Nina George - Die Schönheit der Nacht

Begonnen von Sagota, 14. Mai 2018, 22:48:36

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Sagota

Nina George gehört zu meinen absoluten Lieblingsschriftstellern und ihr Roman "Das Lavendelzimmer" wird immer eines meiner Lieblingsromane von ihr bleiben. Beim vorliegenden neuen Roman "Die Schönheit der Nacht" hatte ich jedoch andere Erwartungen, auch wenn mir der wirklich sehr schöne, präzise und intensive Schreibstil der Autorin nach wie vor sehr zusagt, konnte ich mich kaum mit der Hauptprotagonistin Claire identifizieren (Frauenleben  und -gefühle sind nunmal sehr differenziert ;)


"Die angesehene Pariser Verhaltensbiologin Claire sehnt sich immer rastloser danach, zu spüren, dass sie lebt und nicht nur funktioniert. Die junge Julie wartet auf etwas, das sie innerlich in Brand steckt - auf des Lebens Rausch, auf Farben, Mut und Leidenschaft. In der Sommerhitze der Bretagne entdecken die beiden unterschiedlichen Frauen, welche Geheimnisse sie so sorgfältig vor sich selbst gehütet haben. Und was sie wagen müssen, um die zu werden, die sie sein können." (Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Dr. Stephénie Claire Cousteau (44) Verhaltensbiologin in Paris, ist mit Gilles verheiratet, einem zuweilen erfolgreichen und oft auch erfolglosen Komponisten. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, Nicolas (22) und sind seither jeden Sommer acht Wochen gemeinsam in die Bretagne gefahren, um dort der Hitze von Paris zu entfliehen. So auch diesen Sommer, in dem erstmals Julie, die derzeitige Freundin des Sohnes auf Einladung von Gilles mitfährt, da angenommen wird, dass sie ohnehin bald zur Familie gehören wird... Zu dieser Zeit ahnt noch niemand, wie sehr dieser letzte Familienausflug nach Trévignon alles verändern wird...

Der Roman greift zeitlich zurück in die ersten Jahre der Ehe und ich folgerte, dass Claire, die ihren Sohn mit 22 Jahren bekam, noch nicht bereit war für ein Kind, Gilles jedoch ohne Probleme in die Rolle als Vater hineinwuchs und ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Sohn aufbaute. Claire war das finanzielle Rückgrat der Familie und sorgte mit ihrem Professorengehalt für Stabilität; die Familie lebt in einem teuren Stadtteil von Paris und gehört zur oberen sozialen Schicht. Jedoch wird im Romanverlauf klar, dass sich Risse auftun in der Beziehung zwischen Claire und Gilles - Risse, über die niemals gesprochen wird. Claire gilt im Institut als die Unterkühlte und bis zur Mitte des Buches wirkte sie auch so auf mich: Sezierend und das Verhalten ihrer Mitmenschen stets wissenschaftlich betrachtend. Dabei war sie als 11jährige ein Mädchen, das Seesterne in den Augen hatte: Mit der Geschichte ihrer Familie, auch ihrer Halbgeschwister Ludo und Anaelle, entwickelt man jedoch ein anderes Bild von ihr: Als Jüngste verhalf sie den 3 Geschwistern, dass Jeanne, die leibliche Großmutter von ihr, sie mitnahm in die Bretagne, wo sie gemeinsam aufwuchsen konnten: Jeanne de Lu ist eine sehr starke Persönlichkeit, selbstbestimmt und freie Schriftstellerin, die Claire alles Wichtige mit auf ihren Lebensweg gibt. Besonders Ludovic brachte mich beim Familientreffen am 14. Juli durch seine trockene Bemerkung zum Lachen, solche Szenen hätte ich mir mehr gewünscht!
Mit Julie, einem klugen, aber mit 19 Jahren noch recht unsicheren jungen Mädchen, das mit Nico liiert ist, beginnen beide Frauen, die "Gewordene" und die "Werdende", sich zu verändern, was Auswirkungen auf die ganze Familie haben wird.

Die Handlung, die im Finistère verortet ist, das wundervoll und atmosphärisch von Nina George (die zeitweise dort lebt) beschrieben wird, ist stilistisch teils melancholisch, teils poetisch, auch sezierend und von einer großen Sprachkraft und -freudigkeit gekennzeichnet, dem eleganten Markenzeichen der Autorin, die einen präzisen und gefühlvoll-intensiven Sprachgebrauch ihr eigen nennt.

Claire bleibt mir jedoch über weite Strecken in ihrer Verzweiflung, sich mit Männern einzulassen, über vieles hinwegzusehen, nichts auszusprechen, fremd. Sie wird mir ab da sympathischer, als Julie "Schwimmversuche" macht und Claires Persönlichkeit für mich weichere Konturen annimmt: Sie nähert sich damit auch ihrem alter ego, wie es scheint. Eine große Rolle spielt auch ein "Talisstein", den Claire als 11Jährige fand und der sie seither begleitet - er steht für die Versteinerungen, die sie im Laufe ihres Lebens zulässt und die sie nun aufzubrechen versucht.
Der aussagekräftigste, emanzipatorischste Satz im Roman, der mir sehr gefiel, war (Zitat Jeanne de Lu, der Großmutter):

"Weder deine Zukunft noch deine Vergangenheit liegen fest. Du kannst immer wieder aus dir selbst heraus neu entstehen". (S.163)

Mit dem Sturm, der sich über dem Meer ankündigt, kommt es zum Eklat: Alle reisen nach dem gemeinsam gefeierten Nationalfeiertag des 14. Juli ab - nur eine Person kehrt zurück. Das Romanende ist ebenfalls sehr ausdrucksstark und steht für das uneingeschränkte, uneingeschränkte WERDEN einer Frau und für ihre (innere) Freiheit, dieses ICH-WERDEN voraussetzt.

Fazit:

Sinnlich, poetisch, atmosphärisch, zeitweise melancholisch: Ein Roman , der eine Hommage an die Selbstentfaltung der Frau, aber auch an die zauberhafte Bretagne  und das Meer als Symbol der inneren Freiheit ist. 3*

Inge78

#1
Ich habe für "Die Schönheit der Nacht" ein bisschen Zeit gebraucht. Am Anfang war es mir etwas zu sperrig, zu französisch, zu intellektuell.
Aber irgendwann hat mich das Buch in seinen Bann gezogen und mich verzaubert. So eine schöne Sprache. So eine wahnsinnig tolle kleine Geschichte. So viel Gefühl, so viel Ungesagtes, was zwischen den Worten schwebt. Ich bin hin und weg

Die Personen sind wunderbar eigenbrötlerisch und sperrig und eigentlich gar nicht liebenswert. Und trotzdem gewinnen ich nach und nach einen zugang zu Ihnen und kann sie und ihr Handeln verstehen. Wenn vielleicht auch nicht immer gutheißen.


[note2+]
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

mowala

Mir ging es wie Inge, ich habe etwas zeit und Seiten gebraucht, um mich mit den Charakteren anzufreunden.
vor allem die beiden weiblichen Figuren, Claire und Julie, sind jede auf ihre eigenen Art speziell.

Claire, die auf der Suche nach ihrem verlorenen Selbst ist, nach außen versteinert wie ihr Talisman, ein Fossil, das sie in Kindertagen gefunden hat.
Innerlich ist sie nicht so erkaltet, wie sie es veilleicht selbst empfindet-

Julie, die weiß, das sie etwas anderes will aber sich nicht traut, ihrer Leidenschaft, dem singen, nachzugeben.

die beiden treffen aufeinander und finden jede in der anderen etwas. Claire in Julie, ein stück von ihrem jüngeren Selbst, Julie in 'claire ein Vorbild.
Schlussendlich helfen beide einander, sich und ihre Wünsche zu finden und zu erüllen.

Mit den Charakteren hatte ich, wie gesagt erst Probleme. sie blieben mir fern, was ja letzlich auch in ihrer Natur liegt.

Nina George schreibt aber wieder in einer unnachahmlich poetischen, bildhaften Sprache, die es schafft, Gefühle und Szenerien auf eine anrührende Weise darzustellen.
Schon das macht das Buch lesenswert.

Letzlich konnte ich auch die beiden Frauen verstehen und ihr Gebaren nachvollziehen, auch hier hat die Autorin viel einfühlungsvermögen bewiesen.

[note2]



Das Leben ist zu kurz für später