1. Abschnitt: Anfang - Seite 39

Begonnen von Christiane, 24. April 2023, 09:43:39

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Christiane

Inzwischen bin ich auf Seite 23 und F-P definiert klar ihre Ansichten zum Umgang, zum Training mit Hunden.

"Die Emotionen, das soziale Miteinander, das Intuitive zwischen Hund und Mensch, dürfen nicht auf der Strecke bleiben."

"Natürlich sei den lerntheoretischen Methoden keineswegs ihre Bedeutung abgesprochen, und sie haben ihre Berechtigung. Sie gehören aber zum sozialen Kommunizieren, müssen eingebettet in eine soziale Beziehung sein."

"Ich wehre mich allein gegen den Ausschließlichkeitsanspruch der einen oder anderen Vorgehensweise. Wir sollten biologisch ganzheitlich denken."

"...bieten wir uns als Sozialpartner an."

Damit ist irgendwie alles gesagt  :respekt3: .
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Christiane

Im Abschnitt über die gemischte soziale Gruppe finde ich wichtig, dass man den Unterschied zwischen einem Familienverband/einem Rudel und dieser 'gemischten sozialen Gruppe', die Hunde und Menschen miteinander bilden, im Kopf behält. Es gibt keine Rangordnung zwischen Hunden und Menschen! Aber es gibt Abhängigkeiten im gemeinsamen Spzialgefüge.
F-P weist auch auf die Analogien im Ausdrucksverhalten hin, die auf einen ähnlichen Selektionsdruck in Habitaten mit ähnlichen Umweltbedingungen hinweisen.

Angestrichen hab ich mir mit dickem Rufzeichen (S. 28):
"Hunde brauchen mehr als Begleitung und Belohnung dessen, was erwünscht ist, sie brauchen richtungsweisende Führung, die Freiheiten schafft, die sie in soziale Gefüge eingliedert, die früh dort Grenzen setzt, wo sie einfach nötig sind für ein stimmiges Miteinander,..."

Und eine ganz wichtige Sache für uns Trainer:
"..., dass es eben keine generellen Erziehunsmethodiken für Hunde gibt, dass man allein mit Wissen und Fantasie der hundlichen Vielfalt gerecht wird."
Wenn mir jemand erklärt, dass nur dieser Weg der einzig wahre ist, wenn jemand behauptet, er habe die eine richtige Methode erfunden (und vielleicht sogar noch einen ©-Button dranbappt), dann gehen bei mir die Warnlichter an... :->

S. 29: "Und Autorität dem Hund gegenüber gehört dazu. Autorität heißt rechtmäßig ausgeübte Macht, sie lebt von der Persönlichkeit und Authentizität des Menschen, nicht etwa von Unterdrückung durch Despoten."
Ich fürchte, vor der Ausübung dieser Macht scheuen sich viele Leute oder werfen sie mit Gewalt in einen Topf. Aber hier geht es darum, dass wir die Regeln in der menschlichen Gesellschaft kennen und dem Hund helfen müssen, innerhalb dieser Regeln ein gutes Leben führen zu können.

Und gleich noch so eine Sache, die in den letzten Jahren immer mehr den Bach runter gegangen ist:
"Aber sie [die Hunde] brauchen auch Artgenossen. Über den Umgang mit diesen lernen sie wiederum soziale Regeln, werden bei Hundebegegnungen nicht zu defensiv-aggressiven Abhängigen der Menschen, die sie von Hunden separieren, aus Angst, über diese in Konflikte verwickelt zu werden, aus Unkenntnis."
Wenn ich kürzlich auf Texel oder auch bei unsern Bretagne-Urlauben sehe, wie wildfremde Hunde in nahezu allen Fällen miteinander klar kommen und wie schwierig das hier häufig ist, dann kann man sich eigentlich immer nur wundern. Hierzulande scheint es viel zu oft nur die Extreme zu geben: die Menschen, die aus Angst lieber gar keine Kontakte zulassen, oder die, die meinen, jeder Hund müsse bereitwillig mit allen anderen 'spielen'.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Christiane

Ich mach dann mal weiter, auch wenn ich mich ein bisschen einsam fühle  :heul: .

Vermutlich seit etwa 15.000 Jahren entwickeln sich Hund und Mensch in einem Prozess der Co-Evolution. Und so sieht man bei Hunden einige Verhaltensweisen, die sie (anders als Wölfe) im Zusammenspiel mit dem Menschen als Sozialpartner entwickelt haben. Beispiele:
-> mehr Kommunikation über Laute (mehr Bellen)
-> Augenkontakt ohne den Kontext von Provokation/Drohverhalten
-> Lächeln

Wichtiger Punkt: Man kann nie völlig 'ausdruckslos' sein, sich nie 'nicht verhalten'.
Aber wir Menschen übersehen oft das Ausdrucksverhalten unserer Hunde oder interpretieren es falsch, durch die menschliche Brille.

Ausdruck [des Hundes] und Eindruck [den das beim Menschen auslöst] müssen nicht kongruent sein. Das kann zu seriellen Missverständnissen führen. Zudem kann Verhalten in verschiedenem Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben und auch eine stereotype, einseitige Interpretation führt zu Missverständnissen.
Um die Funktionen von Verhalten zu erschließen braucht es quantitative Verhaltensanalysen, bei denen die Beobachtereinflüsse minimiert werden und eine Dokumentation, die die Ergebnisse wiederholbar macht.

Vier Ebenen der Beschreibung und Analyse von Verhalten (nach Tinbergen) (S. 34/35):
  • Die unmittelbaren oder proximaten Ursachen es Verhaltens.
  • Die [ontogenetische] Entwicklung des Verhaltens.
  • Die evoluierte oder ultimate Funktion des Verhaltens
  • Der phylogenetische Ursprung des Verhaltens

Das Verhalten eines jeden Hundes wird beeinflusst durch die Phylogenese, die Domestikation, die Rassezucht und die Ontogenese. All diese Aspekte muss man letztlich im Kopf haben, wenn man das Verhalten von Hunden beobachtet, wenn man es beeinflussen möchte (damit der Hund sich unserer Umwelt konform 'benimmt'), wenn man z.B. einschätzen möchte, was einen bei einem bestimmten Hund erwarten kann.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Christiane

Und nach dieser Einleitung geht F-P erstmal mit uns (also mit den Hundehaltern, mit der Gesellschaft) ins Gericht und ich kann das gut nachvollziehen!

S. 38: "Unsere Probleme im Zusammenleben mit Hunden basieren auf dem Dissoziieren von hundlichem Ausdruck und subjektivem Eindruckserlebnis in uns, insbesondere unsere Anthropozentrik, unsere Ich-Bezogenheit, ist die Crux, wenn es um Wertungen, Bewertungen und das Einordnen unserer Mitwelt geht."

"Hunde sind Besitz, sie werden ausgesucht, sollen gefallen, der Erbauung und Ich-Erweiterung ihrer Halter dienen, müssen 'funktionieren'."

"Hundeleben wird streng verwaltet." : Leinengebot, viele Kinder (und Erwachsene) fürchten Hunde, sind vom Umgang mit ihnen entfremdet, bei Veranstaltungen gibt es häufig Hundeverbot, Beschränkungen bei der Mitnahme von Hunden in Öffis, Rassenindices, Maulkorbgebote,...
Das ist tatsächlich auch mein Eindruck, dass Hunde nach und nach immer mehr eingeschränkt werden, in immer größerem Umfang ihre 'Gefährlichkeit' in den Fokus geschoben wird.
Auch in diesem Zusammenhang sehe ich die Rassehundezucht, wie wir sie aktuell sehen, kritisch: Hier werden Hunde weiterhin nach den bestehenden Standards gezüchtet, die aber nicht mehr den aktuellen Lebenswirklichkeiten entsprechen. Es werden Jagdhunde, Schutzhunde, Hütehunde gezüchtet - die alle zum weitaus größten Teil nicht jagen, nicht schützen, nicht hüten sollen. Und statt sich darum zu bemühen, das Zuchtziel anzupassen, den Fokus auf einen Familien-und Begleithund als Zuchtziel zu richten, wird versucht, dem Hund seine angezüchteten Fähigkeiten abzutrainieren. Und wenn das nicht oder nicht in ausreichendem Umfang gelingt, greifen wir zu immer mehr Hilfsmitteln: Schleppleine, Halti, Maulkorb.
Ich finde diese Entwicklung unglaublich traurig und sehr deprimierend.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Musca

Zitat von: Christiane in 26. April 2023, 21:39:32S. 29: "Und Autorität dem Hund gegenüber gehört dazu. Autorität heißt rechtmäßig ausgeübte Macht, sie lebt von der Persönlichkeit und Authentizität des Menschen, nicht etwa von Unterdrückung durch Despoten."
Ich fürchte, vor der Ausübung dieser Macht scheuen sich viele Leute oder werfen sie mit Gewalt in einen Topf. Aber hier geht es darum, dass wir die Regeln in der menschlichen Gesellschaft kennen und dem Hund helfen müssen, innerhalb dieser Regeln ein gutes Leben führen zu können.
Ich finde auch das viele Menschen damit ein Problem haben. Entweder setzen sie keine klaren Grenzen oder sie gehen mit zuviel Härte an die Sache ran. Welchen Lehrer haben wir früher respektiert? Nicht den der Gebrüllt hat und auch nicht den der alles hat durchgehen lassen am bekiebtesten waren die mir klaren Regeln die aber auch mal eine Ausnahme machen konnten wenn alles lief.

S.29 "Hundehalter müssen Grenzen setzen können, um ihrem Hund Freieiten wie Sicherheit zu gewähren, um Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen, um keinen Menschen zu belästigen oder gar zu gefährden."

Zitat von: Christiane in 30. April 2023, 21:12:51"Hundeleben wird streng verwaltet." : Leinengebot, viele Kinder (und Erwachsene) fürchten Hunde, sind vom Umgang mit ihnen entfremdet, bei Veranstaltungen gibt es häufig Hundeverbot, Beschränkungen bei der Mitnahme von Hunden in Öffis, Rassenindices, Maulkorbgebote,...
Das ist tatsächlich auch mein Eindruck, dass Hunde nach und nach immer mehr eingeschränkt werden, in immer größerem Umfang ihre 'Gefährlichkeit' in den Fokus geschoben wird.

Aus meinem Empfinden haben wir aber auch immer mehr schwierige Hunde. So viele Leute haben sich in den letzten Jahren einen Hund angeschafft, weil es momentan leider modern ist. Und oft muss es dann natürlich auch noch etwas ganz Besonderes sein. Warum benötigt eine Familie mit Kleinkind einen Rottweiler aus der Leistungszucht oder eine Entlebucher Sennenhund? Warum werden so viele Herdenschutzhunde (oder Mixe) in ein Stadtleben gepresst? Bei unserem Urlaub in Holland ist mir auch aufgefallen, dass dort die Hunde viel verträglicher sind und alles viel lockerer abgeht. Nur die Frage ist woran liegt das? Liegt es an der Umgebung (wer macht schon in den Großstädten mit seinem Hund Urlaub. Liegt es am Cannabis Konsum der Holländer (SCHERZ)? Oder empfinden wir es nur anders da wir ja entspannter sind?




Christiane

Zitat von: Musca in 03. Mai 2023, 11:41:19Aus meinem Empfinden haben wir aber auch immer mehr schwierige Hunde. So viele Leute haben sich in den letzten Jahren einen Hund angeschafft, weil es momentan leider modern ist. Und oft muss es dann natürlich auch noch etwas ganz Besonderes sein. Warum benötigt eine Familie mit Kleinkind einen Rottweiler aus der Leistungszucht oder eine Entlebucher Sennenhund? Warum werden so viele Herdenschutzhunde (oder Mixe) in ein Stadtleben gepresst? Bei unserem Urlaub in Holland ist mir auch aufgefallen, dass dort die Hunde viel verträglicher sind und alles viel lockerer abgeht. Nur die Frage ist woran liegt das? Liegt es an der Umgebung (wer macht schon in den Großstädten mit seinem Hund Urlaub. Liegt es am Cannabis Konsum der Holländer (SCHERZ)? Oder empfinden wir es nur anders da wir ja entspannter sind?

Ja, das denke ich auch, empfinde ich auch so.
Fragen dazu: Ist es tatsächlich so oder ist das, zumindest teilweise, nur gefühlt so? Falls letzteres: Weshalb halten wir Hunde bei gleichem Verhalten für gefährlicher als wir es früher taten? Und wenn es teilweise wirklich so ist, dass Hunde gefährlicher sind: Woran liegt das?
Ich bin gespannt auf Eure Ideen dazu...
Und ob Ihr Ideen habt wie man da wieder auf eine bessere Schiene kommen könnte. Oder ist der Zug abgefahren??
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)