Der Spielmann - Ingrid Ganß

Begonnen von Annette B., 16. April 2010, 00:41:12

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Annette B.

Der Spielmann von Ingrid Ganß

[isbn]3940855162[/isbn]


Zitat von: Amazon de.Während sich in Frankreich am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. jede erdenkliche Pracht entfaltet, leiden die deutschen Lande unter den Folgen des 30jährigen Krieges. In dieser Zeit begeistert sich die behütet aufgewachsene, gebildete Fürstentochter Elisabeth für die aufkeimenden Gedanken von der Gleichheit von Mann und Frau. Sie widersetzt sich den Heiratsplänen ihres Vaters, bis dieser die Geduld verliert und sich zu dem Schwur hinreißen läßt, sie solle nach Ablauf eines Monats mit dem erstbesten Manne vermählt werden, der um ihre Hand anhält. Und just an diesem Tag betritt der verwegen aussehende junge Spielmann Jakob den Speisesaal des Fürsten. Er führt die verwöhnte Prinzessin auf die staubige Landstraße, und Elisabeth muß lernen, sich in der ihr gänzlich unbekannten Welt der Gaukler und Zigeuner, der Bauern und Küchenmägde zurechtzufinden.

Meine Meinung:

Es gibt diesen alten Spruch, dass gute Bücher wie Freunde sind. Ich habe schon viele Freunde unter den Büchern gefunden die mich auch nach Jahren noch begleiten, da ich sie immer wieder gerne lese.
Mit diesem Buch >Der Spielmann< habe ich jetzt einen ganz besonderen neuen Freund gefunden, der mich sicher für den Rest meiner Tage begleiten wird.

Es ist diese wundervolle Mischung, aus einem Märchen und der hist. realen Alltags-Welt, die Ingrid Ganß in diesem Buch geschickt miteinander verbunden hat.

Ein König hatte einmal eine Tochter, die hochmütig und stolz war und kein Heiratskandidat war ihr genehm!

Oder war die Tochter einfach nur klug und selbstbewusst? Hatte sie vielleicht andere Vorstellungen von ihrem Leben, als Heiraten und jedes Jahr ein Kind zu bekommen?
Kann man die Aussagen die in den alten Märchen stecken, nicht auch heute noch in unserer Gesellschaftsordnung – und speziell auf die Stellung der Frau bezogen – immer wieder neu definieren?
Dieses Buch liefert viele kritische und interessante Denkanstöße zu diesem Thema. Und nicht nur zu dem Thema Frauen in der Gesellschaft, sondern auch zu vielen anderen Themen, die das soziale Netz im Alltag aller Menschen betreffen.

Ich habe selten einen historischen Roman gelesen der komplett ohne Gewalt und Vergewaltigungsszenen auskommt und dennoch atemberaubend spannend und fesselnd ist. Die Zeit nach dem 30 jähr. Krieg war für die Bürger und Bauern in Deutschland schon grausam genug. Armut, Hunger, Kälte, Krankheiten, Unwetter und grausame Strafen für kleinere Straftaten machten den Menschen das Leben schon schwer genug. Hinzu kam für viele Frauen auch noch die Angst vor der Inquisition.
Dieses reale Leben führten die kleinen, armen Menschen zwischen Abfällen und baufälligen Behausungen.

Im Adel sah das jedoch ganz anders aus! Da wurde geprasst und verschwendet. Die feinen Damen kümmerten sich um ihre Frisuren und den neuesten Klatsch. Genau in diesem Umfeld wächst Elisabeth auf und soll, nachdem sie sich lange gesträubt hat, nun endlich verheiratet werden.

Elisabeth wehrt sich jedoch mit allen Mitteln die ihr zur Verfügung stehen und am Ende reißt dem Vater der Geduldsfaden! Er setzt einen Tag fest, an dem der erste Mann der das Schloss betritt, Elisabeths Ehemann werden soll.
Und wie der Teufel es so will, taucht genau zu diesem Zeitpunkt ein junger Spielmann auf!

Und nun wird es nicht nur heiter für den Leser, sondern auch manches mal etwas grausam, denn man lacht und leidet fürchterlich mit den Protagonisten. Plötzlich sieht man die Welt, und auch die Zeit nach dem 30 jähr. Krieg mit ganz anderen Augen. Für Elisabeth, die sehr behütet aufgewachsen ist, ist es ein furchtbar großer Sprung in die grausame Realität der arbeitenden Menschen. Sie lernt Bauern und Gaukler kennen und muss ihren Platz in der Gesellschaft wieder finden.
Zumal sie nun mit einem Spielmann verheiratet ist!!!! 

Der Spielmann, Jakob, ist schon eine Klasse für sich! Ein bisschen Macho, ein bisschen Oberlehrer, außerdem auch noch mit einer gehörigen Portion Eigensinn gesegnet und obendrein auch noch so richtig schön romantisch und zärtlich. Ein Typ zum verlieben, aber eben auch mit vielen charakterlichen Ecken und Kanten! Nicht unbedingt der tolle strahlende Held der unfehlbar ist.

Aber auch Elisabeth ist nicht ohne! Sie ist mindestens genauso eigensinnig wie er! Sie ist klug und lernt schnell, aber sie ist natürlich auch immer wieder mal hilflos in dieser ganz fremden Umgebung. Diese Hilflosigkeit lässt sie dann auch schon mal Kratzbürstig oder Zickig erscheinen. Was sie aber gar nicht ist, im Gegenteil, sie ist ein sehr herzlicher und verständnisvoller Mensch.

Und somit knallen hier förmlich Welten und ,,Weltanschauungen" oftmals ungebremst aufeinander! Zudem liegt über dieser ganzen gespannten Atmosphäre auch noch dieses zarte knistern, wenn Jakob sein seltenes Lächeln zeigt.
DAS muss man selbst gelesen haben, es ist total spannend, fesselnd und sehr tiefsinnig beschrieben.

So ziehen also diese zwei wunderbar gezeichneten Charakter durch die deutschen Lande und es kommt zwischen Jakob und Elisabeth immer wieder zu sehr interessanten und sehr lebendigen Dialogen.
Die Autorin zeigt hier ein ganz besonderes Geschick bei der Wortwahl und auch bei der Satzstellung.

Ingrid Ganß zieht alle Register bei den Beschreibungen der Menschen und ihrer Gefühle. Genauso wie bei der Beschreibung der Landschaft und auch der Abenteuer die Elisabeth und Jakob erleben.
Die Autorin hat mit sehr einprägsamen Worten auch viele facettenreiche Nebencharaktere erschaffen, mit denen der Leser dann auch schnell vertraut ist.
Die Beschreibungen des Schmutz und der Armut sind so geschickt formuliert, dass man förmlich den Duft vom Unrat beim lesen in der Nase hat und unbewusst das Fenster öffnet.

Es entspinnt sich nun so nach und nach zwischen Jakob und Elisabeth eine Beziehung, in der die beiden sich nichts schenken, aber dabei immer versuchen fair und respektvoll miteinander umzugehen. Sie debattieren auf gleichem Niveau und mit starken Argumenten. Diese Debatten habe ich auch gerne zweimal gelesen, weil sie einfach so viel Spaß machten.

Die zarte Liebesgeschichte ist sehr geschmackvoll und gut dosiert in die Handlung eingefügt. Durch diese außergewöhnlich gute Dosierung wirkt diese Lovestory sehr romantisch und sehr erotisch.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr flüssig und leicht zu lesen. Auch wenn er am Anfang durch die eine oder andere französische Redewendung, die ja im Adel damals üblich war, etwas Anspruchsvoll wirkt. Das legt sich aber, sobald der Spielmann auftaucht.
Da es in diesem Buch keine Einteilung in Kapitel gibt findet man einfach nie einen Grund das Buch aus der Hand zu legen. Man sollte sich also von vornherein viel Zeit zum Lesen nehmen, denn wenn man erst einmal angefangen hat dann taucht man aus dem Buch erst wieder auf, wenn man es zuklappt.
Darum bekommt dieses wundervolle Buch auch von mir die Note:

Besonders Wertvoll und Lesenswert.  :hechel:

1 mit *** [note1]

Liebe Grüße Annette

Meike

Huhu Annette,
das Buch wird beim nächsten Einkauf in jedem Fall dabei sein!!! Danke für deine Rezi  :knuddel:

Liebe Grüße,
Meike
"Du öffnest die Bücher und sie öffnen dich"
Tschingis Aitmatov

Ich lese gerade:
"Seal Team 12 - Aus dem Dunkeln" Marliss Melton

Annette B.

Hallo Meike,

Zitatdas Buch wird beim nächsten Einkauf in jedem Fall dabei sein!!!

du wirst es nicht bereuen, dass wird Kathrin dir auch bestätigen. Und leg das Buch erst gar nicht in deinen SUB das wäre eine Totsünde! :klugscheiss: Ganz ehrlich, dass Buch ist einfach viel zu schön um im Schrank zu warten. :ausrast:
Liebe Grüße Annette

nirak

Hallo Annette :winken:

Eigentlich wollte ich hier meine eigne Rezi zum Spielmann reinstellen,
aber alles was ich schreiben würde, wäre nicht annähernd so treffrend wie deine tolle Rezi,
also habe ich beschloßen es sein zu lassen.

Ich kann mich einfach nur anschließen das Buch war klasse. anbet:
Ich habe es binnen weniger Tage gelesen, nein ich habe es verschlungen.
Es ist toll geschrieben, ich konnte es kaum aus der Hand legen.
Und ich freue mich schon auf den zweiten Band.

Von mir bekommt der Spielmann volle Punktzahl

[note1]

Kathrin

Meine Meinung:
Der Spielmann von Ingrid Ganß gehört für mich seit Jahren zu den schönesten und besten historischen Romanen, die ich kenne. Es tut gut, in diese wunderbare Welt von Jakob und Elisabeth abtauchen zu können, eine Welt und eine Geschichte, die auf dem Märchen ,,König Drosselbart" der Gebrüder Grimm basiert.

Aufgrund der Märchen-Grundlage kommt dieser historische Roman gänzlich ohne direkte Verbindung zu einer historischen Persönlichkeit aus. Und dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, erfahren wir sehr sehr viel über das 17. Jahrhundert und zwar nicht nur über das Leben der Reichen, Schönen und Mächtigen, sondern auch über die ,,kleinen Leute", die Bauern, die Bettler und die Bediensteten. Kleinigkeiten (z.B. dass Bedienstete nur mit der Erlaubnis ihres Herrn heiraten dürfen) bekommen wir quasi nebenbei erzählt und dennoch wird das Thema wieder aufgegriffen und schwebt nicht im luftleeren Raum. Wenn man über das Buch gelesen hat, dass es schon an eine Sozialstudie grenzt, so passt das schon und ist doch keine Sekunde langweilig oder schwierig zu verstehen. Denn viele Kritikpunkte an der damaligen Zeit, die unterschiedlichen Sichtweisen kommen gerade in den heftigen und lebendigen Diskussionen zwischen Elisabeth und Jakob sehr gut rüber.

Gerade diese Lebendigkeit zeigt mir immer wieder, was für einen wundervollen Stil Ingrid Ganß in diesem Buch benutzt. Man hat das Gefühl ganz tief in diesem Buch zu stecken, alles ist so lebendig und farbenfroh, so intensiv, sowohl die Welt der Reichen und Mächtigen, die mit ,,Französismen" um sich  werfen und die man betrunken auf dem Maskenball bei Elisabeths Vater zu Beginn des Buches beobachten kann als auch in der Welt der ärmeren Bevölkerung.

Ganz wunderbar ist auch die Entwicklung der Figuren zu beobachten, gerade die Entwicklung von Elisabeth, der reichen, verwöhnten Grafentochter, die alle Freier hochnäsig und arrogant vergrault hat. Durch die Heirat mit dem Gaukler Jakob Meger fällt sie in eine andere, ihr völlig fremde Welt, sie wirkt hilflos, doch dann entdeckt sie unerwartete Seiten und eine Stärke an sich, die sie sich vermutlich selbst nicht zugetraut hätte. Elisabeth, wird immer mehr zu der Gaukler-Frau Lise und zwar nicht nur, indem Jakob sie immerzu nur Lise nennt, sondern sie ändert sich auch selbst grundlegend. Das schönste an dieser Verwandlung von Elisabeth zu Lise ist für mich, dass wir irgendwann merken, dass Jakob nicht mehr einfach nur Lise sagt um sie herabzuwürdigen, sondern dass auf einmal ein liebevoller Touch in diesen Namen Lise hineinkommt. Die Herabwürdigung verschwindet zusehends aus dem Namen und wird durch eine wundervolle Liebe in Jakobs Stimme ersetzt.

Jakob, der Gaukler und Ehemann von Elisabeth (oder am Ende gar doch der ,,König Drosselbart"?) ist ein Romanheld zu verlieben. Wenn er auch oft grantelt und schwermütig und unzufrieden wirkt, so hat er mich doch schnell in seinen Bann gezogen, eigentlich sogar ab seinem ersten Auftritt unter dem Fenster von Elisabeth Gemächern. Als Leserin kann ich ihn regelrecht singen hören und bin genau wie Elisabeth sofort verzaubert. Da ist es für mich kein Wunder, dass aus dieser Geschichte und aus der erzwungenen Heirat eine wunderbare Liebesgeschichte wachsen darf, die komplett ohne Kitsch auskommt.

Die eingangs schon erwähnte Märchengrundlage ist von der Autorin wunderbar in diesem Roman umgesetzt. Die kleinsten Kleinigkeiten, die geringsten Nebensätze aus der Fassung der Gebrüder Grimm sind in diesem Roman verwebt worden und ergeben ein wundervolles Muster. Lediglich das Ende ist nicht mehr wirklich an das Happy-End des Märchens angelehnt sondern ziemlich offen gehalten. Was mir aber gut gefällt, denn so kann sich jeder Leser sein eigenes Ende für Elisabeth und Jakob vorstellen. Nichtsdestotrotz habe ich mich sehr gefreut, dass es nach gut 10 Jahren mit DER KÖNIG endlich einen neuen Roman von Ingrid Ganß und somit auch eine Fortsetzung zum Spielmann gibt. Man kann sich als Leser nur wünschen, dass Ingrid Ganß noch viele schöne Ideen in Romanen umsetzt und wir Leser nicht wieder 10 Jahre warten müssen.

Bewertung:
[note1]***
Rock the Night!

Kathrin

Hier ist übrigens der andere Rezi-Thread
Rock the Night!