Horowitz, Anthony: Das Geheimnis des weißen Bandes

Band 1 Holmes & Watson Reihe

Originaltitel: House of Silk
Verlag:
Insel
erschienen:
2011
Seiten:
350
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3458175431
Übersetzung:
Lutz-W. Wolff

Klappentext:

Am Abend eines ungewöhnlich kalten Novembertages im Jahr 1890 betritt ein elegant gekleideter Herr die Räume von Sherlock Holmes‘ Wohnung in der Londoner Baker Street 221b. Er wird von einem mysteriösen Mann verfolgt, in dem er den einzigen Überlebenden einer amerikanischen Verbrecherbande erkennt, die mit seiner Hilfe in Boston zerschlagen wurde. Ist der Mann ihm über den Atlantik gefolgt, um sich zu rächen? Als Holmes und Watson den Spuren des Gangsters folgen, stoßen sie auf eine Verschwörung, die sie in Konflikt mit hochstehenden Persönlichkeiten bringen wird ? und den berühmten Detektiv ins Gefängnis, verdächtigt des Mordes. Zunächst gibt es nur einen einzigen Hinweis: ein weißes Seidenband, befestigt am Handgelenk eines ermordeten Straßenjungen …

Rezension:

In den letzten Jahren an Sherlock Holmes vorbeizukommen, war wohl fast unmöglich. Sowohl die beiden neueren Hollywoodverfilmungen mit Robert Downey Jun., sowie Benedict Cumberbatch‘ moderne Interpretation von Sherlock in der gleichnamigen BBC Serie, haben Arthur Conan Doyles Detektiv wieder zum Thema gemacht. Ich gestehe, ich kenne die Originalromane (noch) nicht, bin aber seit „Basil, der Mäusedetektiv“ von Walt Disney von Holmes und Watson (aka Basil und Dr. Wasdenn) fasziniert. Mit gerade einmal neun Jahren hatte ich zwar eine Heidenangt vor Professor Rattenzahn und vor allen Dingen vor dem gruseligen Greifer, aber schon damals hat mich das Flair des alten Londons gefangen genommen.

So habe ich 2011 nicht lange gezögert, als bei Insel „Das Geheimnis des weißen Bandes“ von Anthony Horowitz erschien. Zum ersten Mal überhaupt bekam ein Autor Unterstützung vom Arthur Conan Doyle Literary Trust. Tja und dann lag es über drei Jahre ungelesen auf meinem Bücherstapel, bis mich das kürzliche Erscheinen des zweiten Bandes wieder daran erinnerte und ich es endlich zur Hand nahm und sich dann zu einem meiner Jahreshighlights 2014 entpuppte.

An diesem Buch ist so ziemlich alles perfekt. Angefangen von der liebevollen äußeren Gestaltung des Hardcovers. Blütenweiße Seiten und ein schwarzer Leinenband mit geschwungener weißer eingeprägter Schrift, der sich allein schon beim Berühren nach der guten alten Zeit anfühlt. Tut Euch einen Gefallen und kauft Euch dieses Buch nicht als ebook und auch nicht als Taschenbuch!

Ich kann nicht abschließend beurteilen, in wie weit Horowitz den Ton der ursprünglichen Geschichten um Sherlock Holmes trifft. Da ich aber gerade den ersten Originalroman „Eine Studie in Scharlachrot“angefangen habe, würde ich nach den ersten Seiten sagen, er hat es wohl ziemlich gut hinbekommen. Sherlock ist ein merkwürdiger, wenngleich genialer kluger Kopf. Eigenbrötlerisch und geheimnisvoll sieht er Zusammenhänge, wo ein normaler Mensch vermutlich nie welche sehen würde. Faszinierend, wie sich dann am Ende alles zusammfügt.

Die Handlung besteht aus mehreren Strängen, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben und ehrlich gesagt, habe ich mich noch auf den letzten 50 Seiten gefragt, wie Horrowitz das Geflecht aus Verrat, Mord und Schuld zusammenfügen will. Aber er tat es und das auch noch überzeugend. Ich bin ehrlich gesagt nicht auf die Lösung des Falles gekommen, fand das Ende jedoch sehr schlüssig und vor allen Dingen nicht aus dem Hut gezaubert. Es ergibt einfach alles seinen Sinn.

Dabei gelingt es dem Autor die viktorianische Zeit farbenfroh oder sagen wir besser nebelverhangen zum Leben zu erwecken und diese in so manch packende Wendung zu integrieren. Soziale und gesellschaftliche Missstände werden aufgezeigt, die am Ende ihren fürchterlichen Höhepunkt finden.

Watson ist ein formidabler Chronist der Geschehnisse und ein guter Biograph, der Holmes Eigenarten bis ins kleinste Detail wiedergeben kann. Dabei wird auch die ungewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden fühlbar und bei Horrowitz hat sie durchaus innige Momente, wie sie bei Doyle höchstens angedeutet wurden. Auch Holmes selbst ist trotz aller Verschrobenheit ein fast liebenswerter Zeitgenosse, der sowohl Mitleid als auch freundschaftliche Zuneigung zeigt. Hier unterscheidet sich der Horrowitz-Holmes vielleicht vom Doyle-Holmes. Er wirkt in „Das Geheimnis des weißen Bandes“ einfach ein bisschen weniger unnahbar und soziopathisch, verliert dabei aber nicht seine Genialität und Außergewöhnlichkeit. Holmes-Puristen werden dies vielleicht nicht mögen. Auf der anderen Seite, wo bliebe die schriftstellerische Freiheit und vor allen Dingen Horriwitz‘ eigene Stimme, wenn er einfach nur ein Plagiat aufs Tapet gebracht hätte.

Stilistisch ist das Ganze so wunderbar verpackt, dass man nicht weiß worauf man sich mehr freuen soll. Auf Watsons ausufernde, aber niemals langweilige Beschreibungen von Geschehnissen und Personen oder auf so manchen skurrilen Dialog, der die Eigenarten jeder Figur aufs Herrlichste zu Tage bringt.

Für mich ist Anthony Horrowitz erster Ausflug in die Welt von Sherlock Holmes eine perfekte Hommage an den Klassiker, aber eben auch genug Eigenes, um es zu einem eigenständigen Werk zu machen und ich hoffe, es wird noch weitere Fälle geben. Ich ziehe jedenfalls vor Begeisterung meine Deerstalker-Mütze vor der Leistung des Autors.

Note: 1