Carol Rifka Brunt - Sag den Wölfen, ich bin zu Hause

Begonnen von Inge78, 14. Januar 2019, 08:58:30

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Inge78

ZitatNew York, 1987: Eigentlich gibt es nur einen Menschen, der June Elbus je verstanden hat, und das ist ihr Onkel Finn Weiss, ein berühmter Maler. Als Finn viel zu jung an einer Krankheit stirbt, deren Namen ihre Mutter kaum auszusprechen wagt, steht in Junes Leben kein Stein mehr auf dem anderen. Auf Finns Beerdigung bemerkt June einen scheuen jungen Mann, und ein paar Tage später bekommt sie ein Päckchen. Darin befindet sich die Teekanne aus Finns Apartment – und eine Nachricht von Toby, dem Fremden. Wer ist dieser Mann, der behauptet, Finn ebenso gut zu kennen wie June selbst?

Zunächst ist June misstrauisch, doch dann beginnt sie sich heimlich mit Toby zu treffen, und sie erfährt, dass es gegen Trauer ein Heilmittel gibt: Freundschaft und Zusammenhalt.

Es ist das Jahr 1987. June ist 14 und lebt mit ihrer älteren Schwester und ihren Eltern in der Nähe von New York. Ihr geliebter Patenonkel Finn stirbt an AIDS, ein Tabuthema , das totgeschwiegen wird. June fühlt sich in ihrer Trauer allein gelassen und völlig unverstanden. Erst bei der Beerdigung erfährt sie, dass ihr Onkel einen Lebenspartner hat, Toby. Ihre Mutter lehnt den Partner ihres Bruders ab. Doch heimlich trifft sich June mit Toby.

June ist kein typischer Teenie. Sie ist eine Einzelgängerin, liebt den Wald und lebt in ihrer eigenen Welt. Und diese wird auch viel von ihrem charismatischen Künstler Onkel Finn beeinflusst, der ihr Malerei und Musik näher bringt. Als Finn stirbt ,fällt sie in ein Loch aus dem ihre Familie sie nicht heraus holen kann. Onkel Finns Lebensgefährte Toby nimmt Kontakt zu ihr auf und eher wiederwillig trifft June sich mit ihm. Sie sieht in Toby eine Konkurrenz in Finns Liebe, erkennt, dass Finn ein Leben außerhalb ihrer kleinen Welt hatte und wetteifert auch nach Finns Tod noch mit Toby darum wen Finn mehr geliebt hat.
Titelgebend für das Buch ist ein Portrait, was Finn von den beiden Schwestern June und Greta malt. Und rund um dieses Portrait beschreibt die Autorin das Portrait einer Familie, in der jeder sein eigenes Leben lebt und in der es keine Zusammengehörigkeit mehr gibt. Die Eltern arbeiten und bekommen kaum mit, was ihre Töchter beschäftigt. Greta ist die biestige große Schwester, die Überfliegerin, beliebt in der Schule, hübsch und talentiert. June fühlt sich dick und hässlich und hat keine Freunde. Bei den Treffen mit Toby kann sie die Erinnerungen an ihren Onkel wieder aufleben lassen und fühlt sich dadurch besser.

Nach und nach schaut man jedoch hinter die Kulissen der Menschen, erkennt, was sie antreibt.

Das Buch ist wunderschön geschrieben, teilweise poetisch. Die Sprache ist meistens sehr ruhig, oft passiert vermeintlich gar nicht viel. Vieles läuft hintergründig, auf der emotionalen Ebene ab. Es gibt wunderschöne Episoden, bedrückende Momente, ich habe auch viel gegrinst beim Buch aber auch Tränen vergossen.
Einige Szenen im Buch sind mir fast zu skuriel, zum Ende hin hätte ich mir etwas weniger Tempo gewünscht aber im Großen und Ganzen bin ich in diesem Buch so richtig versunken und habe mich in die Personen verliebt und in einen toten Onkel der ein wunderbarer  Mensch gewesen sein muss.

Ein Buch über Trauer, über Freundschaft und Liebe. Und vor Allem über die Familie

[note2]
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Esmeralda

Mein Lesseindruck:
"Sag den Wölfen, ich bin zu Hause" von Carol Rifka Brunt ist ein Roman, an den ich ziemlich hohe Erwartungen hatte, die aber leider nicht so ganz erfüllt wurden.
Obwohl mich der eher poetisch- und bildhaft-anmutende Schreibstil fesseln konnten, gab es doch einige Längen und andere kleinere Kritikpunkte.

Z.B. deutet der Klappentext eine Geschichte über Trauer und Verlust an, doch das empfand ich als gar nicht so zentral. Vielmehr ging es um den Konflikt zwischen June und ihrer älteren Schwester Greta und die emotionale Distanz zu ihren Eltern.
Gretas Gefühlswelt konnte ich auch nicht ganz nachvollziehen, gerade weil sie älter ist, hätte ich bei ihr etwas mehr Tiefgang erwartet. Für mich war der Kontrast zwischen den Schwestern ein wenig zu stark.

[note 2-]
Life is too short to read bad books. 

Inge78

Auch wenn deine Meinung ja eher gemischt ist, habe ich trotzdem gerade totale Lust auf einen Re-Read, ich mochte das Buch sehr
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Kathrin

Und jetzt habe ich es auch endlich geschafft meine Meinung zu Papier zu bringen:

Es ist jetzt gut ein halbes Jahr her, dass ich das Buch ,,Sag den Wölfen, ich bin zu Hause" von Carol Rifka Brunt gelesen habe. Und eigentlich ist es ein kleine Schande, dass ich erst jetzt dazu komme, meine Meinung zu diesem wunderbaren Buch zu veröffentlichen, auch wenn der vergleichsweise große Zeitraum seit dem Lesen meiner Meinung zu dem Buch keinen Abbruch getan hat. Ich liebe die Geschichte und die Figuren so sehr, sie sind nach wie vor noch sehr präsent und ich bin mir sicher, dass ich irgendwann einen Re-Read starten werde. Für mich bislang das beste Buch, das ich in diesem ersten Halbjahr 2024 gelesen habe.

Die Geschichte von June und ihrer Familie hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Der Tod ihres Onkel Finn, dem Bruder der Mutter, ist ein Wendepunkt im Leben der gesamten Familie, vor allen Dingen für June, die mit ihrem Patenonkel den wichtigsten Halt, die wichtigste Bezugsperson in ihrem Leben verloren hat. Ihre zwei Jahre ältere Schwester Greta ist ihr in dieser Situation allerdings so gar keine Hilfe. War das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern früher noch ein gutes gewesen, so ist es zum aktuellen Zeitpunkt, da beide Schwestern in der Pubertät sind, wirklich getrübt.

Und genau vor dieser Ausgangssituation hatte ich Angst, denn ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich mit zwei pubertierenden Schwestern im Fokus der Geschichte zurechtkommen würde. Aber die Skepsis war unbegründet, denn ich finde beide Mädels richtig gut cargestellt und charakterisiert. Im Gegensatz zu June ist Greta zunächst das Paradebeispiel einer pubertierenden Göre. Sie ist fürchterlich sehr anstrengend, eine böse Zicke und ging mir zeitweise mächtig auf den Geist. June ist ein völlig anderer Typ, sie ist oft schrecklich allein und wird zusätzlich von ihrer Schwester ziemlich untergebuttert, auch wenn schwesterliches Gezicke in diesem Alter eigentlich ziemlich normal ist. Da ich aber selbst die kleine Schwester bin, konnte ich sehr gut mit June mitfühlen und wollte so oft in das Buch kriechen und sie einfach nur in den Arm nehmen.


Dieser Fokus auf June hat sich im Laufe des Buches geändert, denn die Autorin hat es wunderbar verstanden, den Blick des Lesers auf die ganze Familie zu erweitern.  Denn auch wenn June im Mittelpunkt des Romans steht, da sie auch diejenige ist, die sich mit Toby anfreundet, dem Unbekannten, der auf Finns Beerdigung auftaucht und auf den die Eltern nicht gut zu sprechen zu sein scheinen, müssen sie alle mit Finns Tod klar kommen. Die Mutter hat den Bruder verloren, mit dem sie in der Kindheit und Jugend ein enges Verhältnis hatte und auch Gretas Leben als neuer Star in der Schultheatergruppe ist nicht nur eitel Sonnenschein. Gerade Greta, so anstrengend sie auch sein mag, ist ein toller – wenn auch sperriger und nicht immer angenehmer – Charakter. Ich mochte die sich ständig verändernde Dynamik zwischen den Figuren extrem gerne, zwischen Greta und June, zwischen den Kindern und den Eltern oder auch zwischen June und Toby. Das Buch wirkte dadurch sehr lebendig und die Figuren sehr echt, so dass ich sehr nah an sie rankommen konnte und irgendwie mit allen sehr gut mitfühlen konnte. Dass ich mein Herz ein wenig an Toby verloren habe ... gut das mag Geschmacksache sein, denn meine Leserunden-Partnerin war nicht wirklich mit ihm einverstanden. Aber für mich war Toby einfach nur toll, klar, auch er war nicht perfekt und hat sicherlich auch Dinge gemacht, die nicht jede*r gutheißt, aber für mich war er der Herzensmensch der Geschichte.

Wenn ich mir den Text meiner Rezi bis hierhin durchlese, habe ich das Gefühl, dass ich meine Begeisterung gar nicht richtig in Worte fassen kann. Vieles von meiner Begeisterung erklärt sich irgendwie auch erst, wenn man genauer auf manche Details, besondere Szenen, Gespräche schaut, die ich hier aus Spoiler-Gründen natürlich nicht näher beleuchten kann. Trotzdem möchte ich kurz erwähnen, dass ich froh bin, dass mich das Buch nicht zerstört hat, denn zumindest in einer Hinsicht war klar, was passieren wird. Aber diese bestimmte Szene ist von der Autorin so gut erzählt worden. Und außerdem: wie grandios gut ist denn bitte die Sache mit dem Portrait von June und Greta – Finns letztem Gemälde – gelöst worden. Ich habe das so gefeiert und wie gerne hätte ich das Bild hier in meiner Wohnung hängen zusammen mit dem letzten Foto aus ,,Das mangelnde Licht."

Auch wenn ich der Meinung bin, dass mir das Buch viel mehr gegeben hat, als ich vom Klappentext erwartet hatte und dem Buch letztlich mit seinen knapp 450 Seiten eigentlich nichts gefehlt hat, war es dennoch viel zu kurz. Und das einfach nur, weil ich diese wunderbaren, so echten Figuren einfach nicht loslassen wollte.

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Rock the Night!

Annette B.

Das ist schon Interessant, wie unterschiedlich ihr das Buch empfindet.
 
Schön ist, dass dieses Buch euch drei in irgendeiner Weise abholen konnte.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass man für dieses Buch auch in der passenden Lesestimmung sein muss. 
Liebe Grüße Annette

Inge78

Ich muss es unbedingt noch mal lesen, je mehr ich darüber nachdenke, um so besser gefällt es mir im nachhinein
Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore

Im finst´ren Förenwald, da wohnt ein greiser Meister. Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
(aus "ES" von Stephen King)

Fiktion ist wie ein Spinnennetz, das, auch wenn nur vielleicht ganz leicht, an allen vier Ecke des Lebens befestigt ist.
- Virginia Woolf

Kathrin

Zitat von: Annette B. in 05. Juli 2024, 18:22:19Das ist schon Interessant, wie unterschiedlich ihr das Buch empfindet.
 
Schön ist, dass dieses Buch euch drei in irgendeiner Weise abholen konnte.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass man für dieses Buch auch in der passenden Lesestimmung sein muss. 

Ich finde gar nicht, dass wir es so unterschiedlich empfinden. Ich bin halt wieder sehr euphorisch in meiner Meinung, aber mich hatte es einfach komplett abgeholt und vermutlich wirklich in der richtigen Stimmung erwischt. Ich fand den Austausch mit Silke zu dem Buch, mit der ich die LR hatte, auch richtig toll. Gerade weil wir teilweise etwas anderer Meinung - vor allem auch in Bezug auf Toby - waren.
Rock the Night!