Der literarische Snobismus

Der Literaturbetrieb ist festgefahren, kleingeistig und engstirnig. Jedenfalls wenn man diese Woche die hochnobelgepreisten Journalisten, Autoren und Leser befragt. Im literarischen Quartett schlagen sie sich fast die Köppe ein und der Blätterwald diskutiert den aktuellen Literaturnobelpreisträger. Bob Dylan ist doch mit seiner Klampfe bitte kein Autor, denn immerhin hat Günter Grass für seine Blechtrommel ja auch noch keinen Grammy bekommen.

Maxim Biller alias Grumpycat

Natürlich müssen Literaturwissenschaftler Regeln anwenden. Das habe ich in meinem Studium auch mal alles gelernt. Es gibt Kriterien, die Literatur erfüllen muss, aber dennoch frage ich mich besonders in den letzten Tagen, ob der intellektuelle Literat, der am liebsten wie Maxim Biller alias Grumpycat über den Dingen schwebt, nicht evolutionsliterarisch irgendwo mal stecken geblieben ist.

Jedes Jahr gibt es einen Aufschrei, weil der Lieblingsautor mal wieder nicht bedacht worden ist oder einige Autoren doch viel viel besser sind. Geschmackssache und legitim. Mich schockiert aber schon, dass Experten sich über Dylans fehlende literarische Arbeit aufregen. Kinder, Kinder… schon mal was vom Minnesang gehört, von Walther von der Vogelweide? Dylan ist nichts anderes als gesungene Lyrik und seine Qualität steckt besonders in seinen Texten, denn mit Verlaub, besonders gut singen kann er nicht.

Wieso ist es im anspruchsvollen Literaturbetrieb so schwierig, althergebrachte verkrustete Strukturen aufzubrechen? Verliert Literatur dadurch an Bedeutung? Wird sie dadurch beliebiger? Oder nicht vielleicht doch facettenreicher? Es geht mir bei dieser Frage nicht um die Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und anspruchsvoller Literatur. Beides hat seine Berechtigung. Manche lesen beides (ich z.B.), für manche ist Jonathan Franzen ein Graus, für manche Nora Roberts. Damit kann sowohl der genannte Autor, als auch die genannte Autorin leben. Das letztere niemals einen Pulitzer- oder Nobelpreis gewinnen wird, wird sie ebenfalls verschmerzen können, denn es ist ja gar nicht ihr Ziel. Dementsprechend finde ich die Streitereien zwischen Lesern dieser beiden Gruppen immer furchtbar langweilig.

Weniger Schubladen, mehr Mut!

Worum es mir geht, ist die Arroganz einiger Experten, wie den schon angesprochenen Maxim Biller, der am Freitag in der aktuellen Folge des literarischen Quartetts mal wieder kaum eine Meinung neben seiner gelten ließ. Nein, ich möchte keine Sendung, die Bücher ohne Begründung in den Himmel lobt, aber ich brauche auch niemanden, der offensichtlich zumindest ein Problem mit seinem übergroßen Ego hat und seine Meinung für das von Moses auf dem Berg vergessene 11. Gebot hält. Biller braucht Schubladen, in die er Bücher stecken kann. Von Gast Thomas Glavinic forderte er sogar den Humor eines der besprochenen Bücher genauer zu etikettieren. Amerikanischer Humor? Englischer Humor? Jiddischer Humor? Biller braucht Grenzen und lässt sich offensichtlich von Freiheiten verunsichern. Vielleicht bellt er deswegen immer besonders laut, denn es überdeckt die eigene Fehlbarkeit. Glücklicherweise ist Volker Weidermann endlich mal mit einem Machtwort dazwischen gegangen. Dies sollte er häufiger tun.

Ob Biller bei einigen der vorgestellten Bücher in Sachen schlechter Sprache Recht hat, kann ich ohne die Romane gelesen zu haben, nicht beurteilen. Ich weiß aber, dass schlechtes Benehmen nicht viel weniger verwerflich ist, als ein schlecht geschriebenes Buch.

Streitkultur und Ego-Trip

Im neuen literarischen Quartett habe ich immer das Gefühl, es wird sich über Bücher gestritten, um des Streites Willen und um sich selbst darzustellen. Es geht dabei nie um die Liebe zur Literatur oder das Brennen für einen Autor oder einen einzelnen Titel. Ich finde Streitkultur wichtig und freue mich über Literatur im Fernsehen, aber der Ton ist zu krawallig, der Mehrwert für normalsterbliche Leser zu gering. Und machen wir uns nichts vor, die Sendung schauen schon Menschen, die eher bei Roth, Murakami, Burnside, etc. unterwegs sind und nicht in die Buchhandlung stürmen weil der neue Heitz erschienen ist. Die Sendung richtet sich an ein anspruchsvolles Publikum, welches sich für Literatur jenseits der Bestsellerliste und der Unterhaltungsliteratur interessiert. Aber erreicht es diese wirklich oder geht es dabei letztlich nicht doch nur darum, um sich selbst zu kreisen und sein (eingebildetes) Fachwissen mitzuteilen.

Immer offensichtlicher wird, wir brauchen eine Sendung, die wieder für Literatur begeistert und die dem Zuschauer auf Augenhöhe begegnet. Ich möchte am nächsten Morgen mit meiner Freundin telefonieren, um zu sagen, dass ich ganz dringend unserer Buchhandlung einen Besuch abstatten muss. Stattdessen komme ich mir vor wie nach einem schlechten Literaturseminar. Ich war dabei, ich habe zugehört, ich bin genauso schlau wie vorher, habe aber ein paar neue Schimpfwörter über schlecht geschriebene Bücher gelernt. Is ja auch was wert.

Was mir bei „Lesen“ mit Elke Heidenreich zu viel Lobhudelei war, ist mir beim Neuaufguss des literarischen Quartetts zu verquast. Mir ist klar, dass man bekannte Experten braucht, damit man überhaupt eine handvoll Zuschauer vor den Fernseher lockt. Ein paar enthusiastische Buchhändler oder Blogger  auf ein Sofa zu setzen, wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Aber es würde schon helfen, eine Runde ohne Selbstdarsteller zu finden und die Sendung nicht andauernd kurz vor Mitternacht zu senden.

Chapeau Stockholm!

Literatur ist in vielerlei Hinsicht in den Medien noch immer ein Nischenprodukt. Man sieht es am Sendeplatz, an den Experten und am Aufschrei über den neuen Nobelpreisträger. Ich sage chapeau Stockholm! Ausgerechnet das Komitee des Nobelpreises hat sich mal getraut der Literatur den Stock aus dem Arsch zu nehmen. Aber nächstes Jahr dann trotzdem bitte Murakami, okay? ;-)

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  • „Ich weiß aber, dass schlechtes Benehmen nicht viel weniger verwerflich ist, als ein schlecht geschriebenes Buch.“ Vielen Dank dafür! Mein Abend ist gerettet, moralisch & literaturwissenschaftlich. :-) Liebe Grüße, Andrea

  • Liebe Steffi,
    Am besten gefällt mir der letzte Absatz. Ich habe nicht Literatur studiert, kann die Entscheidung des Nobelpreiskommitees nicht wirklich beurteilen, finde sie aber ebenfalls sehr mutig und innovativ. Zumindest in diesem Jahr.
    Murakami würde ich den Preis aber nicht geben ?.
    Tim Parks schrieb in seinem neuem Buch auch ein Kapitel über die Vergabe des Preises, ich bin gespannt, was er in zwei Wochen auf der Lesung in Köln zum neuen Preisträger sagt.
    Die Sendung „Das literarische Quartett“ habe ich noch nicht gesehen, das Format gefällt mir nicht so gut. Eher schätze ich die von Denis Scheck und vermisse sehr das blaue Sofa.
    Liebe Grüße
    Silvia

    • Hallo Silvia!

      Denis Scheck schaue ich auch so gerne. Ich vergesse es nur irgendwie immer, bzw. bekomme es selten mit. Glücklicherweise gibt es ja die Mediathek! :-) „Druckfrisch“ bekommt nur leider nicht mal einen Bruchteil der Aufmerksamkeit wie „Das literarische Quartett“. Keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht brauchen wir Deutschen auch was, worüber wir uns aufregen können! :-D

      Zu Murakami – ich lese gerade mein erstes Buch von ihm und bin hin und weg.

      Liebe Grüße,
      Steffi