Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann

Begonnen von Nebelpriesterin, 20. April 2008, 10:32:30

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Nebelpriesterin



[isbn]3499241005
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Inhalt:
In seinem fünften und bisher besten Roman widmet sich der junge Daniel Kehlmann gleich zwei großen Geistern der an deutschen Genies reichen Epoche des 19. Jahrhunderts. Abwechselnd lässt er Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt die Welt erforschen und vermessen, am Ende begegnen sich die beiden, inzwischen alt und berühmt geworden, in Berlin. So leicht, geistreich und zugleich witzig ist schon lange nicht mehr über deutsche Dichter und Denker erzählt worden, über die allzumenschliche Lächerlichkeit auch im Genial-Erhabenen. Ob das alles wirklich so war, fragt der glückliche Leser nicht, auch wenn die leicht karikaturhaften Züge nicht zu leugnen sind. Etwa wenn Humboldt mit seinem Begleiter Bonpland von Paris nach Madrid reitet, um dort am Hof um die Erlaubnis für seine erste Südamerikaexpedition anzusuchen, sie aber einfach nicht vorankommen, weil Humboldt nicht aufhören kann, nebenbei zu messen und zu forschen: "Ein Hügel, von dem man nicht wisse, wie hoch er sei, beleidige die Vernunft, mache ihn unruhig. Ohne stetig die eigene Position zu bestimmen, könne ein Mensch sich nicht fortbewegen. Ein Rätsel, wie klein auch immer, lasse man nicht am Wegesrand."

Mein Eindruck:
"Zwei Große der Naturwissenschaften nimmt sich Daniel Kehlmann in diesem Roman vor: Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und Alexander von Humboldt (1769-1855). Er entführt uns in die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, in der die Welt noch unberührt, unentdeckt und voller Rätsel war. Mit Humboldt und Gauß stehen sich zwei Charaktere gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine ein unermüdlicher Forschungsreisender, der den noch unbekannten Westen der Welt vom höchsten Berg bis zur tiefstgelegenen Höhle mit seinen Messinstrumenten ergründet. Der andere ein astronomischer und mathematischer Denker, der nichts weiter braucht als ein Stück weißes Papier und einen ruhigen Ort um seine Ideen in Formeln, Zahlen und Linien festzuhalten. Trotz der unterschiedlich eingeschlagenen Wege verfolgen beide dasselbe Ziel - sie wollen die Geheimnisse ihrer Zeit enträtseln.

Bei diesem Buch handelt es sich jedoch nicht um zwei parallele Biografien oder einen historischen Roman im eigentlichen Sinne. Nahezu ohne wörtliche Rede reiht Kehlmann Episoden aus dem Leben aneinander, wobei der Humor keinesfalls zu kurz kommt. Trotz der vielen Wechsel zwischen Humboldt und Gauß und der Brüche in den Lebensläufen fand ich den Roman locker und ausgesprochen flüssig zu lesen.

Es tritt in den Hintergrund, ob sich alles was Kehlmann berichtet nun genau so zugetragen hat. Wichtig ist weniger das konkrete Ergebnis der Forschungen als vielmehr der Gegensatz der Wissenschaftler selbst. Ich finde es herrlich wie Kehlmann die Charaktere der beiden herausarbeitet. Eigenwillig und kauzig erscheinen sie dem Leser. Als Zeitgenossen, die mit ihren Messgeräten besser auskommen als mit ihren Mitmenschen und als Zeitgenossen, die im menschlichen Bereich manches Defizit aufweisen und sich stattdessen ihren Forschungen ganz hingeben und ihrer Zeit damit weit voraus sind. Zwei Menschen, die den Aufbruch wagen und bei denen auch an mancher Stelle der schmale Grad zwischen Genie und Wahnsinn deutlich wird.

Mein Fazit: Ich habe diesen Roman mit großem Vergnügen gelesen und finde ihn empfehlenswert auch für Leser, die nicht primär an dem Leben dieser beiden Wissenschaftler interessiert sind."