Kathrins Wanderbuch 2021: Angela Lehner - Vater unser

Begonnen von Kathrin, 15. Februar 2021, 13:45:44

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Kathrin

Zitat von: Christiane in 02. November 2021, 11:42:12
Wow,  :respekt3:, Du hast tatsächlich eine Zusammenfassung hinbekommen, die den Inhalt sortiert und nachvollziehbar macht. So klar strukturiert hätte ich das nicht gekonnt - schon weil mir die diversen psychischen Störungen nicht so geläufig sind, ich sie nicht so benennen kann.  :nixweiss1: Schade eigentlich, dass Du das Buch nicht vor mir gelesen hast - Deine Kommentare hätten mir vielleicht einiges Grübeln erspart.  :-)
Ja, ich kann das gut verstehen. Ich hätte Dich bei Inges Buch auch gerne vor mir gehabt ... und ich habe es immer noch nicht geschafft, mir Deine Kommentare durchzulesen. Vielleicht mache ich das auch erst, wenn es wieder bei mir ist zusammen mit Inges neuem Wanderbuch. Dieses Jahr bist Du ja vor mir dran. :knuddel:
Rock the Night!

Kathrin

So, hier dann noch meine abschließende (begeisterte) Meinung zu "Vater unser" und ich setze es jetzt auch nicht mehr in Spoiler, denn die Rezi ist an sich spoilerfrei zum Buch und Ihr kennt es jetzt ja auch alle:

,,Er (Bernhard) tat es (schreien) nie und zwang mich so Verantwortung zu übernehmen. Zumindest für ihn. Er war der erste Mensch außer mir selbst, um dessen Leben ich brüllte."

Im Januar / Februar 2021 haben sich sechs ,,rebellische" Leseverrückte zu einer Wanderbuchrunde zusammengeschlossen, bei der jede jeweils ein Buch auf die Reise quer durch Deutschland schickt, das alle zwei Monate an die Nächste in der Reihe weitergegeben wird, bis es dann nach einem knappen Jahr wieder am Ausgangspunkt ankommt. Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass ausgerechnet das von mir ausgesuchte Buch ,,Vater unser" von Angela Lehner so heftige Reaktionen hervorrufen könnte. Von absoluter Vollkatastrophe und Zeitverschwendung bis hin zu einem Highlight (mit der Meinung war ich allerdings allein auf weiter Flur) war alles dabei.  Mein zuvor beendetetes Buch war ebenfalls ein Highlight, aber eins der ganz anderen Sorte, leise, zart, ruhig erzählt. ,,Vater unser" hingegen kommt als krasses Gegenteil daher, laut und schrill, was man schon am Cover erahnen kann. Ein Cover, das auch wiederum die Geister scheidet. Ich fand das Cover grandios, ich mag dieses Colour-Blocking, andere schreckt allein das Cover schon total ab. Rosa oder Pink sind an sich auch nicht zwingend meine Farben, aber die Combi machts und es passt richtig gut zum Inhalt.

Ja, ,,Vater unser" ist strange, keine Frage. Kein Buch, an das man mit der Erwartung herangehen kann, dass man nach 50 Seiten schon weiß, wo das Buch mit einem hin will. Man muss sich darauf einlassen können und auch wollen und vermutlich hatte ich im Gegensatz zu den anderen Teilnehmerinnen in der Wanderbuchrunde den Vorteil, dass ich durch ein-zwei Rezensionen auf Youtube wusste, worauf ich mich mit der Geschichte und vor allem auf wen ich mich mit Eva Gruber als Protagonistin einlasse. Außerdem konnte ich die wunderbaren Kommentare der anderen Teilnehmerinnen genießen und hatte letztlich keine großen Erwartungen mehr an das Buch, nachdem es teilweise echt in der Luft zerrissen wurde. Ein letzter wichtiger Vorteil war, dass ich das Buch in einem Buddyread gelesen habe und wenn es uns beiden nicht gefallen hätte, hätten wir wenigstens zusammen lästern können. Aber dem war nicht so, denn wie schon gesagt, ich fand das Buch großartig und war von Anfang an komplett fasziniert von der Geschichte und der Protagonistin Eva und wollte einfach nur weiterlesen, weiterlesen, weiterlesen und das, obwohl ich nicht ausschließen konnte, dass ich am Ende evtl. doch auch enttäuscht sein könnte oder das Buch nicht verstehen würde.

Eva Gruber ist weiß Gott kein einfacher Charakter. Unsympathisch und keineswegs jemand, mit dem ich mich identifizieren kann oder möchte. Aber sie hat mich mehr als einmal laut auflachen lassen, dabei sind Humor in Büchern bzw. humoristische/ humorvolle Bücher eigentlich nicht mein Ding. Aber Eva habe ich mitunter echt gefeiert, weil sie wirklich intelligent und clever ist, sonst hätte sie niemals so viele Menschen so böse manipulieren können. Ich konnte auch nicht alles nachvollziehen, was sie sagt, denkt oder tut, zum einen weil es nicht meine Denke ist und zum anderen weil sie eine unzuverlässige Erzählerin der heftigsten Art ist. Aber gerade dieses Unzuverlässige, das Nicht-Wissen, woran man als Leser mit ihr ist, hat sie unfassbar faszinierend für mich gemacht. Auch ich hatte oft genug und lange genug Fragezeichen auf meine Stirn gepinselt, aber ich wusste von Anfang an, dass man ihr nicht alles glauben darf, was sie erzählt. Und das schöne dabei war, dass auch ich gehörig auf den Leim gegangen bin. Aber wenn man sich näher an Eva herantraut, sich mehr auf sie und ihre Familie einlässt und ihr Problem, ihre Krankheit (er)kennt, dann macht auch vieles Sinn, was sie erzählt. Ich war der Autorin sehr dankbar, dass sie bei ca. der Hälfte des Buches über Evas Psychiater klargestellt hat, was bei Eva nicht stimmt, denn so konnte ich Eva unter einem anderen Gesichtspunkt gesehen. Es hat sich für mich z.B. nicht immer so angefühlt, als ob Eva wirklich bewusst gelogen hat, bewusst entschieden hat, die Unwahrheit zu sagen. Gerade zum Ende hin hatte ich oft das Gefühl, als ob sie sich – wie in einem tiefen, dunklen Wald – in ihrer Lüge, in ihrer Version der Geschichte verloren hat und den Weg nicht mehr raus findet.

Ich mochte auch die Sprache, den Erzählstil der Autorin richtig gern. Das war fetzig erzählt (was umso mehr auffällt, wenn die Bücher zuvor sehr ruhig erzählt waren), gut zu lesen und ich persönlich liebe des Österreicher-Dialekt!!! Ich hatte auch keine (oder kaum) Probleme zwischen den Passagen aus Evas Vergangenheit und denen in der Gegenwart zu unterscheiden. Und wenn ich mich dann doch kurz gefragt habe, wo wir gerade sind, dann habe ich es mit einem Schulterzucken abgetan, weil ich mir sicher war, dass wir das zeitnah erfahren würden. Und ich fand das Buch tatsächlich auch sehr klug erzählt. Für einige mag es ein Kritikpunkt sein, dass manche Themen nur angerissen werden. Für mich war das jedoch vollkommen in Ordnung, weil es um diese Sachen meiner Meinung nach in dem Buch nicht ging. Ich kam mir hier eher vor, als ob mich die Autorin auf eine falsche Fährte locken wollte. Dass sie mich bzgl. Evas Problemen, was ihr widerfahren ist auf die falsche Fährte locken will, wie ein*e Krimiautor*in mich auf die falsche Fährte locken will was den Täter angeht. Und das fand ich grandios gemacht von Angela Lehner. Nicht nur Eva manipuliert die Menschen, auch die Autorin manipuliert ihre Leser ;-)

,,Vater unser" ist  - wie unsere Wanderbuchrunde gezeigt hat – kein Buch für jede*n Leser*in und ich bin mir sicher, dass auch ich es nicht zu jeder Zeit hätte lesen können, aber irgendwie war die Zeit reif für die schrille, laute und verwirrende Eva und ich habe das Buch in vollen Zügen genossen.

Bewertung:
[note1]

Rock the Night!

Christiane

Ich freue mich, dass Dir Dein Buch so gut gefallen hat (auch wenn es das Beste ist, das ICH über dies Buch sagen kann  :wieher::knuddel:.
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)