Jane Gardam - Weit weg von Verona

Begonnen von Sagota, 27. August 2018, 19:39:19

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Sagota

"Weit weg von Verona" von Jane Gardam erschien 2018 (HC, gebunden im Hanser-Verlag, Berlin.

Die 13jährige Protagonistin Jessica Vye ist bereits nach wenigen Seiten eine große Sympathieträgerin:
Ein Schlüsselerlebnis mit einem Autor, der in der Schule aus seinen Werken liest und dem sie all' ihre vorhandenen "Kritzeleien" im zarten Kindesalter zuspielt (und dies mit einer ungewöhnlichen Zielstrebigkeit), verändert ihr Leben: Jener Autor, Mr. Hangar (der auch später noch eine Rolle in diesem herrlichen Roman von Jane Gardam (übersetzt von Isabel Bogdan) spielen wird, versichert ihr, dass in ihr bereits eine Schriftstellerin schlummert! (Sie muss, was angeboren scheint, immerzu schreiben...)

Sich selbst beschreibt Jessica als "nicht ganz normal, wenig beliebt, und als jemand, der nie die Klappe halten kann, sondern IMMER und ÜBERALL die Wahrheit sagt" - die feine Ironie in Gardam's Erstlingswerk, mit dem wir es hier zu tun haben und das in England 1971 erschienen ist, sowie der typisch englische Humor sind bereits zu finden ("Bücher sollen Spaß machen", so ihr Credo; und ich bin überzeugt, dass dieser Roman all jenen LeserInnen gefallen wird, die sich bereits über good old Filth sehr amüsieren konnten (zu denen ich mich ebenfalls zähle).

"Weit weg von Verona" spielt in einem englischen Badeort an der Nordostküste Englands im Jahr 1940; das Leben der 13jährigen Jessica ist also - wie jenes all ihrer Klassenkameraden und deren Familien - kriegsüberschattet: So bleibt es nicht aus, dass ihr erstes Rendezvous mit dem kritischen Christian, der die Bourgeoisie, der er entstammt, hasst und dem Kommunismus sehr zugetan ist, in den sie sich (ebenfalls erstmals im Leben) verliebte, durch einen Fliegerangriff drastisch endet, wobei beide Glück haben, mit dem Leben davongekommen zu sein.

Ausser viel Situationskomik (Jessica sitzt der Schalk im Nacken; sie ist gerne lustig, lacht gerne und ist mit großer Fantasie ausgestattet; sie hat die "Gabe", meist zu wissen, was jemand denkt, was sich nicht eben immer einfach für sie selbst erweist, jedoch umso köstlicher zu lesen ist ;), beschreibt der Roman vieles aus dem Schulleben, Lehrerinnen mit viel Verstand (und welche ohne) spielen köstliche Nebenrollen), bleibt dem Leser jedoch auch nicht verborgen, welche Not durch den 2. Weltkrieg auch die englische Bevölkerung litt: Es geht um Nahrungsmittelknappheit und -mangel, Luftangriffe und Deserteure, die in den Roman miteinfließen und die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen (mit)bestimmt. In der Schule gibt es einen Gedichtwettbewerb und Jessica braucht lange, den ihren abzugeben - annehmend, dass der Briefkasten bei einem weiteren Angriff beschädigt wurde und die Briefe niemals rechtzeitig ankamen, wird sie einige Zeit später bei einer Schulversammlung eines Besseren belehrt.....

Ein weiterer Lesegenuss ist die Darstellung des Elternhauses und ihrer Eltern, ihre Vorliebe für die Bibliothek, die sicher alle Herzen höherschlagen lassen, die wie ich Bibliotheken lieben sowie die Dialoge zwischen Jessica und ihrer Freundin Florence über Bücher, die sie gerade lesen.....

Das Romanende ist sehr tiefgründig und auch positiv, da die Protagonistin durch den Erhalt eines Telegramms die Bestätigung erhält, dass "gute Dinge geschehen" (nachdem die Bibliothekarin einen Roman von Thomas Hardy ausmusterte, nachdem sie feststellte, dass dieser Lesestoff Jessica trübsinnig machen würde :)

Fazit:

Ein großartiger Roman, dieses Erstlingswerk, mit einer sehr willensstarken und äußerst sympathischen 13jährigen Protagonistin, die sicher jedes Leserherz nur erobern kann: Der witzige, humorvolle und SEHR erfrischende Schreibstil der Autorin ist einzigartig; besonders ihr knochentrockener englischer Humor - und die Prise Ironie ;)
Der Abschied von der Kindheit in Kriegszeiten, in der auch alle Verunsicherungen einer angehenden Schriftstellerin nicht ausgeklammert werden. Ich kann "Weit weg von Verona" nur eine absolute Leseempfehlung und 5* geben!