Simmons, Dan: Drood

Originaltitel: Drood
Verlag:
Heyne
erschienen:
2010
Seiten:
976
Ausgabe:
Taschenbuch
ISBN:
3453408063
Übersetzung:
Friedrich Mader

Klappentext:

London im Jahr 1865: Bei einem dramatischen Eisenbahnunglück finden etliche Menschen den Tod. Unter den Überlebenden ist der bedeutendste Schriftsteller seiner Zeit: Charles Dickens. Doch nach diesem Ereignis ist Dickens nicht mehr derselbe. Wie besessen macht er sich auf die Suche nach einem mysteriösen Mann namens Drood. Aber wer oder was ist Drood wirklich? Und kann es sein, dass Charles Dickens in seinen letzten Lebensjahren zum kaltblütigen Mörder wird?

Rezension:

„Drood“ von Dan Simmons ist ein Mystery-Roman, der auf einer wahren Begebenheit beruht und die letzten Jahre des großen Autors Charles Dickens als Hintergrundthema hat. Alles beginnt mit dem schweren Eisenbahnunglück von Staplehurst, Kent im Juni 1865, das der berühmte Autor, ohne größeren körperlichen Schaden erlitten zu haben, überlebt. Der seelische/ geistige Zustand ist jedoch ein anderer, denn er ist nach dem Unglück doch merklich verändert und wie besessen macht er sich auf die Suche nach dem Mann, den er bei diesem Unglück kennengelernt hat, Drood, den mehr als nur ein mysteriöses Geheimnis umgibt.

Die Grundidee zu diesem Roman finde ich sensationell. Da haben wir zum einen das Zugunglück, das tatsächlich geschehen ist und welches Charles Dickens tatsächlich überlebt hat. Die seelische Belastung versucht er mit Hilfe  einiger seiner späteren Werke zu verarbeiten, was der Leser oft spüren kann. Schön auch die Idee, den Titelhelden aus Dickens letzten Werk zu einer der Hauptfiguren und wiederum Titelfigur zu machen, und zwar den mysteriösen Mr. Drood aus „Das Geheimnis des Edwin Drood“, welches der Autor jedoch nicht beenden konnte, da er während der Niederschrift verstarb. Ebenso mag ich die Idee, dass der Roman aus der Sicht von Wilkie Collins in der Ich-Form erzählt wird, auch wenn ich die Ich-Form in der Regel nicht so mag. Aber es passt hier einfach zu gut, da Wilkie Collins ein enger Freund von Dickens war und mit ihm sogar gemeinsame Werke geschrieben hat. Da Collins jedoch nicht aus dem Schatten des großen Dickens heraustreten konnte – auch nach Dickens Tod nicht – ist der Neid und das mitunter sehr angespannte Verhältnis zwischen den beiden Autoren über die Ich-Form sehr gut nachvollziehbar.

Dass der Roman zudem noch in London spielt, teilweise sogar in einem mysteriösen London und in dessen Unterwelt, konnte mich zwischenzeitlich auch in die totale Euphorie versetzen denn ich mag die Stadt und all bekannten Mythen wie auch neuere Mythen aus Romanen sehr. London scheint sich da geradezu anzubieten. Gerade auch der Anfang war sehr vielversprechend. Der Stil ist sehr bilderreich, Drood äußerst unheimlich und überhaupt die ganze Stimmung eher düster und mysteriös. Das passte perfekt in einen kalten ungemütlichen Dezember. Das Kopfkino hat zu Beginn wunderbar funktioniert, die Figuren – allem voran Drood – standen quasi live und in Farbe vor mir und ich war äußerst gespannt, wieviel von dem Roman bzgl. des Lebens der beiden Autoren letztlich fiktiv oder eben real war.

Allerdings habe ich auch schnell nachempfinden können, was so manche Rezension kritisiert hat: unendlich lange Ausschweifungen zu Dickens‘ oder Collins‘ Werken, die zwar zu der egozentrischen Darstellung der Autoren passen, die aber den Lesespaß und Lesefluss unheimlich bremsen und mit der eigentliche Geschichten um Drood in keinerlei Zusammenhang zu stehen scheinen. Diese Ausschweifungen komplett wegzulassen wäre jedoch auch nicht der richtige Weg gewesen, denn die Werke gehören zu den Autoren wie auch das Zugunglück zu Dickens gehört. Aber mir waren sie viel zu lang. Außerdem erzählt Wilkie Collins die ganze Geschichte in einer etwas altertümlich anmutenden Sprache, was zwar wiederum zu der Zeit passt, aber anstrengend zu lesen ist. Vielleicht sind diese Ausschweifungen zu den Werken interessanter, wenn man diese Werke auch kennt, was für mich jedoch nicht zutrifft, denn ich kenne ja noch nicht mal die Werke – bis auf wenige Ausnahmen – von Charles Dickens so richtig, ganz zu schweigen von den Werken von Wilkie Collins. Ich hatte da z.B. eine Randfigur entdeckt, die evtl. aus seinem Werke von Collins hätte stammen können, aber wenn man diese Werke eben nicht kennt, dann versteht man auch nur den kleinsten Teil von möglichen Anmerkungen auf diese Werke. Ein Austausch zu dem Buch mit anderen Lesern z.B. über eine Leserunde hätte da bestimmt einiges gebracht. Ich kam mir zwischenzeitlich vor wie bei der Lektüre von „Lycidas“ von Christoph Marzi ,der mich auf „Das verlorene Paradies“ ebenso neugierig gemacht hat, wie Dan Simmons jetzt auf „Der Monddiamant“ von Wilkie Collins, aber vermutlich hätte ich auch hier wieder nur lesetechnische Probleme mit den Klassikern und deren Sprache.

Trotz der genannten Kritikpunkte gibt es auch einige Passagen, wo mich das Buch so richtig begeistern konnte, wobei dies hauptsächliche die Passagen rund um Mr. Drood waren oder solche Passagen, wo es generell etwas mysteriöser wurde. Da konnte ich das Buch teilweise gar nicht aus der Hand legen.

Neben dem geheimnisvollen Mr. Drood hat mir die Charakterisierung der Figuren generell ziemlich gut gefallen, auch wenn ich zu keiner der Figuren einen Bezug habe finden können, denn es ist schon mal was anderes, wenn die Hauptfiguren nicht die supersympathischen Gut-Menschen sind. Bei Dickens habe ich mir das auch gut gefallen lassen können, bei Collins finde ich die unsympathische Seite aber schon zu extrem. Ich muss Hauptfiguren nicht zwingend mögen um das Buch zu mögen, aber sie müssen ein gewisses Etwas haben und das hat Collins nicht, der ist einfach nur unsympathisch und hat mir das Buch dadurch teilweise madig gemacht.  Wobei ich ihn grundsätzlich einen interessanten Charakter finde, über den ich auch gerne noch mehr erfahren hätte, aber es sind gerade im Bezug auf seine persönliche und familiäre Situation doch noch einige Fragen offen geblieben, die ich auch im Internet nicht haben recherchieren können. Hier finde ich es schade, dass es kein Nachwort des Autors zu Wahrheit und Fiktion gibt, das hätte mich sehr interessiert.

Es ist grundsätzlich sehr schade, dass das Buch neben wenigen Höhepunkten so viele langatmige Tiefpunkte hat, denn das Buch hat in meinen Augen wesentlich mehr Potential zu bieten, als der Autor daraus geschöpft hat, denn er kann erzählen und hat eine tolle Grundidee. Mit mehr Konzentration auf die Geschichte um Drood und weniger ausschweifendes Gelaber um die Werke von Collins und Dickens hätte es ein richtig gutes Buch werden können.  Ich bereue es letztlich nicht, das Buch gelesen zu haben, denn ich war schon sehr neugierig darauf, aber ich muss nach dieser Erfahrung jetzt auch nicht zwingend ein weiteres Buch des Autors lesen, denn die Kritiken sind da nicht wesentlich besser.

Note: 3