Charlotte Link: Wilde Lupinen (Sturmzeit-Trilogie 02)

Begonnen von Kathrin, 21. Juli 2009, 11:55:38

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Kathrin

[isbn]3442350085 [/isbn]   Wilde Lupinen
Link, Charlotte
hist. Roman
20. Jahrhundert
   
Seiten: 543

Inhalt:
Deutschland 1938. Alle Zeichen stehen auf Sturm, doch Politik kümmert die junge Belle Lombard wenig. Ihre ehrgeizigen Pläne gelten einzig den Filmstudios in Berlin und dem vermeintlichen Mann ihrer Träume. Ihre Mutter Felicia verteidigt indessen als erfolgreiche Unternehmerin rücksichtslos ihre Interessen, sogar gegen die eigenen Gefühle. Doch das Chaos macht auch vor der weitverzweigten Familie der beiden Frauen nicht halt ....

Meine Meinung:
Mein absolutes Highlight der ersten Jahreshälfte 2009! Und das von der ersten Seite an, denn schon allein der Anblick des Familienstammbaums, quasi als Erinnerungshilfe zu den Ereignissen aus Band 1 ,,Sturmzeit", hat mich total gefreut, auch wenn in so einem kleinen Taschenbuch der Platz für eine so weitläufige Familie kaum ausreicht und die ehelichen Verbindungen untereinander standen und nicht nebeneinander, aber das sind Kleinigkeiten, die wiedermal nur dem Stammbaumliebhaber in mir aufgefallen sind.

Auch inhaltlich hat mich das Buch sofort gepackt. Bereits nach den ersten 1,5 Seiten fühlte ich mich in dem Buch wieder ziemlich wohl, auch wenn die Zeit so kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges  natürlich bedrückend und beängstigend ist. Aber gerade der Anfang, wie Lulinn beschrieben wird und wie sehr Belle Lulinn und den familiären Landbesitz in Ostpreußen  liebt, das war für mich eine richtige Liebeserklärung. Genau wie Felicia und Belle gekomme ich hier ein wenig Sehnsucht nach Lulinn, ohne es je gesehen zu haben, ohne je dortgewesen zu sein. Auf Grund der geschichtlichen Ereignisse steht allerdings zu befürchten, dass wir als Leser an Lulinn nicht lange unsere Freude haben dürfen und es treibt mir Tränen in die Augen, wenn ich lesen muss, dass Felicia Lulinn wg. der einfallenden Russen verlassen muss. Was wohl aus Lulinn wird? Ob es zerstört wird? Ob jemals wieder jemand  von der Familie dorthin gehen kann? Ob es vielleicht für Felicia später mal eine Chance geben wird, dort begraben zu werden, sie gehört doch schließlich dorthin!?

Dieses Buch hat mich komplett fasziniert. Ich lese eher selten, eigentlich so gut wie nie Romane/ Bücher die zur Zeit des Zweiten Weltkrieg spielen und gerade schöngeredete Naziparolen wie "Problembereiche die Überbevölkerung betreffend", wo wir ja genau wissen, was gemeint ist, da wird mir schlecht und unwohl und da will ich mich eigentlich eher von distanzieren, Allerdings hat mich Charlotte Link hier überzeugen können, der geschichtliche Hintergrund (Front-Szenen, KZ-Szenen, etc) bleibt im Hintergrund ohne seine bedeutende Rolle für die Figuren zu verlieren und das ist für mich genau richtig umgesetzt, weil es hier vor allem auf die Menschen ankommt, die die Auswirkungen des Krieges und Hitlers Wahn zu spüren bekommen. Insgesamt kommt mir dieser zweite Teil der Sturmzeit-Trilogie dramatischer vor, als der erste, was vermutlich daran liegt, dass hier sehr viele Erzählstränge beleuchtet werden: so verfolgen wir zum einen den weiteren Lebensweg von Felicia, der Hauptfigur aus ,,Sturmzeit" weiter, die nach wie vor zwischen zwei Männern steht und auch beruflich in München zu kämpfen hat. Wir lernen ihre Tochter Belle besser kennen, die ihrer Mutter sehr ähnlich ist und ähnliche Fehler begeht wie sie und in Berlin lebt. Die andere Tochter Susanne ist mit einem Nazi verheiratet und auch Felicias Cousine Nicola, die Tochter von Tante Belle, nimmt eine größere Rolle in dem Buch ein, ebenso wie einige Nebenfiguren, z. B.  die Juden Peter (ein Geschäftspartner von Felicia) und Martin und Sara, die wir schon aus Band 1 kennen, wie auch die Resistance-Kämpferin Claire. Und auch Felicias ewiger Konkurrent Tom Wolff ist wieder mit von der Partie. Dadurch wirkt der Roman fast schon vollgestopft, was aber überhaupt nicht stört, weil einfach jeder Erzählstrang spannend ist.  Wobei, wenn mich jemand gefragt hätte, wo Charlotte Link ihren Roman hätte kürzen sollen, dann hätte ich gesagt, dass sie Episoden von Claire und Philip hätte weglassen können. Sie stören mich zwar in keiner Weise und schmälern auch die Leselust an diesem Buch überhaupt nicht, aber sie hätten mir auch nicht gefehlt, wenn es sie nicht gäbe. Aber letztendendes war dieses wunderbare Buch dennoch wieder viel zu kurz! Wie gut, dass es noch eine Fortsetzung gibt, die dann hoffentlich noch einige offene Fragen beantwortet.

Durch die verschiedenen Erzählstränge erhält das Buch keinen personellen Schwerpunkt, auch wenn es auf Belle angelegt zu sein scheint. Dennoch ist und bleibt für mich Felicia die Hauptfigur, die sich allerdings wohl auch niemals zu einer Nebenfigur hätte degradieren lassen. Überhaupt finde ich Felicia eine wunderbare Hauptfigur, es gibt eigentlich niemanden mit dem sie nicht zusammenrasselt, sie vernachlässigt ihre Kinder, hört und versteht deren Hilferufe nicht (vielleicht will sie es auch nicht?). Sie ist egoistisch, profitgeil, teilweise echt naiv was Männer angeht...ach, herrlich, ein Charakter an dem man sich so richtig schön reiben kann. Nur wie sie mit Alex umspringt, ihrem ersten Ehemann, das werde ich ihr ie verzeihen, ist der doch zu meinem heimlichen Helden geworden! Allerdings kann Felicia auch äußerst loyal und hilfsbereit sein. Was sie für Maksim, ihre große Liebe, tut ist nicht ungefährlich. Sie setzt ganz schön viel für ihn aufs Spiel und irgendwie hab ich das Gefühl, dass er ihr das null dankt! Sie tut mir da in ihrer Liebe zu ihm doch auch ganz schön leid. Irgendwie kommt sie mir wie ein treudoofer Hund vor, der nach Streicheleinheiten lechzt und sie aber nicht bekommt. Ganz wunderbar fand ich zu beobachten, wie zwischen Tom Wolff und Felicia eine Freundschaft wächst, die auf Respekt und Vertrauen basiert. Ich schätze an Felicia habe ich einfach einen Narren gefressen, wogegen auch Belle nicht ankommen kann, wobei sie ihrer Mutter sehr ähnlich ist und wunderbare aber auch schreckliche Momente erleben muss. Im allgemeinen finde ich die Figuren in diesem Buch wunderbar umgesetzt. Sie sind von Anfang an sehr lebendig und bekommen durch wunderbare, tiefsinnige, streitende, traurige, ehrliche Dialoge sofort Leben eingehaucht. Ich liebe gerade die Streitgespräche, z.B. den Streit zwiscnen Christine und Anne. Christine hat mit vielem Recht, was sie sagt, aber ich fand es einfach klasse, wie Anne wie eine Furie auf sie losgeht und wie eine richtige Lulinn-Frau alles verteidigt.

Es ist wirklich eines der ganz ganz wenigen Bücher, das mich tief erschüttert und schockiert haben und dass mir trotzdem so unheimlich gut gefällt, trotz aller Brutalität, Schrecken und Grausamkeiten...es macht mit fertig, aber es sitzt tief in mir drin und ist für mich bislang mein absolutes Lesehighlight in 2009.

Bewertung:
[note1] mit ***

lg
kathrin
Rock the Night!