Gerade habe ich für den Bücherkisten-Instagram-Feed meine aktuelle Lektüre für die Nachwelt festgehalten und während ich so die Bücher neben dem Laptop drapierte und das Handy mit der Instagram-App zückte, fiel mein Blick zurück auf den Stapel, ich ließ das Handy sinken und fragte mich laut: „Darf dat überhaupt?“
Gemeint ist, darf ich Kurzgeschichten von Hilary Mantel lesen oder einen feministischen Frauenroman einer Türkin und gleichzeitig aber einen Young Adult Roman aus dem Carlsen Verlag? Darf ich schottische Hochländer anschmachten und mit David Copperfield durch die Straßen schlendern, wärend auf dem Nachttisch Cormoran Strike seinen ersten Fall löst? Darf ich eine Autorin lesen, die (oh Gott oh Gott) gar keinen Verlag hat und sich selbst verlegt, während ich in der Mittagspause die neueste Manesse Ausgabe von „Washington Square“ aus meinem Rucksack nehme? Darf ich einen christlichen Familienroman auf den neuesten Crossfire Band von Sylvia Day legen oder gibt es dann Blitz und Donner?
Ich denke seit einigen Wochen über die Ausrichtung meines Blogs nach. Die letzten zwei Jahre bin ich auch aufgrund einiger privater Stürme nicht so wirklich dazu gekommen, die Bücherkiste zu füttern. Aber gerade in den letzten zwei Jahren hat sich auch unglaublich viel in der Bloggerszene getan. Die Bücherkiste hat vor 15 Jahren (ich bin alt….) als Rezensionsseite angefangen. Damals gab es noch keine Blogs. Damals gab es kein Facebook. Herrgott… damals gab es Handys, wo man die Antenne rausziehen musste und wenn man sich ins Internet einwählen wollte, konnte man sich einen Kaffee kochen, bis das Modem mit seinen merkwürdigen Geräuschen fertig war.
Irgendwann bin ich dann jedoch zu wordpress gewechselt. Allerdings nur aus praktischen Gründen, weil ich von nun an von überall auf der Welt meine Seite bearbeiten konnte. Der Look einer Rezensionsseite blieb, bis ich mich letztes Jahr für ein neues Layout entschied und die für mich richtige Mischung aus Rezensionsseite und Blog fand.
Die ersten knapp drei Wochen des neuen Jahres habe ich so intensiv an der Bücherkiste gewerkelt, wie seit einer Ewigkeit nicht mehr. Rezensionen geschrieben, Instagram Account eingerichtet, Graphiken erstellt, Ideen gesammelt, Layout weiter verfeinert und viel gelesen. Weil ohne Bücher lesen, kein Inhalt für das Literaturblog. ;-) Und dann habe ich mich in der Bloggerwelt umgesehen und neben ein paar Highlights, auch vieles entdeckt, was mich zum Nachdenken gebracht hat.
Gefühlt gibt es zwei verschiedene Arten von Blogs. Die stylischen minimalistischen und aufgeräumten Blogs, die in der Regel zeitgenössische Belletristik besprechen und die meist etwas bunteren und überladeneren Blogs, die naja… alles andere besprechen. Vornehmlich Fantasy, Jugendbücher und Liebesromane sämtlicher Spielarten. Vermischungen gibt es da selten. Und ich frage mich, wieso ist das so?
Wieso ist man ein literarischer Snob, wenn man lieber Gordimer als Kinsella liest und wieso ist man doof, wenn man die umgekehrte Reihenfolge bevorzugt? Und wieso geht nicht Beides? Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Kommilitonin, mit der ich gemeinsam Literaturwissenschaften in Bochum studierte. Wir kannten uns noch nicht lange und sie fragte mich nach einem Seminar, was ich denn privat lesen würde. Ich nannte ihr dann ein paar Autoren und Titel und sie schaute mich an und meinte, dann liest Du also nur U- und gar keine E-Literatur. Ja, sie hatte offensichtlich das Einführungsbuch in die Literaturwissenschaften unseres Professors auswendig gelernt. Das „U“ steht hier für Unterhaltung und das „E“ für Ernsthaftigkeit. Damals mit 19 Jahren, habe ich glaube ich nur schulterzuckend gelächelt und nichts gesagt. Heute würde ich wohl mit einem aufmüpfigen „weder noch“ antworten, denn tatsächlich sind mir sämtliche Schubladen und Etikettierungen vollkommen egal.
Ich lese ein Buch aus vielen Gründen. Weil es von meinem Lieblingsautor ist. Weil der Klappentext spannend klingt. Weil das Cover wunderschön ist. Weil der Titel sperrig ist und mich irgendwie anspricht. Weil der Verlag in der Vorschau die richtigen Worte gefunden hat. Weil ich mich nach einer Leseprobe in eine Figur, die Handlung oder die Sprache verliebt habe (oder sogar in alles gleichzeitig). Weil ich es geschenkt bekommen habe. Weil es mir jemand empfohlen hat. Weil es ein Bestseller ist. Weil es kein Bestseller ist. Weil grad nix anderes da ist.
Die Quintessenz ist, irgendwas hat mich an dem Ding mit den vielen Seiten gepackt und es ist mir total egal, ob Elke Heidenreich sagt, ich darf keine Fantasyromane lesen, weil das blöder Schund ist. Es ist mir vollkommen egal, dass manche Leute glauben, man dürfe keine Nackenbeißer lesen. In der Öffentlichkeit schon mal gar nicht! Und es ist mir egal, wenn man als wunderlich gilt, weil man sechs Ausgaben von „Feuer und Stein“ von Diana Gabaldon und fünf Ausgaben von „Vom Winde verweht“ besitzt und in der Vitrine anstatt Weingläser Tolkien-Prachtausgaben mehreren Sprachen stehen. Es ist mir egal, dass ich nach 20 Seiten „Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann“, schon 10 Sätze rausgeschrieben haben, weil sie so unglaublich schön sind, dass man vor Freude Purzelbäume schlagen möchte.
Natürlich verändert sich in einem langen Leseleben der Geschmack.Wenn man vieles schon mal gelesen hat, braucht es manchmal etwas mehr um noch zu begeistern. Ich persönlich habe zudem noch immer Phasen, in denen ich ein Genre bevorzuge, aber grundsätzlich weiß ich mittlerweile eine schöne Sprache besser zu würdigen, als vor zwanzig Jahren, wo es mir vielleicht doch fast ausschließlich um eine gute und schlüssige Handlung ging
Doch die Frage bleibt, was will man auf seinem Blog. Kann man mehr oder weniger alles besprechen oder ist man gesichtslos und beliebig, wenn man keine Auswahl trifft. Davon mal ganz abgesehen, dass keiner alles lesen kann – jedenfalls nicht so lange „Gilmore Girls“ gucken und Bücher lesen kein anerkannter und gut bezahlter Beruf ist und selbst dann, wird es zeitlich knapp jedes Jahr mehrere tausend Neuerscheinungen zu lesen. :mrgreen:
Aber wie gesagt, wie gibt man dem eigenen Literaturblog ein Gesicht in einer Bloggerwelt, in der es fast nur schwarz und weiß zu geben scheint. Die Antwort ist offensichtlich. Einfach wie in vielen anderen Lebenslagen, dem Bauchgefühl vertrauen. Die Bücherkiste ist vielleicht nicht ganz so hipp und cool und auch nicht so niedlich und bunt, aber das ist wohl auch so ganz richtig, wenn die Bloggerin all das auch irgendwie nicht ist. ;-)
Klischees zu bemühen, finde ich von jeher langweilig. Ich verfolge seit längerer Zeit das Fashion- und Reiseblog Josie Loves von Sarah Eichhorn. Normalerweise finde ich Fashionblogs unglaublich öde. Entweder es sind Kindergarten-Blogs, wo jeden Tag der billige Kram von H&M und Primark abfotographiert wird oder die Bloggerinnen spielen sich wie Supermodels auf, was sie teilweise sogar tatsächlich sind. Chiara Ferragni hat zum Beispiel über 3 Millionen Follower auf Instagram und ist mit ihrem Blog zur Millionärin geworden und arbeitet sogar mittlerweile als Designerin. Nun haben Mode und Beautyblogs noch andere Vermarktungsmöglichkeiten, aber auch davon abgesehen ist dieses Beispiel so fernab jeder für uns Bücherblogger erreichbaren Realität. Trotzdem gefällt mir z.B. an Sarahs Blog etwas, was viele andere Modeblogs eben nicht haben und das ist Persönlichkeit. Ihre Texte strahlen Warmherzigkeit aus und trotz des Modethemas ist sie auf dem Boden geblieben und scheut sich nicht auch unbequeme Wahrheiten über Magerwahn, Oberflächlichkeit der Branche, etc. auszusprechen. Auch das Layout ihres Blogs ist vollkommen untypisch. Ein bisschen verspielt und fernab der hippen Coolness, die ernstzunehmende Modeblogs ansonsten umweht.
Warum nun dieses ausufernde Beispiel? Um zu zeigen, dass es geht. Man kann sein eigenes Ding machen und es scheint sogar anderen Leuten zu gefallen. Immerhin bestreitet Sarah von ihrem Blog ihren Lebensunterhalt. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen diesem Beispiel folgen würden. Egal über welches Thema ihr bloggt, traut Euch, Euch von den Klischees der Bloggerszene zu befreien. Ihr müsst nicht mit Nerdbrille und zufällig ins Gesicht fallendem Pony rumlaufen.Wenn ihr das wollt, könnt ihr das natürlich. Es ist auch nicht wichtig, ob man mehr Facebook-Follower hat, als das Blog XY. Wer sich treu bleibt und interessanten Content schreibt, wird sich auf Dauer ohnehin durchsetzen, seine Nische und auch seine Leser finden. Gerade in der heutigen Welt – bleibt Euch treu. Seid ihr selbst!
Und nun geh ich ich einen weiteren Satz in Ece Temelkurans Buch markieren. Wundervoller Roman!