Das Seelenhaus - Hannah Kent

Begonnen von Wiebke, 01. November 2015, 20:58:05

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Wiebke

[isbn]3426199785[/isbn]

Klappentext:
"Sie sagen, ich soll sterben. Sie sagen, ich hätte Männern den Atem gestohlen und jetzt müssten sie mir den meinen stehlen."

Island 1828. Agnes ist eine selbstbewusste und verschlossene Frau. Sie wird als hart ­arbeitende Magd respektiert, was sie denkt und fühlt, behält sie für sich. Als sie des Mordes an zwei Männern angeklagt wird, ist sie allein. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf dem Hof eines Beamten verbringen. Die Familie ist außer sich, eine Mörderin beherbergen zu müssen – bis Agnes Stück um Stück die Geschichte ihres Lebens preisgibt.

Die Tat war grausam: zwei Männer erschlagen, erstochen und verbrannt. Die angeblichen Täter, neben Agnes Magnúsdóttir ein junges Paar, werden zum Tode verurteilt. Vor allem an Agnes will der zuständige Landrat ein Exempel statuieren.
Scheinbar ungerührt nimmt Agnes das Urteil hin, ebenso wie die Ablehnung der Familie. Erleichtert, dem Kerker entkommen zu sein, kann sie bei der Arbeit manchmal ihr Schicksal vergessen. Vieles hier ist ihr vertraut: die schroffe Landschaft, die ärmliche Torfbehausung, der harsche Ton der Hausherrin. Ihr ganzes Leben war davon bestimmt – bis sie einen Mann kennenlernte und sich nach langer Zeit erlaubte, sich ihre Sehnsucht nach Liebe und Zugehörig­keit einzugestehen. Der Schmerz über seinen Tod, der ihr nun angelastet wird, überlagert alles, auch die Angst vor dem eigenen Tod. Schließlich vertraut sich Agnes einem jungen Vikar an, der sie auf den Weg der Reue und Buße führen soll. Während der langen Gespräche, die die ganze Familie mithört, ist es vor allem
Margrét, die Hausherrin, die ahnt, dass die offizielle Wahrheit über Agnes vielleicht falsch sein könnte.


Meine Meinung:
Ich brauchte drei, vier Seiten, um in das Buch zu kommen, Agnes erzählt anfangs etwas kryptisch und unzusammenhängend, das verliert sich aber schnell.  Die Perspektivwechsel zwischen Agnes und den anderen Protagonisten werden durch die veränderte Erzähl- und Zeitform gut getrennt und knüpfen meist direkt aneinander an, so dass man sich damit schnell zurechtfindet. 

Es überrascht, wie frei sich Agnes von Anfang an bewegen darf, was mich schnell neugierig gemacht hat wie sich die Beziehungen der Familienmitglieder zu Agnes wohl weiter entwickeln, da sie dadurch natürlich sehr präsent ist in der Familie.
Besonders Margret scheint hin und hergerissen zwischen Ablehnung und Mitleid.

Die Stimmung erscheint nicht so düster wie zunächst angenommen, was daran liegen mag, dass es zunächst Sommer ist, durch die Mittsommernächte kaum dunkel und diese Umgebung immer wieder gradezu malerisch beschrieben wird. Mit den düsterer werdenden Jahreszeiten verändert sich aber auch die Beziehung von Agnes zu ihrer "Wärterfamilie" immer mehr, so dass die Aussicht auf die drohende Hinrichtung immer bedrückender wird. Agnes ist tatsächlich sehr eigenwillig und verschlossen, rückblickend kann ich nicht wirklich benennen, was die einzelnen Mitglieder der Familie dazu bringt, ihr zuzuhören und sich auf ihre Sicht der Geschehnisse einzulassen. Allerdings geht von ihr durchaus eine Faszination aus und es mag auch ihre Zurückhaltung und ihr offensichtliches Verständnis für den Konflikt der Familie sein, was die Fronten langsam auftauen lässt. 
Die Spannung, wie der Mordfall denn nun aus Agnes Sicht war und ob sie schuldig ist oder nicht, baut sich innerhalb des sonst eher ruhigen Erzählflusses in einem guten Bogen auf. So vielschichtig, wie Hannah Kent zuvor die Spannungen in der Familie und auch Agnes Vorgeschichte beschreibt, hätte ich mir auch für den Mordfall und Agnes Rolle darin eine etwas kompliziertere Erklärung gewünscht. Allerdings wäre das ein echtes Sahnehäubchen obendrauf gewesen,Kents Interpretation der Geschichte ist trotzdem glaubwürdig und berührend.

Wenn eine Geschichte einen historisch wahren Hintergrund hat, macht es sie natürlich noch besonderer, was auch hier der Fall ist. Besonders toll an diesem Buch und Zeichen der ausführlichen Recherche von Kent sind die immer wieder eingestreuten historischen Schriftwechsel zur behördlichen Organisation rund um diesen Fall. Dies führt einem einerseits einige Fakten der damaligen Lebensumstände in Island vor Augen, erzeugt aber außerdem ein bedrückendes Stimmungsbild und hält einem eiskalt vor Augen, dass die Geschichte einen wahren Hintergrund hat.

Eine Verfilmung mit Jennifer Lawrence als Agnes soll ja schon geplant sein- wie sich diese Geschichte filmisch umsetzen lässt, darauf bin ich sehr gespannt.

Also absolut kein üblicher historischer Roman, aber sehr empfehlenswert!

[note2+]