenwart Andeutungen gemacht, die sich auf die Vergangenheit beziehen, die wir aber erst nach und nach vollends begreifen.

Bei der Charakterisierung ihrer Figuren macht Nino Haratischwili niemand etwas vor. Das ist ihre ganz große Stärke. Keto, Dina, Ira und Nene sind sehr unterschiedlich und dürfen alle eine tolle Entwicklung durchlaufen, so dass ich u.a. mein Urteil über bestimmte Charaktere im Laufe der Geschichte revidieren musste. Das hat sie so großartig gemacht und in ganz vielen starken Szenen wunderbar starke Frauen beschrieben, die aber auch mal schwach sein und zusammenbrechen dürfen. Es ist kaum zu ertragen, mitansehen zu müssen, wie die Figuren in diesem Roman immer tiefer im Sumpf ihrer Zeit, des Krieges versinken, ein Sumpf der immer zäher und morastiger wird und sie nicht mehr loslassen will.

,,Das mangelnde Licht" ist ein grandioser Roman, wie ein sehr gehaltvolles, aber auch schwer verdauliches Essen, bei dem man jeden Bissen ,,genießt" (wenn man das anhand der Ereignisse überhaupt sagen kann), das einem aber schwer im Magen liegt. Ich war mir sicher, dass da nichts mehr ,,reingeht", kein Platz mehr für ein literarisches Eis in meinem Magen ist. Aber mit dem Schluss hat sich Nino Haratischwili selbst übertroffen. Ich habe die sehr offenen Enden in ,,Brilka" und ,,Die Katze und der General" wirklich sehr gemocht (und ich weiß, das ist nicht jedermann Ding). Hier ist sie von diesem Muster abgewichen, hat den Roman schön abgerundet ohne kitschig zu werden.

Es gibt zwei Wehrmutstropfen bei diesem Buch, die aber meiner Begeisterung keinen Abbruch tun: ich BRAUCHE eine Abbildung vom letzten Foto/ Ketos letzter Zeichnung in diesem Buch, auf dem wunderschön gestalteten Schutzumschlag oder wo auch immer. Und es ist mit über 800 Seiten zu dünn, weil es einfach nicht aufhören soll, weil ich die Mädels/ die Frauen einfach nicht verlassen, nicht verlieren will.

Absolute Leseempfehlung!!!

 :Box1:  :Box1:  :Box1:  :Box1:  :Box1:  :Box1:
Rock the Night!

Esmeralda

Wow, Kathrin, mit Deiner Begeisterung hast Du mich echt neugierig auf das Buch gemacht.
Klasse Rezi.  :applaus1:
Life is too short to read bad books.