Alina Bronsky - Baba Dunjas letzte Liebe

Begonnen von Inge78, 11. März 2022, 15:40:55

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Inge78

Zitat»Eine große Geschichte von Menschen und ihrem Mut, ihrer Kraft und ihrer Unbeugsamkeit« Christine Westermann

Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sie sich mit Gleichgesinnten ein neues Leben auf. Mitten im Niemandsland, wo die Vögel so laut rufen wie nirgends sonst und manchmal ein Toter auf einen Plausch vorbeikommt. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe nach Deutschland, an ihre Tochter. Doch dann kommen Fremde ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung.

Voller Kraft und Poesie, voller Herz und Witz lässt Alina Bronsky eine untergegangene Welt wiederauferstehen und erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, die im hohen Alter ihr selbstbestimmtes Paradies findet.

,,Bis heute wundere ich mich jeden Tag darüber, dass ich noch da bin. Jeden zweiten frage ich mich, ob ich vielleicht eine von den Toten bin, die umhergeistern und nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass ihr Name bereits auf einem Grabstein steht. Einer müsste es ihnen sagen, aber wer ist schon so dreist. Ich freue mich, dass mir niemand mehr etwas zu sagen hat. Ich habe alles gesehen und vor nichts mehr Angst. Der Tod kann kommen, aber bitte höflich."

Baba Dunja, mittlerweile jenseits der 90 und damit Dorfälteste im (fiktiven) Dorf Tschernowo, ist vor mehr als 20 Jahren in die sog. Todeszone rund um Tschernobyl zurückgekehrt. Etwa 30 Bewohner umfasst das einstmal größere Dorf, Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, die wie Baba Dunja selbst, verstrahlt sind und denen die Gegend somit keinen Schrecken mehr einjagt. Sie genießen ihr eigenbrötlerisches Leben bis plötzlich ein Mord die kleine Gemeinde erschüttert.

Alina Bronsky hat ihrem Roman ein sehr ungewöhnliches Setting gegeben. Ein sterbendes Dorf in der Todeszone rund um Tschernobyl. Da bekommt man Beklemmungen, hat sofort Bilder im Kopf, assoziiert damit sofort schreckliche Schicksale. Baba Dunja und ihre Gemeinschaft machen sich offensichtlich nicht viele Gedanken darum, ernten und jagen, lassen sich weder mit Geld noch Warnungen aus ihrem Dorf vertreiben. Das habe ich beim Lesen oft nicht nachvollziehen können, wie man dort leben kann, wenn man weiß, die Gegend bringt einen um. Aber sie haben dort ein Haus und diese Liebe zur Heimat ist groß und sie wollen nicht gehen. Das kann ich respektieren. Wenn auch nicht vollständig akzeptieren, denn gerade Baba Dunja hätte die Möglichkeit, zu ihrer Tochter nach Deutschland zu ziehen. Es ist schon ein verrücktes Leben auf dass sich die Dörfler doch eingelassen haben. Und man merkt ja, dass sie wissen, auf was sie sich einlassen, als ein fremdes Kind ins Dorf kommt, wollen sie es mit allen Mitteln vor der Strahlung schützen und schnellstmöglich aus dem Dorf bringen.
Aber Alina Bronsky schafft den Spagat, dass ich die Personen trotzdem lieb gewinne, ihre Eigenarten zu schätzen weiß und ihnen ihre Lebensweise zugestehen kann. Mit viel Liebe und Wärme und auch Witz erzählt sie vom Leben der Baba Dunja, ihren kleinen Wünschen und Träumen. Man merkt, mit wie wenig man glücklich sein kann. Und wie viel man bereit ist zu ertragen, um seine Lieben zu schützen. Das ist tragikomisch , berührt mich und macht mich gleichzeitig traurig. Alina Bronsky erzählt unaufgeregt, manchmal recht schroff, was gut zur Figur der Baba Dunja passt. Und Sophie Rois, die das Hörbuch einliest, hat Baba Dunja eine wunderbar passende Stimme gegeben.
Ein kleines modernes Märchen vielleicht, eine Parabel auf das Leben, ein Buch dass sich mit dem Kleinen zufrieden gibt und Glück im Unglück findet. Lesenswert.

Und bei aller Zufriedenheit der Baba Dunja trotzdem ein Mahnmal gegen eine atomare Katastrophe

[note2]
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Kathrin

Danke für die Rezi, das bestärkt ich darin, dass Buch auch zu lesen... irgendwann
Rock the Night!