Kate Thompson - Die Bibliothek der Hoffnung

Begonnen von Sagota, 28. April 2023, 20:13:20

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Sagota

Der auf historischen Fakten basierende, sehr berührende Roman "Die Bibliothek der Hoffnung" von Kate Thompson (erschienen bei Droemer-Knaur, 2023, tb, brosch., 477 S.) entführt den Leser ins Jahr 1944, als London in der Zeit des 2. Weltkriegs dem sog. "Blitz"-Angriff der Nazis ausgesetzt war und bombardiert wurde.


Inhalt:


Die Bibliothekarin Clara Button (25) kann mit einigen HelferInnen, u.a. ihrer besten Freundin und Assistentin Ruby Munroe, einige Tausend Buchexemplare aus der zerbombten Bücherei retten, in der auch ihr Chef Peter dem Bombentreffer der Deutschen zum Opfer fiel, der kleine schwarze Bibliothekskater jedoch wie durch ein Wunder überlebte, wie sich viel später herausstellen sollte...


Da Clara Bücher über alles liebt, ist es ihr wichtig, 24 m unter der Erde, im "Shelter" des U-Bahn-Schachts Bethnal Green, der 5000 Menschen das Überleben sichert, in dem auch Schlafplätze eingerichtet werden, ein Buchangebot den Menschen zur Verfügung zu stellen, die durch die täglichen Angriffe im Krieg in Gefahr und teilweise traumatisiert sind. Sie möchte den Menschen die Gelegenheit bieten, sich durch packende Lektüre vom harten Kriegsgeschehen zumindest teilweise abzulenken (und sei es auch nur für einige Kapitel). Dafür brennt und lebt sie; ebenso wie Ruby (26), die sie nach Kräften unterstützt. Der dritte im Team ist der liebenswürdige Mr. Pepper (86), der nach dem Tod seiner Frau eine neue Aufgabe und Beschäftigung in der Bibliothek findet. Sogar zu den Arbeiterinnen in den Fabriken fahren Clara und Ruby mit einem Bücherbus ihre Romane aus, da dort sehr gerne Liebesromane gelesen werden. Der "Shelter" ist wie ein kleines Dorf und beheimatet ein Theater, einen Kindergarten, ein Café, eine Sanitätsstation, ein Friseur und - die kleine Behelfsbibliothek, die für viele ein Zuhause in dieser Zeit wird. Es findet ein Lesekreis statt und jeden Abend ist es Clara sehr wichtig, eine Vorlesestunde für die Kinder einzurichten: Diese liegen ihr ganz besonders am Herzen.


Sehr atmosphärisch und warmherzig wird die Geschichte der Bibliothekarin Clara und der von Ruby erzählt, auch von einigen sehr netten und liebenswerten ProtagonistInnen wie Sparrow, dem Clara das Lesen beibringen will, Dot, der netten Cafébesitzerin, Billy, der ein Auge auf Clara geworfen hat und Sanitäter ist, Mr. Pepper, der eine meiner Lieblingsfiguren im Roman ist; aber auch ProtagonistInnen wie Netty, der Mutter von Ruby und Mr. Pinkerton-Smythe, der andere - weitaus weniger sympathische Ansichten als Clara vertritt und sie am liebsten in ihrer Funktion als Bibliotheksleiterin vertreiben würde (ebenso wie die Kinder und die Obdachlosen, die wie alle in der Bücherei stets willkommen sind).


Jedes Kapitel trägt die Überschrift eines Bibliothekars/einer Bibliothekarin und zeugt von den wahren Hauptprotagonisten des Romans: Den Büchern, die auch in finsteren Zeiten Hoffnung und Trost spenden können! Auch begegnen uns natürlich viele wunderschöne Klassiker der englischen Literatur (Der Wind in den Weiden, Die Schatzinsel, Jane Austen, die Schwestern Bronte u.a. bis hin zu auch mal 'schlüpfrigen' Liebesromanen, die besonders bei Frauen (deren Männer seit Jahren im Krieg sind), großen Anklang finden - sehr zum Missfallen von Mr. Pinkerton-Smythe, der mehr "für Anstand und Ordnung" zu sein scheint....


Die Figuren sind sehr gut ausgeleuchtet und in ihrer Vielfältigkeit der Facetten sehr gut vorstellbar; auch Eddie, der GI, der sich in die stets (nach außen) muntere Ruby verguckt und unzählige Bände von "Vom Winde verweht" für sie sammelt, damit sie ihn erhört. Trotz der heiklen Lage, in der die Bevölkerung sich befindet, ist durch den Roman spürbar, wie solidarisch sich alle verhalten, was mich sehr beeindruckt hat. Im 'Shelter' hält man zusammen; auch wenn es um zwei Schwestern aus Jersey geht, die jünger sein dürften, als sie vorgeben, es zu sein. Erzählt wird diese Geschichte, die sich so oder ganz ähnlich zugetragen haben könnte, von Beatty, damals noch ein Kind, die die Zeit im Shelter und in der Bücherei ihr ganzes Leben mit sich herumtrug, bis sie es als 88jährige alte Frau endlich ihren Töchtern erzählte (dass sie adoptiert wurde, hatte sie jedoch nie verheimlicht). Auch einen Unfall mit politischer Brisanz, der sich 1943 auf der Rolltreppe hinunter in den Shelter zutrug, spart die Autorin nicht aus: Ihm fielen 173 Menschen durch eine Massenpanik zum Opfer, für die heute an derselben Stelle im Stadtteil Bethnal Grenn ein Memorial steht.


Am Romanende geht die Autorin auch auf die Geschichte der Bethnal Green Library ein, die durch die Pandemie in Gefahr war, geschlossen zu werden und 1911 eröffnet wurde; auch Fotos der damaligen BibliothekarInnen und die Bibliothek selbst sind zu sehen: Ich hoffe, Kate Thompson konnte anlässlich dieses Ereignisses eine Rede halten, die unzählige Interviews mit Zeitzeugen führte, um diesen wundervollen Roman zu schreiben.


Fazit:


Ein ergreifender, emotionaler, berührender Roman, der Verlust, Schmerz und Traumatisierung der Londoner sehr gut beschreibt; aber auch Lebensfreude und das Aufblitzen von Humor, Durchhaltevermögen, Hoffnung und auch Liebe dagegensetzt: Mit Billy und Clara sowie Ruby und Eddie, allesamt sehr sympathische Charaktere, erlebt man ein Stück authentischer Zeitgeschichte des 2. WK in der Londoner U-Bahn-Station, die lange nachhallt. Die Bücher sind hier - wie auch die "Hüter der Bücher", die BibliothekarInnen, die wahren Hauptakteure: Sie vermögen Menschen auch in dunkelsten Zeiten Hoffnung zu geben, Trost zu spenden; der Roman ist eine Hymne an sie, an die Fähigkeit von Büchern, die das Leben eines Menschen verändern können, Licht in dunkle Zeiten zu bringen und die Feststellung, dass sie für alle in Bibliotheken kostenlos zur Verfügung stehen sollten. Sehr bewegt klappt man am Ende dieses Buch zu und kann sich bei der Autorin wie bei den Verlagen nur bedanken, dass er veröffentlicht wurde! Von mir eine absolute Leseempfehlung!

Christiane

Danke für die Rezi. Das Buch steht ganz oben auf meiner Wunschliste.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Sagota

Sehr gerne, liebe Christiane: In einem anderen Forum sind ebf. 2 weitere LeserInnen, die sich nach der Rezension FÜR das Buch entschieden haben: Mich freut's sehr - weil es wirklich sehr gut geschrieben ist - eine packende, ergreifende Story auf authentischer Geschichte basierend. Viel Spaß beim Lesen!  :winken: