Verlag: Hanser
erschienen: 2017
Seiten: 240
Ausgabe: Hardcover
ISBN: 3446254528
Klappentext:
Anfang 1945, Berlin steht in Flammen. Doch die UFA dreht einen Film über den Tag, an dem der Führer mit seinem Volk den Sieg feiern wird. Ein Motorrad saust durch schöne Kulissen, der Vater zeigt seinem Sohn, wofür er in Russland gekämpft hat. Noch einmal wird den Deutschen Mut gemacht, Mut im letzten Augenblick. Während der 2. Weltkrieg auf sein Ende zu tobt, spielen berühmte Schauspielerinnen und ehrgeizige Statisten, schwule Stars und diktatorische Regisseure immer weiter. Und das Schlimmste: Goebbels spielt Goebbels. Das Warten beginnt. Bernd Schroeders verblüffender Roman bringt das Lächerliche und das Grauenvolle zusammen, er spiegelt die große Katastrophe in einem grotesken Endspiel.
Rezension:
„Warten auf Goebbels“ ist mein erstes Buch von Bernd Schroeder. Der Klappentext hat mich total neugierig gemacht und der Roman dann schier umgehauen. Die Geschichte wirkt wie ein Mix aus kurzen Biographien und Theaterstück, denn die gesamte Handlung spielt sich auf kleinstem Raum während Dreharbeiten in einer Scheune ab.
Alles wirkt dermaßen real, dass ich nach dem Lesen die Namen einiger Schauspieler gegoogelt habe. Tatsächlich sind aber alle Schauspieler fiktional (sieht man mal von Erwähnungen damaliger Stars ab, die aber nicht zur Darstellerriege gehören). Ich konnte es ehrlich gesagt kaum glauben, was vermutlich an den eingestreuten Biographien der Figuren und den Einschüben über Goebbels liegt. Goebbels Werdegang, Rede, Texte, etc. sind historisch belegt und so hält man eben auch alles andere für existent.
Mich ließ die Geschichte jedoch einfach nicht los und so bin ich dann nach etwas Recherche auf den letzten unvollendeten Propagandafilm „Das Leben geht weiter“ gestoßen, der offensichtlich Pate für Schroeders Roman stand. Auch dieser Film basierte auf einer Idee von Goebbels himself. Es gibt viele weitere Parallelen zur Handlung. Wer sich dafür interessiert, sollte nach dem Lesen des Romans den betreffenden Wikipedia-Beitrag lesen. Aber keinesfalls vorher!
Schroeder schreibt in kurzen Kapiteln (oft nur 1-3 Seiten lang) und knapper, manchmal fast lakonischer Sprache. Wobei letzteres gar nicht notwendig ist, denn die Handlung ist absurd genug, auch wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Das Festhalten an einen Endsieg ist 1945 gleichzusetzen mit der Verleugnung der Realität. Das wissen auch die Schauspieler, auch wenn sie anfangs noch so tun, als wäre das alles sinnvoll, was sie da tun. Doch nach und nach bricht dieses Szenario immer mehr in sich zusammen. Einige von ihnen können die Illusion kaum aufrecht erhalten und möchten am liebsten ausbrechen. Auf der anderen Seite ist allen klar, dass dieser Film ihr Leben rettet, denn so muss keiner von ihnen an die Front und sein Leben in einem aussichtslosen Kampf riskieren.
Die Figuren bekommen durch die eingeschobenen kurzen Biographien etwas wahrhaftiges. Für den ein oder anderen hegt man sogar Sympathien, auch wenn die Oberflächlichkeit eines Drehs in diesen Zeiten so fehl am Platze wirkt, wie man es sich nur vorstellen kann. Während andere gerade ihr Leben im Krieg verlieren, verfolgt und ermordet werden, haben einige Schauspieler noch immer nur ihre Eitelkeiten im Sinn. Andere jedoch fangen immer mehr an, ihr Tun und ihr Leben zu hinterfragen.
Trotz des Ernstes der Lage, gibt es natürlich Zickereien und Animositäten am Set. Übergroße Egos, gescheiterte Liebschaften, Zweckehen, etc. – alles findet man in der kleinen Scheune in Altenburg wieder. Geschickt wechselt Bernd Schroeder dabei zwischen Realszenen und Szenen des Films, die so absurd wirken, dass man es kaum glauben kann. Die kurzen Kapitel und stetigen Wechsel führen auch dazu, sich nicht zu wohl im Jahrmarkt der Eitelkeiten zu fühlen. Spätestens, wenn Schroeder mal wieder eine Anekdote zu Goebbels kundtut, wird man schmerzvoll auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Der Krieg geht dem Ende entgegen und letztlich ist diese kleine Riege an Darstellern, Regisseuren, Drehbuchschreibern, Näherinnen, etc. auch nur ein Querschnitt von Menschen, die, wenn schon nicht mit dem Nationalsozialismus offen sympathisiert, doch letztlich feige weggeschaut haben. Und dennoch wirken die meisten nicht wie Ungeheuer oder Feiglinge und man kommt nicht umhin sich zu fragen, wie man sich wohl selbst entschieden hätte.
Nur 240 Seiten braucht Bernd Schroeder für dieses eindrückliche kleine Buch, welches Schuld, Wahnsinn und die Gräuel einer emotional kaum fassbaren Epoche hinter einem Kammerspiel der Absurditäten versteckt. Ein Buch, welches ich gar nicht genug empfehlen kann!
Note: 1