Teege, Jennifer: Amon – Mein Großvater hätte mich erschossen

Verlag: Rowohlt
erschienen:
2013
Seiten:
272
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3498064932

Klappentext:

Es ist ein Schock, der ihr ganzes Selbstverständnis erschüttert: Mit 38 Jahren erfährt Jennifer Teege durch einen Zufall, wer sie ist. In einer Bibliothek findet sie ein Buch über ihre Mutter und ihren Großvater Amon Göth. Millionen Menschen kennen Göths Geschichte. In Steven Spielbergs Film «Schindlers Liste» ist der brutale KZ-Kommandant der Saufkumpan und Gegenspieler des Judenretters Oskar Schindler. Göth war verantwortlich für den Tod tausender Menschen und wurde 1946 gehängt. Seine Lebensgefährtin Ruth Irene, Jennifer Teeges geliebte Großmutter, begeht 1983 Selbstmord. Jennifer Teege ist die Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers. Sie wurde bei Adoptiveltern groß und hat danach in Israel studiert.

Jetzt ist sie mit einem Familiengeheimnis konfrontiert, das sie nicht mehr ruhen lässt. Wie kann sie ihren jüdischen Freunden noch unter die Augen treten? Und was soll sie ihren eigenen Kindern erzählen? Jennifer Teege beschäftigt sich intensiv mit der Vergangenheit. Sie trifft ihre Mutter wieder, die sie viele Jahre nicht gesehen hat. Gemeinsam mit der Journalistin Nikola Sellmair recherchiert sie ihre Familiengeschichte, sucht die Orte der Vergangenheit noch einmal auf, reist nach Israel und nach Polen. Schritt für Schritt wird aus dem Schock über die Abgründe der eigenen Familie die Geschichte einer Befreiung.

Rezension:

Manchmal hat es große Vorteile in einem Buchladen zu arbeiten. Eines Abends kurz vor Ladenschluss (damals stand das Buch noch nicht auf der Bestsellerliste), zog es mich irgendwie hin und ich habe die ersten Seiten angelesen. . Ich bin keine große Fernsehschauerin und habe deswegen keine der Talkshow-Auftritte der Autorin mitbekommen. Von daher war sie mir als Person und auch ihre Geschichte vollkommen unbekannt. Am nächsten Tag habe ich das Buch dann gekauft und es nicht bereut.

Mit Autobiographien ist das ja oft so eine Sache. Oft sind sie inhaltlich interessant, weil sie Außergewöhnliches erzählen (sieht man mal von Autobiographien von Stars und Sternchen ab, die nur zur Selbstbeweihräucherungszwecken oder für Publicity veröffentlicht werden), aber leider stilitisch nicht besonders gehaltvoll. Denn nicht jeder, der etwas zu erzählen hat, ist ein guter Autor. Bei Jennifer Teege ist dies glücklicherweise der Fall.

Ihre Geschichte ist natürlich im ersten Augenblick schockierend. Der Gedanke durch Zufall zu erfahren, dass sein Großvater ein Sadist und Verbrecher gewesen ist, dürfte niemanden kalt lassen, aber es ist besonders Jennifers Eindringlichkeit und ihre Offenheit uns an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben zu lassen, die dieses Buch so außergewöhnlich macht.

Zwischendurch gibt es immer wieder Einschübe der Co-Autorin und Journalistin Nikola Sellmair, die dem Leser nötige Hintergrundinformationen zu den historischen Gegebenheiten und Persönlichkeiten liefert. Wer z.B. Amon Göth nur aus „Schindlers Liste“ kennt und sich nicht mit seiner Biographie auskennt, wird wichtige Details erfahren, die Jennifers Geschichte tiefer wirken lassen. Einige Leser werden diese Einschübe vielleicht als störend empfinden, weil sie den Lesefluss unterbrechen. Ich halte die Informationen aber als zu wichtig und habe es zudem als angenehm gefunden, zwischendurch mal etwas Luft holen zu können, denn es ist auf jeden Fall etwas anderes, ob man etwas nüchtern und sachlich vermittelt bekommt, oder dabei zusehen muss, wie jemand wirklich betroffen ist.

Der Holocaust ist und wird wohl immer in Deutschland ein großes Thema sein und immer wieder gibt es Diskussionen darüber, ob unsere Generation überhaupt noch etwas damit zu tun hat und sich verantwortlich fühlen sollte. Diese Frage ist jedoch unglaublich schwer zu beantworten, wenn man ein Nachkomme einer der Täter war. Jennifer Teege macht auf verschiedene Arten deutlich, wie in der Nachkriegsgeneration mit der Schuld umgegangen wurde. Gerade wie ihre Großmutter die Sache mehr oder weniger verdrängt oder gar verneint hat, ist erschreckend. Die Frage ist auch, in wie vielen Familien es Täter gegeben hat und dies totgewschwiegen wurde, so dass heute die Familien gar nicht genau wissen, welche Vergangenheit sie haben.

Jennifer selbst hatte ohnehin eine schwere Kindheit (Kinderheim, Adoption, etc.), aber auch immer das Gefühl, dass es da etwas gibt, was sie nicht fassen kann. Ob daher auch ihre Depressionen stammen, wird zwar nicht explizit gesagt, aber angedeutet. Wenn man berücksichtigt, welche Entwicklung Jennifer im Laufe des Buches durch macht und wie sie ihre Vergangenheit aufarbeitet, liegt jedoch der Gedanke nahe, dass daran etwas wahres dran ist. Es lässt sich immer leicht sagen, dass man mit den Geschehnissen von damals nichts zu tun hat, aber wenn man selbst betroffen ist, ist es wohl mit dem „das hat mit mir doch nichts mehr zu tun“ vorbei. 

Für mich war es auch faszinierend, wie stark diese Dinge Jennifers Leben beeinflusst haben, bevor sie überhaupt etwas davon wusste. Das Schweigen und die Lügen um sie herum, haben sie nachhaltig geprägt und sie Selbstbewusstsein und Gesundheit gekostet. Letztlich enthält dieses Buch trotz allem auch sehr viel Mut und Hoffnung, denn wie Jennifer diese Dinge verarbeitet und gestärkt daraus hervor geht, ist aller Ehren wert.

Note: 1