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Anspruchsvolles & Klassiker => Rezensionen => Thema gestartet von: Inge78 in 26. Februar 2025, 09:44:40

Titel: Douglas Stuart - Shuggie Bain
Beitrag von: Inge78 in 26. Februar 2025, 09:44:40
ZitatFür seinen Roman ,,Shuggie Bain" wurde Douglas Stuart mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet. ,,Das beste Debüt, das ich in den letzten Jahren gelesen habe." (Karl Ove Knausgård) ,,Dieses Buch werdet ihr nicht mehr vergessen." (Stefanie de Velasco)

Shuggie ist anders, zart, fantasievoll und feminin, und das ausgerechnet in der Tristesse und Armut einer Arbeiterfamilie im Glasgow der 80er-Jahre, mit einem Vater, der virile Potenz über alles stellt. Shuggies Herz gehört der Mutter, Agnes, die ihn versteht und der grauen Welt energisch ihre Schönheit entgegensetzt, Haltung mit makellosem Make-up, strahlend weißen Kunstzähnen und glamouröser Kleidung zeigt - und doch Trost immer mehr im Alkohol sucht. Sie zu retten ist Shuggies Mission, eine Aufgabe, die er mit absoluter Hingabe und unerschütterlicher Liebe Jahr um Jahr erfüllt, bis er schließlich daran scheitern muss. Ein großer Roman über das Elend der Armut und die Beharrlichkeit der Liebe, tieftraurig und zugleich von ergreifender Zärtlichkeit.


"No matter what they take from me
They can't take away my dignity"
(Whitney Houston)

Shuggie wächst mit zwei älteren Geschwistern im Glasgow der 80er Jahre auf. Der Vater oft abwesend, die Mutter versinkt immer mehr im Alkohol. Und Shuggie versucht, sowohl sein Leben zu meistern als auch seine Mutter zu schützen.

Für immer wird wohl der Whitney Houston Song" The greatest love of all" mit Shuggie Bain verbunden bleiben. Und ich muss auch jetzt schon wieder schlucken, wenn ich mir den Text vergegenwärtige. Das Buch hat mich an meine emotionalen Grenzen gebracht, es tat manchmal körperlich weh, weiterzulesen und in Shuggie Bains Leben einzutauchen. So ein besonderer Junge, so liebevoll, so gefühlvoll, so voller Interesse an den Dingen des Lebens. Er selbst hat es schwer im Leben, der Vater findet ihn zu verweiblicht , zu wenig "mannhaft", seine Mutter aber fördert seine Interessen. Sofern sie denn schafft, lange genug nüchtern zu bleiben um sich überhaupt um ihre Kinder kümmern zu können. Und so kümmern sich eher die Kinder um ihre Mutter, begleiten ihren Verfall. Ich habe so sehr mitgelitten mit der Familie, ich habe so sehr gehofft dass sich alles zum Besseren entwickelt, Shuggie und auch die Geschwister haben es so sehr verdient. Aber immer wieder werden Hoffnungen enttäuscht, bei Shuggie und bei mir als Leser. Ich war so froh, dass ich dieses Buch in einer Leserunde gelesen habe, dass ich mich austauschen konnte, dass ich meinen Frust, meine Enttäuschung, meine Trauer, meine Aggression beim Lesen irgendwie loswerden konnte. Dabei macht der Autor das wirklich gut. Das Buch lässt sich so gut lesen, ist nicht schwer trotz der Schwere der Themen.
Ich habe lange überlegt, ob ich dem Buch volle Punktzahlt geben kann. Einfach, weil es mich auch runter gezogen hat, mich traurig gemacht hat. Einfach, weil ich auch mal Lesepausen brauchte, in denen ich nicht weiter lesen konnte. Aber das ist die Thematik, die ich ja schlecht abwerten kann. Zumal das Buch auch teilweise autofiktional ist.
Das Ende hätte ich mir glatt besser gewünscht, noch hoffnungsvoller, noch strahlender. Aber so wie es ist, ist es passend, ist es realistisch und lässt mir noch genug Platz um mir eine strahlende Zukunft für die Protagonisten auszumalen.
Ein Buch dass so wichtig ist, ein Protagonist den ich nie vergessen werden.
Man braucht ein gewissen emotionale Stabilität beim Lesen aber dann ist es ein echtes Highlight.

[note 1]
Titel: Aw: Douglas Stuart - Shuggie Bain
Beitrag von: Kathrin in 04. März 2025, 10:17:40
Was soll ich dazu noch schreiben! Ich habe das Buch zusammen mit Inge gelesen und bin genauso begeistert! Und wenn ich die zwei Zeilen aus dem Song von Whitney Houston nur lese, kommen mir schon wieder die Tränen.
Titel: Aw: Douglas Stuart - Shuggie Bain
Beitrag von: Kathrin in 01. Juni 2025, 11:51:25
,,Shuggie Bain" von Douglas Stuart war – endlich – das erste Highlight des Lesejahrs 2025 für mich. Eine Geschichte, die zwar inhaltlich oft kaum zu ertragen war, die aber sicherlich noch lange nachhallen wird.

Ich hatte während des Lesens die komplette Zeit ein beklemmendes Gefühl, wie wenn sich eine Hand um mein Herz legt und es zu zerquetschen droht. Ich bin wirklich ein Fan von rosa-roten Plüsch-Happy-Ends, aber hier habe ich den ein oder anderen Hoffnungsschimmer doch bitte nötig gehabt, den es zwar durchaus ab und an gab, dann aber direkt wieder zerstört wurde. Der Autor hat es anhand von Shuggie, seiner Mutter Agnes aber auch anhand von Shuggies Geschwistern Catherine und Leak perfekt verstanden zu zeigen, wie schwer es ist aus so einem Sumpf aus Armut und Alkohol und Gewalt herauszukommen. Letztlich kann man das wohl nur schaffen, wenn man es auch wirklich will und alles dafür tut, auch wenn man dabei auch unsympathisch und egoistisch handeln muss. Dabei fand ich es vor allem gut, dass wir die Geschichte nicht nur aus Shuggies und Agnes Sicht erzählt bekommen haben, sondern auch Figuren zu Wort gekommen sind, die  eher in der zweiten Reihe zu finden waren. Vor allem Shuggies älterer Bruder Leak hat sich hat sich zu meinem heimlichen Helden gemausert. Aber auch Agnes, die sich ihren Verstand wirklich weggesoffen hat, hatte so tolle Momente, wo ich sie gefeiert habe und wo sie gezeigt hat, was eigentlich in ihr steckt.

Douglas Stuart hat dieses schwere Thema auch sprachlich richtig gut umgesetzt. Er verwendet von Anfang an eine direkte und ungeschönte, derbe Sprache, auch wenn es meiner Meinung nach in der deutschen Übersetzung nicht zwingend der berlinerisch angehauchte Slang gebraucht hätte.

,,Shuggie Bain" ist ein tolles, aber auch heftiges Buch, dass mich zerstört hat und das für immer mit Whitney Houstons Song ,,The greatest love of all" verbunden sein wird. Selten habe ich ein Buch und ein Lied als so grandios gut zueinander passend empfunden.

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