Brigitte Glaser - Kaiserstuhl

Begonnen von Christiane, 06. März 2022, 14:57:34

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Christiane

Klappentext:
Kaiserstuhl, 1962
Zwei Menschen in einer Grenzregion
Am Kaiserstuhl kreuzen sich kurz nach Kriegsende die Wege von Henny Köpfer und Paul Duringer. Die Tochter eines Weinhändlers und der elsässische Soldat leben auf dem Hof der alten Bäuerin Kätter. Mit ihr und dem kleinen Kaspar wachsen sie zu einer Familie zusammen. Doch es sind keine einfachen Zeiten. So leicht die Liebe entstand, zerbricht sie auch wieder. Paul verschwindet ganz plötzlich, und auch Henny kehrt dem Kaiserstuhl den Rücken.
Erst 1962 stehen sich Henny und Paul wieder gegenüber. Sofort brechen alte Wunden auf, und am liebsten würden beide noch einmal davonlaufen. Doch das können sie nicht. Denn Henny ist im Besitz einer alten Champagnerflasche, die Paul im Auftrag des französischen Sicherheitsdienstes sucht. Sie ist an Symbolkraft kaum zu überbieten, sie steht für die Plünderungen der Deutschen in Frankreich und soll Adenauer und de Gaulle bei einem Festakt überreicht werden.


Mein Eindruck:
,Kaiserstuhl' ist der dritte und bisher beste Roman, den ich von der Autorin Brigitte Glaser gelesen habe. Dennoch konnte er mich zunächst nicht völlig überzeugen. Der erste Eindruck von Cover und Klappentext hat mich nur bedingt angesprochen. Das Cover passt zwar hervorragend in die 60er-Jahre, aber außer dem zeitlichen und örtlichen Bezug erzählt es wenig über das, was einen im Buch erwartet und wirkt durch die blassen Farben wenig ansprechend. Der Klappentext verrät eigentlich zu viel über die Geschichte, ohne mich wirklich neugierig zu machen. Dass ich dennoch in das Buch reingeschaut habe, liegt an meinem Faible für Frankreich und meinem Interesse an der deutsch-französischen Freundschaft, über deren Entwicklung ich hier mehr zu erfahren hoffte. Die ersten Seiten des Buches haben mich dann unverhofft schnell gefangen genommen. Die Protagonisten sind lebendig und interessant dargestellt, so dass gleich das Interesse an ihnen und ihrer verwickelten Geschichte geweckt wird.
Leider überstrapaziert die Autorin allerdings das Stilmittel des Szenewechsels so sehr, dass ich lang gebraucht habe, um wirklich in die Geschichte eintauchen zu können. Gerade bei so vielen handelnden Personen braucht man als Leser doch einige Zeit, um anzukommen. Wenn man da zu schnell immer wieder von einem ins andere Setting, in einen anderen Zeit- und Erzählstrang geworfen wird, bringt einen das eher durcheinander als näher an die Figuren heran.
Wenn man es aber erstmal geschafft hat, das alles zu sortieren, dann entfaltet das Buch all seine Stärken und wird zu einer tollen, spannenden, bewegenden Erzählung. Die Autorin hat es hervorragend verstanden, durch die persönlichen Geschichten von Henny, Paul, Kaspar, ihren Familien und Freunden für den Leser miterlebbar zu machen, was Krieg neben den offensichtlichen Zerstörungen im Leben der Menschen anrichtet und wie die Schrecken des Krieges lebenslang nachwirken. Daneben erfährt man einiges über die im Elsass besonders eng verflochtene Geschichte der beiden Nachbarländer.
Brigitte Glaser versteht es, Szenen und vor allem auch Dialoge so zu schreiben, dass sie lebendig und glaubwürdig sind. Daneben gelingen ihr immer wieder Sätze, die nachhallen, die man als Leser mitnimmt, die ich mir markiert habe. Sie zeichnet eindrucksvolle Bilder, hat tolle Idee, schafft auch immer wieder amüsante Momente. Besonders gefällt mir, dass die Autorin authentische, facettenreiche Figuren zum Leben erweckt, die sympathisch, aber nicht fehlerfrei sind und sich dabei weitgehend vor Schwarz-weiß-Malerei hütet. Der Spannungsbogen lässt das Buch immer mehr zum Pageturner werden. Das Ende hätte ich mir ein wenig ausführlicher gewünscht. Da geht einiges zu schnell, und man wünscht sich, noch weiter miterleben zu dürfen, wie es für die verschiedenen Protagonisten nun weitergeht.
Als Extras gibt es am Ende des Buches noch einen kleinen Stammbaum der Hauptfiguren und ein Kapitel ,Dichtung und Wahrheit', in dem Glaser einiges zu den geschichtlichen Hintergründen schreibt.

Fazit:
,Kaiserstuhl' ist spannend erzählte Geschichte aus dem deutsch-französischen Grenzland, vereint schreckliche, schöne, verwickelte, witzige Momente und lässt einen teilhaben am Leben authentischer, sympathischer Protagonisten. Ein Buch, dass ich gern jedem empfehle, der ein wenig in diese Zeit und Region hinein schnuppern möchte.

Note:  [note2+]
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Inge78

 "Liebe, das wusste sie, war nichts Festes, kein Monolith in der Landschaft. Sie war nicht kalkulierbar wie ein Stich beim Kartenspiel, sie blieb unberechenbar. Manchmal endete sie, manchmal wanderte sie von einem zum anderen, manchmal verschwand sie."

Henny Köpfer hat 1962 eine gutgehende Weinhandlung. Als Paul, ein alter Bekannter auftaucht und eine ganz bestimmte Champagnerflasche sucht, muss nicht nur Henny sich den Schrecken der Vergangenheit stellen.

Wie auch in ihren anderen Romanen verwebt Brigitte Glaser geschickt eine fiktive Story mit deutscher Geschichte. In "Kaiserstuhl" geht es um die beginnenden 1960er Jahre, um die Wirtschaftswunderzeit und in Kürze soll der Vertrag der Deutsch-Französischen Freundschaft von Adenauer und de Gaulle unterzeichnet werden. Die fiktive Champagnerflasche, die im Buch gesucht wird, soll symbolisch für diese Freundschaft geköpft werden.
Zu Beginn hatte ich so meine Probleme, richtig ins Buch zu kommen, es gibt viele Erzählperspektiven, viele Szenen - und Ortswechsel. Aber wenn man die Charaktere einmal kennengelernt hat wird das Buch richtig gut. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte, verwoben in einer Krimihandlung, mit vielen Dramen, vielen Geheimnissen und auch mit der ein oder anderen Liebesgeschichte. Gerade Henny und ihre Freundinnen mochte ich richtig gerne. Und die Region rund um den Kaiserstuhl und das Elsass konnte man sich aufgrund der tollen Landschaftsbeschreibungen richtig gut vorstellen.
Zum Ende gibt es noch mal einen überraschenden Turn und es wird richtig spannend, so dass mir das Buch dann doch noch einige Stunden Schlaf geraubt hat.
Gut gefallen hat mir auch das Nachwort der Autorin, in dem sie noch eingies erzählt zu Wahrheit und Fiktion.
Ein Buch, das mir wieder ein Stück deutscher Geschichte näher gebracht hat und mich dabei richtig gut unterhalten hat. Ein Buch über Geheimnisse, über Schuld und Sühne, über das Verzeihen und Loslassen. Absolut lesenswert.

[note2]
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf