Tom Finnek - Vor dem Abgrund

Begonnen von Annette B., 16. Dezember 2013, 22:50:05

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Annette B.

[isbn] 3785724780[/isbn]

Klappentext:

Im Herbst 1888 kommen zwei junge Menschen ins Londoner East End, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die verarmte Celia Brooks versucht verzweifelt, ihren Vater zu finden. Der Hotelierssohn Rupert Ingram will hingegen seine Pflichten im sündigen Treiben vergessen. Doch im East End hat alles seinen Preis, Antworten ebenso wie das Vergessen. Und während die Huren ihre Dienste feilbieten und ein Mörder namens Jack the Ripper in den Schatten lauert, stoßen Celia und Rupert auf Geheimnisse, die ihr Leben für immer verändern ...

Meine Meinung:

Dieses Buch hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen und wird mir lange in Erinnerung bleiben.

Es ist ein Buch das man nicht einfach so nebenbei lesen kann, dafür ist in den facettenreichen Charakteren und der Handlung einfach zu viel Stoff zum nachdenken.

Der Spannungsbogen baut sich langsam auf und zieht den Leser immer tiefer in die Handlung.

Eine eindrucksvolle Wortwahl und lebendige Dialoge verleihen der Handlung eine sehr dichte Atmosphäre.
Die Dialoge geben den Charakteren der Protagonisten eine besondere Tiefe, die nicht nur durch >schwarz-weiß Denken< geprägt ist.

Die Protagonisten wachsen dem Leser schnell ans Herz und man lacht und leidet beim Lesen mit ihnen.
Die Beschreibung der Lebensumstände der Menschen im East End von London ist oftmals so detailliert, das man den Gestank förmlich riechen kann.

Und obwohl das Leben im East End von Schmutz, Alkohol und Gewalt geprägt war, schafft es der Autor ohne lang und breit beschriebene Gewaltszenen, oder widerliche Vergewaltigungsszenen, die Lebensumstände der Menschen realistisch darzustellen.

Das habe ich Tom Finnek hoch angerechnet das er diese Szenen sehr genau dosiert hat.

Dadurch wurde das Buch für mich zu einem Wohlfühlbuch, welches ich beim lesen auch genießen konnte.

Besonders schön finde ich bei den historischen Büchern von Tom Finnek, dass er immer einen besonders pfiffigen und frechen Lausebengel in die Handlung intrigiert. Diese Lausebengel verleihen der oft düsteren Handlung einen gewissen Witz und Spaßfaktor. Mir gefällt eine solche Figur immer sehr gut in historischen Romanen.

Der Autor hat auch das Schicksal realer existierender Personen der damaligen Zeit in die Handlung mit eingeflochten. Durch diese Personen hat er der Handlung noch eine besonders spannende Komponente hinzugefügt.
Ich bin sicher, dass da auch eine sehr aufwändige Recherche hinter steckt, aber genau das macht die Handlung so glaubwürdig.

Ich bin von diesem Buch sehr begeistert und kann es nur jedem Empfehlen der historische Romane mag.

Note: [note1]
Liebe Grüße Annette

Susanne

Hallo Annette,

Dein Rezi kann ich nur so unterschreiben. Ich habe mich beim Lesen genau wie Du super unterhalten gefühlt. Man konnte in die Geschichte eintauchen und quasi neben den Protas die Geschichte als 3d Kinoerlebnis erleben.
Solche Bücher gibt es leider zu selten.

Liebe Grüße
Susanne

Annette B.

Zitat von: SusanneSolche Bücher gibt es leider zu selten.

Da kann ich dir nur zu 100% zustimmen und darum habe ich die Rezi auch direkt nach der LR geschrieben. Dann sind die Eindrücke meistens noch so frisch das man sie auch in die richtigen Worte packen kann.

Einziger Kritikpunkt wäre für mich das Erscheinungsdatum gewesen, aber das kann man Tom nicht anlasten sondern eher dem Verlag und daher wäre es unfair gewesen diesen Punkt in der Rezi zu erwähnen.

Alle drei Bücher von ihm sind immer in der Weihnachtszeit erschienen und das ist für viele Leser einfach eine stressige Zeit. So wie für Sabine, die ja im Einzelhandel arbeitet.
Andersherum wird der Verlag wahrscheinlich die Weihnachtszeit nutzen wollen um die Verkaufszahlen zu steigern, da ja gute Bücher immer noch sehr beliebte Weihnachtsgeschenke sind. :zwinker:

LG
Annette
Liebe Grüße Annette

Kathrin

Meine Meinung (diesmal wieder etwas länger und dabei hab ich schon gekürzt):
Mit seinem Roman ,,Vor dem Abgrund" entführt uns Tom Finnek nach London in das Jahr 1888. Dass die Ripper-Morde ein wichtiger Bestandteil des Buches sind, versteht sich von selbst, zumal die Identität des Rippers nie geklärt werden konnte, und der Autor somit seine eigene Geschichte um die beiden Hauptfiguren Celia Brooks und Rupert Ingram erzählen kann. Er verknüpft seine Ideen mit weiteren historischen Persönlichkeiten (Eva Booth, Offizierin der Heilarmee, und Simeon Solomon, ein britischer Maler) und Begebenheiten (das im Südatlantik in Seenot geratene englische Segelschiff Mignorette), und hat mir mit diesem Roman mein Lesehighlight 2013 verschafft.

Die Geschichte wird sowohl aus Celias als auch aus Ruperts Sicht erzählt. Dabei werden einzelne Ereignisse durch die zweite Perspektive abgerundet und vervollständigt. Kleine Sätze, die wir zunächst aus Celias Sicht lesen und vielleicht weniger beachten, bekommen bei Rupert ein anderes Gewicht und zeigen, wie meisterhaft diese Technik von Tom Finnek angewandt wird.

Der Autor stellt in seinen London-Romanen die ärmere Bevölkerung in den Mittelpunkt und beschönigt dabei die Lebensumstände in keiner Weise. Das merkt man vor allem dann, wenn man den Schmutz und Dreck in London nicht nur im Kopfkino sehen sondern auch nahezu riechen kann. Und auch wenn Kopf- und Geruchskino teilweise schon fast zu gut funktionieren, empfinde ich den Erzählstil des Autors als wunderbar unaufdringlich, da Gewalt, Vergewaltigungen oder auch heiße Liebesszenen nicht ausgereizt werden. Tom Finnek begnügt sich auf Andeutungen, was prickelnder, aber auch magenschonender sein kann.

Celias Weg zu mir als Leser war mit Hindernissen und Steinen versehen. Während ich z.B. mit Maureen oder Heather, zwei Freundinnen Celias, sehr schnell warm wurde, musste ich bei Celia zunächst einmal meine 16-Jahre-alte-Hauptfigur-Allergie überwinden. Dass sie sich nach dem Tod der Mutter auf die Suche nach ihrem Vater begibt und versucht ihre Wurzeln in London zu finden, finde ich verständlich – auch wenn Enttäuschungen vorprogrammiert sind. Aber sie wächst an diesen Enttäuschungen und mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrer Unabhängigkeit, die sie sich bis zum Schluss bewahrt, erboxt sie sich ihren Platz in mein Leserherz.

Deutlich leichter hatte es da die männliche Hauptfigur, Rupert Ingram, den ich gleich zu Beginn sehr spannend, wenn auch nicht sonderlich sympathisch finde. Er ist der Rebell seiner Familie, treibt sich in Stadtvierteln herum, die der Rest seiner Familie vermutlich noch nicht mal vom Hören-Sagen kennt, und verhält sich mitunter äußerst  unbesonnen und schadet damit nicht nur sich selbst, sondern auch anderen. Er ist unzufrieden mit seinem Leben und weiß ganz genau, was er NICHT will. Dummerweise weiß aber nicht, WAS er stattdessen will. Aber seine Freundschaft zu dem verarmten und verleumdeten Maler Simeon Solomon lässt schon früh gutes Potential in ihm vermuten. Er ist vielleicht zunächst nicht der Mann, den Frau sich an ihrer Seite wünscht, aber als Romanfigur finde ich ihn großartig, mit all seinen Ecken und Kanten an denen man sich böse blaue Flecken stoßen kann.

Absolut gefangen genommen hat mich die Geschichte von Celias Vater. Auch er ist kein Sympathieträger und wird es auch nicht mehr, aber ich glaube, dass er gute Anlagen hatte, die aber durch sein Leben, den Hass seiner Frau und seine Erlebnisse auf der Mignorette zerstört wurden. Gerade die Geschichte um die in Seenot geratenen Matrosen auf der Mignorette fasziniert mich auf eine fast schon beängstigende Weise. Tom Finnek hat die fiktive Geschichte von Ned Brooks wunderbar in einen realen Hintergrund eingepasst. Das war atemberaubend und zum fingernägelknabbern spannend!

Für mich ist dieser Roman ein großes Kunstwerk. Es ist wunderbar zu beobachten, wie alle Fäden zusammenlaufen und ein vollständiges Bild ergeben, das perfekt in den historischen Hintergrund eingepasst ist und eine großartige Geschichte erzählt.

Abgerundet wird das Buch durch ein erfrischend offenes Ende, so dass jeder Leser die Geschichte zu seinem eigenen perfekten Ende weiterspinnen kann. Ein offenes Ende, das dennoch keine Fragen offen lässt und wunderbar zum Buch und seinen Charakteren passt.

Ein in die Geschichte eingebetteter Epilog, der sowohl auf die Romanfiguren als auch auf die geschichtlichen Aspekte eingeht und die immer wieder heißgeliebten Extras wie Stadtplan und Glossar in einem schönen Hardcover-Kleid, das jeden Cent wert ist, müssten meine Bewertung eigentlich noch einmal nach oben schrauben. Aber besser geht es eh schon nicht mehr! Ich kann es kaum erwarten, Lese-Nachschub von Tom Finnek zu bekommen!

Bewertung:
[note1]+++++++
Rock the Night!

sisquinanamook

Ich hab "Vor dem Abgrund" nun auch gelesen und stimme mit Kathrin weitestgehend überein.

Zunächst war ich über den Schreibstil überrascht. Ich kannte den Wechsel zwischen Ich-Erzähler und "normalem" Erzählstil so noch nicht und ich muss ehrlich sagen, ich hatte anfangs ein wenig Probleme mich damit anzufreunden, fand es im Verlauf der Geschichte jedoch ein gut gewähltes stilistisches Mittel, Ingram, den einzigen Protagonisten aus der gehobeneren Schicht, aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen.

Ich finde, dass Tom Finnik ein sehr realistisches Bild des Londons im Jahr 1888 zeichnet. Sehr gut gefallen hat mir, wie der Autor historische Personen in seine Geschichte eingebunden hat, so dass der Ripper bzw. seine Opfer eine wichtige Rolle spielen ohne zu sehr in den Vordergrund zu rücken. Auch hat mir die Beleuchtung der Heilsarmee und ihre Beweggründe gut gefallen.

Insgesamt empfand ich die Protagonisten realistisch gezeichnet. Manche entwickeln sich weiter, manche nicht. Die Beweggründe der einzelnen Figuren waren dabei für mich immer nachvollziehbar.

Insgesamt fand ich das Buch unheimlich fesselnd und gut geschrieben mit absolut interessanten Haupt- und Nebencharakteren, die zwar nicht immer sympathisch sind, dies aber auch nicht sein müssen.

Ich hab mir auf jeden Fall schon die beiden anderen Bücher von Tom Finnek besorgt und freu mich drauf.

[note1]
Viele Grüße
Daniela

Kathrin

Ich freu mich echt sehr, dass Du das Buch mochtest. Wir (Annette, Susanne und ich und noch ein paar andere) haben das Buch als LR mit Tom zusammen gelesen. Wenn alles gut läuft, haben wir wohl in knapp zwei Jahren wieder was neues von ihm.

LG
Kathrin
Rock the Night!

Christiane

Mensch, nee. Ich hatte bisher immer entschlossen beschlossen, dass dies Buch mir zu  düster ist ... und vorsichtshalber über die 'Lobhudelei' nur flüchtig weggelesen. Aber Eure vielen [note1][note1] konnt ich dann doch nicht ignorieren und hab den Thread hier nun mal genauer gelesen. Und was soll ich sagen: es war ein Fehler! Denn nun ist meine Wunschliste doch wieder was länger geworden. Dabei liegen noch so viele Bücher 'auf Halde' und ich komm garnicht genug zum Lesen...  :rollen: :meckern:
Staunt euch die Augen aus dem Kopf, lebt, als würdet ihr in zehn Sekunden tot umfallen. Bereist die Welt. Sie ist fantastischer als jeder Traum, der in einer Fabrik hergestellt wird.
Ray Bradbury (1920 - 2012)

sisquinanamook

Tja, Christiane, so ist das manchmal  :elch:

Seit ich hier bin, und das ist ja jetzt wirklich noch nicht lange, hat sich meine Wunschliste auch merklich erweitert  :ausrast:
Viele Grüße
Daniela

Annette B.

#8
Hallo Daniela

Deine schöne Rezi zu diesem Buch hat mich sehr gefreut und ich kann mir gut vorstellen das deine Wunschliste hier schon gewaltig gewachsen ist. Ich glaube ich hatte dich schon bei der Begrüßung gewarnt und nun ist es tatsächlich passiert.  :-> :zwinker:

Ein kleiner Hinweis zu dem Buch "Unter der Asche" - auch in diesem Buch hat Tom mehrere Perspektiven und unterschiedliche Erzählstile gewählt. Er hat in den Rezis auf Amazon stellenweisen sehr harsche Kritik dafür einstecken müssen, aber wenn man als Leser bereit ist - sich auf diese Art der Erzählweise einzulassen, dann bekommt man ein ungemein realistisches Bild der damaligen Lebensumstände in der Londoner Bevölkerung.
Ich kann dir nur eines sagen, wenn du dich auf diesen Schreibstil einlässt dann wird dir die Familie Ingram sehr ans Herz wachsen. Besonders dieser Pfiffikus Geoff.
Viel Spaß beim Lesen
wünscht dir
Annette *die gestern erst "Das Verrätertor" von Tom Finnek gelesen hat - eine e-book Kurzgeschichte!*
Liebe Grüße Annette

sisquinanamook

Annette, ich hatte ja mit dem Erzählstil am Anfang auch Probleme, aber es ist schon wie Du sagst, wenn man sich drauf einlässt, dann hat sie absolut ihren Reiz.

Ich lese jetzt grade " Gegen alle Zeit". Bin aber noch nicht sehr weit...
Viele Grüße
Daniela

Annette B.

Hallo Daniela,

"Gegen alle Zeit" habe ich hier noch im Schrank stehen und noch nicht gelesen.
Ich wollte damals auch die LR zu diesem Buch mitmachen, aber ich kam einfach nicht richtig rein in das Buch, weil ich den Kopf nicht frei hatte um mich auf diese Handlung einzulassen.
Nachdem mir aber "Vor dem Abgrund" so gut gefallen hat, habe ich mir vorgenommen das Buch dieses Jahr mit zum Campingplatz zu nehmen und dort noch einmal in aller Ruhe von Anfang an zu lesen.
Ich habe auch noch "Das grüne Akkordeon" von E. Annie Proulx hier im Schrank. Auch das ist ein Buch dem man seine ganze Aufmerksamkeit schenken muss und darum wird auch das Buch nun mit zum Campingplatz reisen. Ich hatte auch das Buch schon mal angefangen, aber es war damals auch das falsche Buch zum falschen Zeitpunkt.
Da ich meine "Lese-Launen" selbst sehr gut einschätzen kann, weiß ich sehr genau,  welches Buch mir wirklich nie gefallen wird und welches Buch ich mir in den Schrank stellen kann um es zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal anzufangen.  :zwinker:
Ich bin gespannt wie du nun das Buch "Gegen alle Zeit" empfindest und freue mich auf dein Feedback.  :flirt:
Liebe Grüße
Annette
Liebe Grüße Annette

sisquinanamook

Zitat von: Annette B. in 23. Februar 2014, 11:03:25
Da ich meine "Lese-Launen" selbst sehr gut einschätzen kann, weiß ich sehr genau,  welches Buch mir wirklich nie gefallen wird und welches Buch ich mir in den Schrank stellen kann um es zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal anzufangen.  :zwinker:
Ich bin gespannt wie du nun das Buch "Gegen alle Zeit" empfindest und freue mich auf dein Feedback.  :flirt:

Das mit den "Lese-Launen" kenne ich sehr gut. Bei mir im Regal steht auch noch (seit ca. 1 Jahr) eine geliehene Jugendbuchreihe, die ich auf jeden Fall noch lesen will, bisher aber noch nicht die richtige Laune hatte.

Feedback zu "Gegen alle Zeit" kommt auf jeden Fall relativ zeitnah. Ein Drittel hab ich mitllerweile  :smilie_les_0081:
Viele Grüße
Daniela