Ellen Sandberg - Die Schweigende

Begonnen von nirak, 23. November 2020, 18:46:14

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nirak

Ellen Sandberg - Die Schweigende
ISBN: 9783328104588
Seiten: 517
Verlag: Penguin
Ausgabe: broschur
Preis: 16€
ET: 10/20


Vergangenheit und Gegenwart gehören zusammen

Imke, Angelika und Anne sind längst erwachsen und haben ihren Platz im Leben gefunden, als unerwartet der Vater der Familie Remy verstirbt. Zurück bleiben eine verstörte Witwe und ihre Töchter. Karin und ihr Mann waren viele Jahre lang verheiratet und glücklich, aber noch im Sterben nimmt Jens seiner Tochter Imke ein Versprechen ab, dass alles verändern und das Leben ihrer Mutter infrage stellen wird. Diese Tage im Jahre 2019 sind für die Familie Remy nicht einfach.

Karin ist eine lebenslustige junge Frau und wächst im Nachkriegsdeutschland auf. Sie träumt im Jahre 1956 davon, Ärztin zu werden. Sie liebt Musik von Elvis Presley und spart für eine Jeans. Sie wähnt sich einer glücklichen Zukunft gegenüber, als ein einziger Tag alles verändert und nicht nur Folgen für die junge Frau hat, sondern auch für die Menschen, die sie liebt.

Mit ,,Die Schweigende" liegt der neue Roman von Ellen Sandberg vor mir. Ein Roman, auf den ich mich schon gefreut habe und am Ende auch nicht enttäuscht wurde. Die Autorin versteht es geschickt ihre Leser gefangen zu nehmen. Auf den ersten Seiten war mir dieser Roman allerdings zu sehr Familienroman. Die Familie Remy hat ein wichtiges Familienmitglied verloren und muss nun mit ihrer Trauer kämpfen. Jeder der Frauen macht das auf ihre eigene Weise und so werden die einzelnen Charaktere vorgestellt. Schnell stellt sich heraus, dass die Schwestern nicht nur Liebe für einander empfinden. Dann beginnt Imke damit das einmal gegebene Versprechen des Vaters zu erfüllen und in der Vergangenheit der Familie zu forschen. Ab diesem Punkt fängt die Geschichte, an interessant zu werden.

Dann beginnt auch schon ein weiterer Handlungsstrang, der im Jahre 1956 einsetzt und das Leben von Karin, der Mutter von Imke, Angelika und Anne, erzählt. Auch hier geht es eher beschaulich zu. Das Leben eines Teenagers hat ja nun nicht so viel an spannendes zu bieten. Aber nur bis zu dem Tag, als sich alles veränderte.

In Rückblenden erfährt man so nach und nach, was in diesen Tagen in den 50er-Jahren geschehen ist. Ab diesem Zeitpunkt ist diese Geschichte sicher keine beschauliche Familiengeschichte mehr. Eher im Gegenteil. Das, was Karin erlebt hat, hat ihr Leben bis ins hohe Alter geprägt und sie zu dem gemacht, wie ihre Töchter sie ihr ganzes Leben lang kannten. Die Autorin hat es gut verstanden, die Gefühle und Gedanken dieser Familie in Szene zu setzen. Sie schildert ausführlich von längs vergangenen Ereignissen, aber auch von einem Skandal, der erst viele Jahre später ans Licht der Öffentlichkeit kam. Auch wenn es keine leichte Kost gewesen ist und das Leben von Karin alles andere als schön zu bezeichnen war, hat es mich gut unterhalten und nachhaltig berührt.

Ich fand es vor allem interessant zu lesen, wie nur ein Familienmitglied eine ganze Familie zusammengehalten hat. Sein Verlust hat hier die Mädchen völlig aus der Bahn geworfen und ihr eigenes Leben eine neue Richtung gegeben. Während Imke es irgendwie geschafft hat, sich mit der Vergangenheit der Mutter auseinanderzusetzen und gleichzeitig nicht völlig aus der Bahn geriet, hatten es ihre Schwestern schon schwerer. Mir hat gefallen, wie die Mädchen beschrieben wurden, wie sie ihre Kämpfe ausgetragen haben, um am Ende einen Weg für sich zu finden.

Fazit:

Auch wenn ,,Die Schweigende" ein fiktiver Roman über das Leben einer jungen Frau ist, könnte es durchaus irgendwo eine Geschichte gegeben haben, die dieser sehr nahekommt. Ellen Sandberg versteht es, ihre Geschichten lebendig und echt zu erzählen. Auch wenn ich zu Beginn kleine Probleme mit der Handlung hatte, spätestens nach der hundertsten Seite hatte sich das gelegt und ich konnte nicht mehr aufhalten zu lesen. Dieser Roman erzählt eine Geschichte, die unter die Haut geht und dabei sicher nichts für schwache Nerven ist. Auch wenn es sich hier nicht um einen blutrünstigen Thriller handelt, geht die Geschichte unter die Haut und lässt einen nicht kalt.

[note2]

Christiane

Der Titel des Buches konnte mich erstmal so gar nicht locken. Aber Deine Rezi lässt dies Buch nun doch auf meinen Wunschzettel hüpfen. Wie gut, dass bald Weihnachten ist  :-).
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

Inge78

Ich habe ja gerade erst "Das Erbe" gelesen , bin aber jetzt auch neugierig auf "Die Schweigende"
Auf dem SUB ist es schon
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Kathrin

Und hier meine Meinung zu "Die Schweigende von Ellen Sandberg:

Nachdem ich von Ellen Sandbergs vorletzten Roman ,,Das Erbe" fast schon ein wenig enttäuscht war, so hat sich die Autorin mit ,,Die Schweigende" selbst übertroffen. Ich kann es kaum erwarten, was neues von ihr in den Händen zu halten – egal ob unter Inge Löhnig oder ihrem Pseudonym Ellen Sandberg veröffentlicht.

Ellen Sandberg erzählt uns in ,,Die Schweigende" die Geschichte der Familie Remy, allen voran die Geschichte von Karin und ihren drei erwachsenen Töchter Anne, Imke und Geli, die sich nach dem plötzlichen Tod von ihrem Ehemann bzw. Vater Jens neu zusammenraufen müssen. Erschwerend hinzu kommt die Aufgabe, die Jens kurz vor seinem Tod seiner Tochter Imke, übertragen hat: Sie soll Peter suchen, von dem sie noch nie gehört hat. Sie stößt dabei auf ein Familiengeheimnis, dass als Leser kaum zu ertragen ist und das vieles erklärt, was im Leben von Karin, in ihrer Ehe und in ihrer Beziehung zu ihren Töchtern nicht gut gelaufen ist.

Das Buch ist auf zwei Zeitebenen erzählt, doch wer jetzt eine Wohlfühlgeschichte im Stil einer Lucinda Riley o.ä. erwartet, hat noch nie ein Buch von Ellen Sandberg gelesen. Denn dann wüsste man, dass es zumindest in dreien der vier Ellen-Sandberg-Romane um unfassbar grausame und ungerechte Zeiten in der deutschen Geschichte geht. Ich hatte während der kompletten 518 Seiten einen dicken, fetten Kloß im Hals, musste mehr als einmal mit den Tränen kämpfen und das quasi auf Seite 1 an, startet mit dem Tod von Jens Remy, den wir zwar eigentlich nicht wirklich kennenlernen dürfen, wo aber von Anfang an klar ist, wie groß, wie unüberbrückbar sie Lücke ist, die sein Tod in das Leben seiner Familie gerissen hat.

Hauptfigur in diesem Roman ist Karin, die wir in den Vergangenheitsabschnitten als Jugendliche in den 50er Jahren kennenlernen.
Karin,
Zitatder es nie gelungen war, über ihren Schatten zu springen und ihre Töchter fest in den Arm zu nehmen, sie zu knuddeln und zu kitzeln, bis sie kreischten, ihnen übers Haar zu streicheln, sie zu küssen und zu liebküssen, ihnen zu sagen, wie sehr sie sie liebte, wie wunderbar sie waren.
Karin,
Zitatdie manchmal Sprüche losließ, die einen schaudern machten. Sie wie damals, dachte Geli, als ihre Schulfreundin Monika im Alter von 16 Jahren im Wäldchen hinter der Schule vergewaltigt und ermordet worden war und die ganze Schule unter Schock stand. Der ganze Ort. Und was sagte Karin? ,,Manchmal ist es vielleicht besser tot zu sein."
Karin,
Zitatvon der es keine lustigen oder traurigen Geschichten, keine Anekdoten gab, wie ihr Mann sie von seiner Kindheit erzählt hat.
Und dabei gab es diese Geschichten, sie wurden nur nie erzählt, denn was sie erlebt hat, war schon allein als Leser kaum zu ertragen oder zu verdauen und hatte nicht nur Auswirkungen auf Karins eigenes Leben sondern auch auf das ihrer Töchter. Und dabei war ihr Leben zunächst ein hoffnungsvolles, gutes Leben bei ihrer alleinerziehenden Mutter nach dem Krieg. Nur sieht man das als 15-16 jähriger Teenager nicht immer ein, das hat sich bis heute nicht geändert.

Wie nicht anders zu erwarten besticht Ellen Sandberg auch hier mit ihrem grandiosen Erzähltalent, eine guten, unkomplizierten Sprache aber so vielen gewaltigen Bildern, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte und über 300 Seiten an einem gemütlichen Sonntag weggesuchtet habe. Man fühlt mit den Figuren mit, man riecht den Himbeergeruch, den ich an sich so liebe, aber gegen den ich zusammen mit Karin einen absoluten Widerwillen verspürt habe, der mir einen Brechreiz verschafft hat. Auch der Flair der 50er Jahre kommt super rüber, zumindest zu der Zeit in Karins Jugend, als sie mir ihrer Clique rumhängt und der neuen Musik aus dem Kofferadio lauscht. Die Zeit in der es nach dem schrecklichen Krieg langsam wieder Bergauf geht. Das hat die Autorin in meinen Augen alles ganz wunderbar gemacht. Nur einen kleinen Kritikpunkt habe ich und das die etwas zu überspitzte Charakterisierung der einen Tochter, die in meinen Augen echt überzeichnet war. Doch das hat Ellen Sandberg gekonnt mit eine ganz wundervollen Liebesgeschichte wett gemacht, der Liebe zwischen Karin und Jens, die zwar nur im Hintergrund lief aber dafür umso wichtiger, vor allem für Karin und ihr Leben war.

,,Die Schweigende" ist ein ganz wundervoller Roman, wenn auch mit einem schwer zu verdauenden Thema. Ein Buch voll von Ungerechtigkeiten und körperlichen und verbalen Grausamkeiten, aber auch ein Buch mit tollen Figuren, die man versteht, mit denen man mitleidet und die man nie vergessen wird.

Bewertung:
[note1]
Rock the Night!

Inge78

Karin fällt in ein Loch, als ihr geliebter Mann Jens verstirbt. Er war ihr Halt, denn Karin hat viele Geheimnisse aus ihrer Vergangenheit, von der auch ihre 3 Töchter nichts wissen.
Besonders Imke, die mittlere Tochter, versucht, Licht in das vergangene Leben ihrer Mutter zu bringen, hat sie doch ihrem Vater in seinen letzen Augenblicken versprochen, einen gewissen Peter zu finden. Doch wer ist Peter? Bei ihrer Mutter stößt sie auf eine Mauer des Schweigens.

Ellen Sandberg hat mit "Die Schweigende" wieder einen großartigen Roman geschrieben, der ein dunkles Kapitel in der Geschichte Deutschlands aufarbeitet. Die Beschreibungen der Thematik sind teilweise schwer zu ertragen und sind mir wirklich nah gegangen. Ellen Sandberg schreibt gewohnt rutschig, das Buch ist auch aufgrund seiner Spannung ein echter Pageturner. Man merkt auch, dass wirklich gut recherchiert wurde. Was mich gestört hat war das Verhältnis der Schwestern, der Töchter von Karin. Ich verstehe die Intention der Autorin hinter diesem Verhalten, mir war es aber insgesamt zuviel Drama. Ansonsten aber eine volle Leseempfehlung für diesen Roman

[note2]
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf