Saša Stanišić: Der Soldat, der das Grammofon reparierte
Btb
ISBN: 978-3-442-74169-4
ET 2010
448 Seiten
Inhalt:
Als der Bürgerkrieg in den 90er Jahren Bosnien heimsucht, flieht der junge Aleksandar mit seinen Eltern in den Westen. Rastlos neugierig erobert er sich das fremde Deutschland und erzählt mit unbändiger Lust die irrwitzigen Geschichten von damals, von der großen Familie und den kuriosen Begebenheiten im kleinen Višegrad. Aleksandar fabuliert sich die Angst weg und ,,Die Zeit, als alles gut war" wieder herbei.
Meine Meinung
Nach >>Herkunft<< ist dies der zweite Roman, den ich von dem gebürtigen Bonier, erleben durfte. Ich habe dieses Buch für den ers_Lesekreis_Heidelberg gelesen. Leider habe mich mit dem Selbstlesen schwergetab, denn ich habe Herkunft als Hörbuch vom Autor selbst gesprochen, gehört. Beim Vorlesen war das ein besonderes Erlebnis, denn Saša Stanišić hat beim Vorlese gut betont, die Pointen sprachlich hervorgehoben und mit Geschwindigkeit und Pausen gearbeitet. Das mache ich beim Lesen nicht, ich lese sehr schnell und daher auch sehr monoton, daher ist der Charakter des Buches für mich beim Lesen vermutlich verloren gegangen. Stanisic beherrscht die Gabe des subtilen Erzählens, auch als Vorleser.
Worum geht es nun in diesem Episodenband?
Dieses Buch ist das Debütroman von Saša Stanišić und erzählt vom jugoslawischen Bürgerkrieg, von Flucht, Heimatverlust und Orientierungssuche – aus der Perspektive eines Heranwachsenden – Jugendlichen und später Erwachsenen. Erzählt wird die Geschichte aus Sicht des jungen Aleksandar Krsmanovic ein - unverkennbar eine autobiographische Figur. Dieses Buch beginnt wild & skurril:
im bosnischen Višegrad wird ein Wasserklosett feierlich eingeweiht – mit Lammkeulen und lauten Liedern. Die Passage fand ich intensiv zu lesen, denn Opa Slavko beherrscht die Atmosphäre. Ich versank in der Geschichte, die einen großen Teil der Kultur ausmacht.
Aleksandar erzählt im ersten Teil des Buches alles mögliche aus seinem Leben vor dem Krieg. Die Familie wird beschrieben, seine Lehrer und Freunde, kleine Geschichten aus deren Familienwirken wir eine wilde Aneinanderreihen von Episoden aus Seiner Jugend.
Dann kommt der Krieg und Alexander flieht mit seinen Eltern von Bosnien nach Deutschland. Es war eine fremde Welt, die ihn hier erwartete. Zurück lässt Aleksandar neben vielen anderen lieben Menschen das Mädchen Asija. Dieser Name bedeutet "die Auferstandene" und wird zum Sinnbild der Suche nach der verlorenen Kindheit. Der Roman hat keine Einteilungen, man könnte ihn aber unter die Oberbegriffe Kindheit-Krieg-Flucht-Erinnerungen-Rückkehr fassen. Die Absurdität des Krieges wird geschildert in einem Kapitel, in dem Serben gegen Bosnier während einer Waffenruhe Fußball spielen. Nachdem diese Waffenruhe vorbei ist, schlägt das Spiel um in eine wörtlich genommene Fußball-Schlacht mit grausigen Folgen. Es war eine sehr skurille Szene, zum einen sehr lustig und Hoffnung machend, zum anderen zeigte sie die Extreme, die dort herrschten.
Später als Erwachsener, nach Ende des Krieges, kehrt Alex zurück nach Bosnien, auf der Suche nach Asija. Hier legt sich eine Liste an, was er alles sehen/hören/erfahren/finden möchte. Er geht nicht chronologisch vor, er folgt Gedanken und entwickelt einprägsame Bilder. Und wie er von seinem Großvater gelernt hat er schafft es mit seiner Fabulierkunst die Erzählperspektive von der des jungen Aleksandar "mitwachsend" in die des erwachsenen übergehen zu lassen, das macht die Geschichte sehr glaubwürdig, aber doch schwer dem roten Faden zu folgen.
Die Bücher von Sasa Stanisic (die Akzente bekomme ich gerade nicht hin) reizen mich gerade sehr. Vor allem so kurz vor dem Ende von "Das mangelnde Licht." Auch ein Land/ eine Region über die ich letztlich viel zu wenig weiß, auch wenn ich damals in den Nachrichten das schon mitbekommen habe, aber es hat mich damals micht so interessiert, da war ich glaube ich zu jung. Aber heute reizt es mich um so mehr.
Finde es spannend, dass bei Dir das Hörbuch von "Herkunft" so gut funktioniert hat und hier das Lesen etwas schwerer fiel. Meine Haltung zu Hörbüchern ist ja weithin bekannt. Da ich wohl deutlich langsamer lese als Du, sind mir Hörbücher oft zu schnell, auch wenn ich auf normaler Geschwindigkeit höre. Ich habe das Gefühl, dass ich mich viel mehr beim Hören konzentrieren muss um mitzukommen, als wenn ich in meinem Tempo lese.
Ich wage das Thema "Hörbuch" übrigens gerade wieder. Habe gestern angefangen "Tintenblut" als Hörbuch (über Youtube) zu hören. Es geht einigermaßen und ich versuche es auch diesmal echt durchzuziehen, aber es ist für mich kein Vergleich zu einem Lese-Leseerlebnis.
Hallo Kathrin
schön, wenn ich dich mit meiner Rezi interessieren konnte.
Wenn Du magst kann ich dieses Buch ja beim nächster Wanderbuchrunde mal mitschicken.
Derzeit ist verliehen aber bekomme es sicherlich bald zurück.
Sehr spannend dass Dir Hörbücher zu schnell sind. Ich höre alles (Hörbücher und Podcast) inzwischen auf 1,5facher Geschwindigkeit.
Gruß Silke
Zitat von: SilkeS. in 25. April 2023, 09:58:30Sehr spannend dass Dir Hörbücher zu schnell sind. Ich höre alles (Hörbücher und Podcast) inzwischen auf 1,5facher Geschwindigkeit.
Gruß Silke
Das mache ich tatsächlich auch, je nach Buch zwischen 1,25 - 1,5 fach ... aber man bekommt schon wirklich weniger mit als beim Lesen, also das kann ich nicht bestreiten, deshalb geht nicht jedes Buch als Hörbuch
Zitat von: Inge78 in 25. April 2023, 10:18:03deshalb geht nicht jedes Buch als Hörbuch
Ich höre gerade Mord auf Sunset Hallo von Leonie Swan als HB. Und es ist ein HB was generell schon schnell gesprochen gelesen wird und da hatte ich das erste Mal seit langem, dass ich es langsamer höre, weil man wirklich nichts mehr versteht...
Zitat von: SilkeS. in 25. April 2023, 10:21:04Zitat von: Inge78 in 25. April 2023, 10:18:03deshalb geht nicht jedes Buch als Hörbuch
Ich höre gerade Mord auf Sunset Hallo von Leonie Swan als HB. Und es ist ein HB was generell schon schnell gesprochen gelesen wird und da hatte ich das erste Mal seit langem, dass ich es langsamer höre, weil man wirklich nichts mehr versteht...
Ja, Sprecher sind auch total wichtig, es gibt auch Sprecher, die einfach nicht gehen
Aber grundsätzlich habe ich mich auch ans Hörbuch hören gewöhnen müssen und kann das auch nicht immer
Beim Kochen zB nicht, da muss es Musik sein
Zitat von: Inge78 in 25. April 2023, 10:24:34Ja, Sprecher sind auch total wichtig,
Definitiv
Zitat von: Inge78 in 25. April 2023, 10:24:34Beim Kochen zB nicht, da muss es Musik sein
Mein Kochen kann ich das auch nicht, zum einen muß ich mich konzentrieren, da ich meist 2 Gerichte parrallel koche und somit mit mehreren Töpfen hantiere, zum anderen koche ich viel nach Rezept und da muß ich dann aufpassen und kann nicht zuzuhören.
Aber beim Küche aufräumen danach kommt dann wieder Hörbuch oder Podcast
Hallo Silke,
Zitat von: SilkeS. in 25. April 2023, 09:58:30Wenn Du magst kann ich dieses Buch ja beim nächster Wanderbuchrunde mal mitschicken.
Das ist lieb von Dir, aber erstmal nicht. Ich will den Geliehen-Stapel nicht zu hoch wachsen lachen, eine Kollegin hat mir neulich auch ungefragt ein Buch mitgebracht und von meiner Mama habe ich auch noch eins liegen. Ich fühle mich da ziemlich unter Druck gesetzt mit den geliehen Büchern, vor allem mein SUB schreit, dass ich ihn vernachlässige. Wenn mir nach dem Buch ist, dann würde ich Dir Bescheid geben oder es mir spontan selbst holen.
Zitat von: SilkeS. in 25. April 2023, 09:58:30Sehr spannend dass Dir Hörbücher zu schnell sind. Ich höre alles (Hörbücher und Podcast) inzwischen auf 1,5facher Geschwindigkeit.
Ich höre ja so gut wie gar keine Hörbücher, das ist jetzt wieder mal ein Versuch. Aber ich höre wenn dann sehr aufmerksam, weil ich befürchte, dass mir wichtige Dinge entgehen, die Stimmung, die Atmosphäre ... wenn ich normal langsam lese, dann kriege ich alles mit, was ich brauche. Beim Vorlesen driften meine Gedanken zu schnell ab.
Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt irgendwas machen kann beim Hörbuch hören. Ich muss mich da voll drauf konzentieren. Aber ich probiere es nachher mal beim Kochen ... wobei ich da nicht viel aufpassesn muss, die Kartoffeln und der Spargel werden ja auch von selbst gar, wenn sie erstmal im Topf sind und der Herd angeschaltet ist :->
Ist Propaganda nebenberuflich Künstlerin?, rufe ich von der Drina, mit einem Wels ringend. Der Wels trägt Schnurrbart und Brille, und Opa sagt: Propaganda ist der Name einer Märchenerzählerin.
Der Debutroman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" von Sasa Stanisic ist eher zufällig in meinem SUB gelandet, als ich ihn in einem öffentlichen Bücherschrank fand. Den Autoren wollte ich schon länger einmal ausprobieren und das schöne bei Bücherschränken ist, wenn einem das Buch daraus nicht liegt, bringt man es einfach dorthin zurück. In diesem Fall hat mir das Buch jedoch so gut gefallen, dass ich es zwar in den Bücherschrank zurückgestellt habe, aber nur weil ich das Buch als Hardcover für mein Regal nachgekauft habe.
Es ist definitiv kein einfaches Buch - weder thematisch noch stilistisch. Der Autor hat ein großes Erzähltalent, das spürt man schnell, aber der Stil ist mitunter sehr anspruchsvoll und daher auch anstrengend, so dass ich schon das Gefühl hatte, dem Buch meine volle Aufmerksamkeit widmen zu müssen, zumal der Autor auch nicht immer chronologisch erzählt. Es ist definitiv kein Buch für Zwischendurch, kein Buch für einen zu vollgestopften Kopf, sondern ein Buch, für das ich Zeit, Muße und Ruhe brauchte. Und auch der spontane, aber eher sporadische und komplett ungezwungenge Austausch mit einer lieben Lesefreundin, die das Buch zu gleichen Zeit wie ich gelesen hat, hat mir persönlich sehr gut getan und mich durchhalten lassen und mir am Ende einen kleinen Schatz für das Bücherregal beschert.
Auch inhaltlich verlangt das Buch viel von mir, vor allem weil mir das geschichtliche Hintergrundwissen fehlt. Zur Zeit des Jugoslawienkrieges war ich zwar schon ein Teenie, habe mich aber nicht wirklich für die Politik in Europa und der Welt interessiert. Berührungspunkte hatte ich zu diesem Krieg "nur" durch unseren Nachbarn, der schon als junger Mann aus Kroatien nach Deutschland kam und Anfang der 90er Jahre seinen damals ca. 16 jährigen Neffen nach Deutschland geholt hat. Da der Autor in meinen Augen mir nicht so wirklich das nötige Hintergrund wissen vermitteln konnte, bin ich erst richtig gut in das Buch reingekommen, als ich mir eine dreiteilige Dokumentation über die damalige Situation auf dem Balkan angeschaut habe. Doch dann kannte meine Begeisterung keine Grenzen mehr. Neben - für mich nicht immer verständlichen Szenen- gab es nämlich auch immer mehr Szenen und Figuren, die mich mitten ins Herz getroffen haben und mit denen ich nicht gerechnet habe.
"Wie der Soldat das Grammofon repariert" ist ein Highlight, ohne ein wirkliches Highlight gewesen zu sein. Es ist anstrengend und ich bin mir sicher, dass ich nicht alles verstanden oder mitbekommen habe, weil mein Kopf manchmal zu müde war. Aber es ist ein Buch, das ich empfehlen kann und das man gelesen haben sollte, da es im Grundsatz leider viel zu aktuell ist und weil es den Wahnsinn und die Absurdität eines Krieges zeigt. Ein Buch, bei dem der Kloß im Hals immer dicker und dicker wird, so dass man ihn kaum herunterschlucken und schon gar nicht verdauen kann.
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