Mayer, Gina: Das Maikäfermädchen

Verlag: Rütten & Loening
erschienen:
2012
Seiten:
368
Ausgabe:
Broschur
ISBN:
3352008434

Klappentext:

Sommer 1945. Deutschland liegt in Trümmern, von Düsseldorf sind nur noch Ruinen übrig. Die Hebamme Käthe Mertens leidet unter der Trennung von ihrem Mann Wolf, der im Krieg verschollen ist. Eines Nachts taucht eine junge Frau bei ihr auf. Ingrid ist schwanger und völlig verstört. Sie will Käthe nicht sagen, wer der Vater ihres Kindes ist, sondern summt immer nur die Melodie von „Maikäfer flieg“. Käthe zögert nicht lange, sie hilft Ingrid, indem sie in einer halb zerstörten Arztpraxis eine Abtreibung vornimmt. Ingrid verschwindet nach dem Eingriff spurlos, aber wenige Wochen später erscheint ein anderes junges Mädchen bei Käthe, das ebenfalls schwanger ist. Zusammen mit ihrer Freundin Lilo beschließt Käthe, bedrängten Frauen zu helfen – trotz der Gefahr, als „Engelmacherin“ im Gefängnis zu landen. Dann taucht Ingrid wieder auf, erneut schwanger, und beginnt Käthe zu erpressen.

Rezension:

Gina Mayers Roman um eine Hebamme unmittelbar nach Kriegsende ist ein bewegendes Stück fiktionale Zeitgeschichte. Der Klappentext ist leider etwas irreführend, denn Ingrids Erpressung findet erst recht spät im Buch statt und ist keineswegs so wichtig, wie es scheint. Viel mehr geht es um das Leben der Düsseldorfer (wobei man dies wohl auf jede andere Großstadt anwenden könnte) direkt nach Kriegsende.

Mit einer sehr knappen, fast spröden Sprache schildert Mayer das Leid der Bevölkerung. Mit Käthe erleben wir Hunger, Not, Verzweiflung, Einsamkeit und den stetigen Kampf ums Überleben. Die Autorin schafft das ohne jeglichen Pathos und ohne Dramatisierung. Sie schildert die Dinge sehr sachlich, aber keineswegs emotionslos. Vielmehr sind die Emotionen aufgrund der Handlung erlebbar und nicht, weil die Autorin andauernd unnötig auf die Tränendrüse drückt. Ja, die Zeit damals war schrecklich und einige Szenen (Abtreibung, etc.) sind harter Tobak, aber sie sind für sich genommen beeindruckend genug und müssen nicht sprachlich zugebuttert werden.

In Bezug auf die durchgeführten Abtreibungen ist das Buch sicherlich nicht für jeden geeignet. Besonders die erste Abtreibung ist sehr schonungslos beschrieben, aber sie zeigt auch überdeutlich die Lage der Protagonisten. Zum einen der jeweils Schwangeren, die in der damaligen Zeit keine Möglichkeit gesehen haben, ihr Kind durchzubringen und natürlich auch Käthe, die ihr Tun zutiefst verabscheut und sich  mit moralischen Fragen bis zum Ende des Buches quält. Im späteren Verlauf gibt es auch Frauen, die ihre Kinder ohne jegliche Gewissenbisse oder trifftige Gründe abtreiben lassen. Gerade diese Vielfalt an Einzelschicksalen, macht das Buch so realistisch. Die Autorin ergreift keine Partei für oder gegen Abtreibung und so bleibt es dem Leser überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Wie gesagt, die erste Abtreibung wird sehr anschaulich geschildert und auch später gibt es immer wieder Details, bei denen zartbesaitete Leser das Kopfkino lieber schleunigst ausstellen sollten. Allerdings werden diese Szenen nicht aus Voyeurismus geschildert, sondern weil sie das Leben und das Elend der Nachkriegszeit nun mal auf anschaulichste Art und Weise darlegen. Gerade in Bezug auf Hildes Mann gibt es am Ende des Buches einige Szenen, die mir die Tränen in die Augen getrieben haben. Zu was Menschen fähig sind, lässt mich sprachlos zurück.

Tatsächlich können wir alle über diese Zeit lesen, uns Filme anschauen, aber letztlich waren wir (Gott sei Dank) nicht dabei und können nur bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, was es bedeutetet hat, im 2. Weltkrieg und im Nationalsozialismus zu leben. Gerade in Bezug auf wieder erwachendes rechtes Gedankengut, Diskussionen um vielleicht rechtsradikale Musikgruppen oder Unterwanderungen in Fußballstadien, würde ich mir wünschen, man würde vor allen Dingen Jugendlichen mal so einen Roman wie „Das Maikäfermädchen“ in die Hände drücken, anstatt sie nur (!!) mit versachlichten Texten zu unterrichten. Möchte man Menschen auch gefühlsmäßig erreichen, gelingt das vielleicht besser, denn wenn Geschichte erlebbar ist, dann empfinden wir es vielleicht nicht mehr nur als abstraktes Vergangenheitsbild, das nichts mit uns zu tun hat.

Gina Mayer hat sich mit einem Buch direkt in meine Liste der Lieblingsautoren geschrieben und ich freue mich schon auf „Zitronen im Mondschein“ und „Das Lied meiner Schwester“.

Note: 1

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