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Storica => Rezensionen => Thema gestartet von: Inge78 in 11. Mai 2018, 14:55:50

Titel: Daniela Ohms - Wie Treibholz im Sturm
Beitrag von: Inge78 in 11. Mai 2018, 14:55:50
​​Viel mehr als eine Liebesgeschichte ...



... erwartet uns in diesem Roman von Daniela Ohms. Cover und Kurzbeschreibung lassen eher eine dramatische Liebesgeschichte vermuten aber seit dem grandiosen Roman "Winterhonig" weiß ich , dass Daniela Ohms die Gabe hat,  ihre Leser in einen Strudel hineinzuziehen und einen die Geschichte nicht mehr los lässt. So auch hier, wo wir uns auch als Leser "Wie Treibholz im Sturm" beim Lesen fast verlieren.

Wir begleiten Hannah die in einer Bombennacht ihre Familie und ihr Heim verliert und mit zahllosen anderen Flüchtlingen ums Überleben kämpft. Sie findet ein vorübergehendes Unterkommen in einem Gutshof in Schleswig-Holstein und muss dort  auch nach Kriegsende ums Überleben kämpfen denn Hunger und Kälte setzen den Überlebenden schwer zu.  Hannah schreibt Tagebuch und dadurch erhalten wir Einblick in ihre Jugend und müssen miterleben wie die Nazis immer mehr erstarken. Auch die Trauer über den Verlust ihrer Familie schreibt sie sich vom Herzen. Und nicht nur Hannahs Erinnerungen dürfen wir lesen sondern auch die Kriegserinnerungen eines weiteren Flüchtlings sind Teil des Buches. Der Fuchs hat schlimme Gräueltaten erlebt und überlebt, seine Seele/sein Geist haben dabei aber Schaden genommen. Kann Hannah ihm helfen seine Erinnerungen zu verarbeiten? Ist sie stark genug seine schlimmsten Handlungen zu verstehen und zu verzeihen?

Die Geschichte dreht sich um die große Frage der "Schuld". Wie viel Mitschuld trägt ein Soldat der Befehle ausführt? Wie kann man menschlich bleiben im Krieg? Wie kann man in ein normales Leben zurück kehren nach diesen Kriegserlebnissen?

Nach und nach breitet Daniela Ohms die Schrecken des Krieges vor uns aus, schonungslos und offen werden viele Gräueltaten angesprochen. Wut, Trauer, Fassungslosigkeit machen sich breit beim Lesen.

Und auch die Situation der Überlebenden nach Kriegsende wird erschreckend realistisch dargestellt. Hunger und Kälte bedrohen die Flüchtlinge und auch die Menschen die vor Ort leben haben kaum genug zum Überleben, geschweige denn zum Teilen. Wie also solle die "Fremden" versorgt werden? Und gerade das Thema "Flüchtlinge" und "Fremdenhass" macht das Buch auch so brandaktuell.

Der Autorin gelingt es immer wieder Hoffnungsschimmer im Buch aufblitzen zu lassen. Viele wunderbare Charaktere, allen voran Hannah, zeigen Stärke und Mut und wir erleben mit ihnen auch immer wieder schöne Momente, die Licht bringen in diese düsteren Zeiten. Und ja, auch für Liebe ist Platz im Buch. Und ist es nicht nur eine Liebesgeschichte die wir erleben dürfen und nicht jede der Liebesgeschichten endet glücklich.



Das Buch hat mich tief bewegt und mich mitgenommen auf eine Achterbahn der Gefühle. Ich konnte es ab einem bestimmten Zeitpunkt quasi nicht mehr aus der Hand legen. Und auch wenn es sicherlich keine leichte Lektüre ist es trotzdem ein wunderbares Buch voller wunderschöner Sätze und vielen Emotionen.

Absolute Kauf - und Leseempfehlung.


[note1]
Titel: Re: Daniela Ohms - Wie Treibholz im Sturm
Beitrag von: Sagota in 11. Mai 2018, 19:55:27
Nach dem ersten Roman der Autorin Daniela Ohms (Winterhonig) war ich sehr gespannt auf diesen Roman - und wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil: Ein intensiveres Leseerlebnis, das den Leser in die Kriegs- und Nachkriegsjahre zurückkatapultiert und anhand des Kennenlernens zahlreicher Personen, die den Roman bevölkern; hauptsächlich jedoch den beiden Hauptprotagonisten Hannah und den stummen Soldaten, der aus dem Krieg zurückkehrt und zufällig mit ihr und zwei weiteren Kriegsheimkehrern die Dachstube eines Gutshofs in Schleswig-Holstein teilt, bis zur letzten Seite nicht loslässt, hatte ich selten. Besonders auffallend war für mich, dass auch die "Nebenfiguren" wie Egon, Freddie - aber auch Herr von Kobelenz sehr gut angelegt waren und die Autoren auch diesen sehr viel Leben 'einhauchte'.


Der Roman beginnt in Hamburg, 1943 und man erlebt quasi mit, wie Hannah Riedel, Apothekertochter, verheiratet, ein Kind (4) nur durch Glück einen Fliegerangriff im Grindelviertel überlebt - jedoch an diesem Tag ihre gesamte Familie verliert...
Traumatisiert wird sie aus Hamburg evakuiert und findet, wie so viele Flüchtlinge, eine vorläufige Bleibe auf einem Gutshof in Schleswig-Holstein. Dort teilt sie sich kurz darauf eine fast nicht beheizbare Dachkammer mit drei Soldaten, von denen einer kein Wort spricht und von den Freunden "Fuchs" genannt wird, da er rotes Haar hat. Von diesem stummen - oder sollte man besser sagen, verstummten Menschen, der Schreckliches im Krieg durchmachen musste, fühlt sich Hannah unweigerlich angezogen und möchte ihm helfen, verliebt sich trotz dessen Stummheit in ihn...

Die zweite wichtigste Hauptfigur im Roman ist dieser "Fuchs", der knapp 18jährig, aus Ostpreußen stammend, den Zug mit hunderten anderer Soldaten besteigen muss und unterwegs bereits ahnt, was auf ihn zukommen wird. Er freundet sich mit einem älteren Kameraden an, da dieser ihn an seinen kleinen Bruder erinnert und wird gemeinsam mit Glaubitza einem Bataillon zugeteilt, das in Russland hinter der Frontlinie Partisanen bekämpfen sollen.... Es ist schier unglaublich, wie intensiv die Gefühle des kaum dem Kindesalter entwachsenen Fuchs von der Autorin dargestellt werden; seinen inneren Zwiespalt, seine erlebten Schrecken und sein unbeugsamer Überlebenswille:
Die Lektüre der Kriegsszenen, die Daniela Ohms nicht ausspart, sind ein Kernthema des Romans und umkreist die Themen Schuld - und Sühne; Verantwortung und Menschlichkeit, die in Zeiten des zweiten Weltkrieges - währenddessen und auch hinterher - quasi ausser Kraft gesetzt werden und viele Männer traumatisierten, nicht wenige zeitlebens, da eine Unterstützung in psychologischem Sinne, wie es heute der Fall ist, nicht gegeben war. Es geht aber auch um Freundschaft, ja um Liebe in Kriegs- und Nachkriegszeiten; um das schwierige Weiterleben, um Vertriebene und Flüchtlinge, die einander noch teils Jahrzehnte suchen sollten, da ganze Familien ausgelöscht - oder in Flüchtlingstrecks auseinandergerissen wurden.....

Die Konsequenzen von Traumata, Flucht und Vertreibung, besonders hier der früheren Gebiete Deutschlands wie Ostpreußen, Schlesien, Masuren z.B. greift die Autorin nicht nur auf, sondern beleuchtet sie in aller literarisch zur Verfügung stehenden Schärfe. Auch die "Wolfskinder" sind ein Thema und auch die Verfolgung und Ermordung der Juden - hier in Form von Klara, der besten Freundin Hannahs in der Zeit ihrer Kindheit, die aus einer jüdischen Familie stammte...

Ich hatte das Glück, mich in einer autorenbegleiteten Leserunde mit anderen LeserInnen austauschen zu können und mir ging es wie einigen anderen: Der Roman ist keine leichte Kost und der Stil von Daniela Ohms sowie der Verlauf der Handlungsstränge im Roman, die sich zeitlich von 1943 bis etwa 1949 erstrecken; von Hamburg über Weißrussland, Ostpreußen bis nach Schleswig-Holstein verortet sind, zeigen anhand der großen Authentizität von sowohl Hannah als auch dem Fuchs deutlich auf, welche Spuren und seelischen Verletzungen ein Krieg stets bei Menschen hinterlässt.
Dies kann und konnte in manchen Menschen solche irreparablen Schäden an der Seele verursachen, dass es kaum möglich war, wieder ein normales Leben führen zu können, die Wiese des Friedens wieder mit von Blut besudelten Stiefeln betreten zu können, wie es so treffend im Roman formuliert wurde. Auch lädt der Roman dazu ein, betreffende Themen wie Flucht, Vertreibung, Wolfskinder etc. durch eigene Recherchen noch zu vertiefen.

Fazit:

Daniela Ohms ist es unglaublich gut gelungen, eine Geschichte aus sehr dunklen Zeiten des 2. Weltkrieges zu erzählen, bei der man als Leser nahe an den sehr authentisch dargestellten Figuren "dran" ist; mit ihnen leidet, mitfiebert, sich freut, entsetzt ist und Hoffnung hat: Eine solche Intensivität, aber auch einen Roman, der mich emotional sehr mitgenommen hat und der mich mitunter an die Grenzen meiner Belastbarkeit beim Lesen brachte, habe ich sehr selten gelesen und möchte ihn dennoch absolut weiterempfehlen: Sehr gut recherchiert, exemplarisch für so viele Menschen, denen großes Leid zugefügt wurde durch den 2. Weltkrieg, die alles hinter sich lassen mussten und als Flüchtlinge geduldet wurden, schlägt die Autorin in ihrem Nachwort noch einen Bogen in die heutige Zeit, in denen erstmals die Zahlen von Flüchtlingen vergleichbar sind mit denen nach dem 2. Weltkrieg: Somit ist es für mich auch ein Plädoyer für Menschlichkeit und Frieden, der in allen Zeiten oftmals brüchig war: Es gilt, ihn zu erhalten, gerade in unserer Zeit!
Von mir erhält der Roman die volle Punktezahl, 5* und 100° auf der Histo-Couch sowie eine absolute Leseempfehlung!

Titel: Re: Daniela Ohms - Wie Treibholz im Sturm
Beitrag von: nirak in 12. Mai 2018, 16:45:19
Hallo,
das Buch klingt richtig gut. Ich werde es mir direkt mal merken. Danke für eure Rezis  :schmusen: