Catton, Eleanor: Die Gestirne

Originaltitel: The Luminaries
Verlag:
btb
erschienen:
2015
Seiten:
1040
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3442754798
Übersetzung:
Melanie Walz

Klappentext:

In einer Hafenstadt an der wilden Westküste Neuseelands gibt es ein Geheimnis. Und zwei Liebende, die einander umkreisen wie Sonne und Mond.

Als der Schotte Walter Moody im Jahr 1866 nach schwerer Überfahrt nachts in der Hafenstadt Hokitika anlandet, trifft er im Rauchzimmer des örtlichen Hotels auf eine Versammlung von zwölf Männern, die eine Serie ungelöster Verbrechen verhandeln. Und schon bald wird Moody hineingezogen in die rätselhaften Verstrickungen der kleinen Goldgräbergemeinde, in das schicksalhafte Netz, das so mysteriös ist wie der Nachthimmel selbst.

Rezension:

Eleanor Catton hat es anscheinend nicht so mit schnödem Durchschnitt. Nein, es müssen schon ein paar Superlative sein, denn „Die Gestirne“ ist nicht nur der dickste Roman, der je den Man Booker Prize gewonnen hat, sondern seine Autorin ist zudem die jüngste Preisträgerin aller Zeiten.

Ich wusste natürlich, dass der Roman über tausend Seiten hat, aber als ich den riesenhaften Postkarton öffnete und darin nur ein einziges Buch fand, welches für Größe und Gewicht der Sendung verantwortlich war, habe ich doch erstmal geschluckt.

Aber ich kann Euch nur empfehlen, lasst Euch davon nicht beeindrucken und gebt dem Buch vor allen Dingen ein bisschen Zeit. Hat man sich erstmal auf die Vielzahl von Figuren und die Handlung eingelassen, wird man förmlich in das Buch hineingesaugt. Besonders wer die großen Autoren des 19. Jahrhunderts mag, wird an „Die Gestirne“ seine Freude haben.

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Wer z.B. Dickens mag, mag auch Catton? Es ist vielleicht zu einfach das Buch darauf herunterzubrechen, aber ein bisschen etwas Wahres ist dran. Die Neuseeländerin erzählt elegisch, ausschweifend und macht sich dabei einen allwissenden Erzähler zunutze. Sie macht aus Kleinigkeiten oder kleinen Gesten eine seitenlange Beschreibung und Himmel, ich habe jede einzelne Zeile davon genossen.

Die detaillierte Handlung ist in zwölf Kapitel unterteilt, analog zu den zwölf Protagonisten und den zwölf Tierkreiszeichen. Übrigens, keine Angst, man muss keine Astrologin sein. Man muss nicht mal Interesse an Astrologie haben, um den Roman zu lieben und um Cattons Komposition zu verstehen.

Tatsächlich passiert in „Die Gestirne“ nichts zufällig. Alles hat eine Bedeutung, alles hängt irgendwie zusammen, auch wenn sich vieles erst nach und nach offenbart. Tatsächlich scheint es die Protagonisten unabsichtlich in die Hafenstadt Hokitika verschlagen zu haben, aber im Laufe der Zeit wird deutlich, sie alle sind in die Vorgänge, in einen Mord, verstrickt. Es ist Schicksal, es sind die Gestirne, denen sich die Handlung beugt und das ist dermaßen faszinierend, dass ich einige Male staunend innegehalten habe, um dann jedoch aufgrund der Spannung wieder schnell meine Nase in das Buch zu stecken.

Denn neben der Idee mit der Astrologie, dem historisch perfekt recherchierten Hintergrund und der lebhaften Fabulierkunst, ist „Die Gestirne“ besonders eins: spannend! Alle zwölf Figuren haben einen anderen Blickwinkel auf das Geschehen. Gute Menschen entpuppen sich als böse, je nachdem, wer gerade seine Geschichte erzählen darf. So entwickeln sich automatisch facettenreiche Figuren, die einen bis zur letzten Seite überraschen.

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Auch optisch ist das Buch ein Highlight. Das minimalistische elegante Cover deutet das Thema des Romans behutsam an und im Inneren gibt es zu jedem Teil astrologische Karten. Übrigens ist die Handlung mit den tatsächlichen Bewegungen der Gestirne im Jahr 1866 verknüpft. Die Autorin (und nun wohl auch die Übersetzerin) dürfte nun mehr über Planeten- und Sternenkonstellationen wissen, als jeder andere auf diesem Planeten.

Trotzdem bleibt es in manchen Dingen verborgen, wie Catton die Ereignisse ihres Romans mit diesen Bewegungen verknüpft hat und das ist auch gut so, denn es unterstreicht den geheimnisvollen Touch. Ohnehin sind es aber natürlich die immerwährend existentiellen Themen wie Liebe, Tod, Hoffnung und Schmerz, die Priester, Huren, Goldschürfer und jede Menge anderer Figuren umtreibt.

Es ist ein unglaubliches Vergnügen mit all diesen Menschen einen Mord zu lösen, das Leben und das Schicksal zu entschlüsseln und dabei ganz tief einzutauchen in eine vergangene Welt, die Eleanor Catton auf eine Weise zum Leben erweckt, wie es noch niemand vor ihr versucht hat.

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Ich musste das Buch erstmal ein bis zwei Wochen sacken lassen, um mit dem nötigen Abstand eine Rezension schreiben zu können. Eleanor Catton ist eine großartige Erzählerin. Eine dieser englischsprachigen Autoren, die sich nicht darum scheren, ob sie der Norm der literarischen Elite entsprechen. Eine dieser englischsprachigen Autoren, die einfach eine verdammt gute Geschichte erzählen wollen und genau dies tun. Einer dieser englischsprachigen Autoren, die vielleicht gerade deswegen Herz und Hirn auf kongeniale Art und Weise verbinden und beides gleichermaßen befriedigen.

Sie sagt selbst, sie habe einfach nur einen spannenden historischen Krimi schreiben wollen, bei dem die Seiten nur so dahin fliegen. Das hat sie geschafft und für den Booker Prize hat es trotzdem gereicht!

Note: 1+ (Lesebefehl!)

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  • Hallo Steffi,
    Ich habe das Buch heute ausgelesen und habe eher gemischte Gefühle.
    Einerseits bin ich fasziniert von der Komplexität des Werkes, andererseits habe ich nach dem kurzgefassten Ende das Gefühl, nicht auf alle Fragen eine Antwort bekommen zu haben, irgendwas überlesen oder nicht ganz verstanden zu haben. Vor allem den astrologischen Bezug habe ich für mich nur teilweise entschlüsseln können.
    Ich weiß nicht inwieweit wir hier den Inhalt des Buches besprechen können, aber ich habe irgendwie das Bedürfnis das Buch und die Vorgänge darin besprechen zu wollen.

    Viele Grüße
    Kate

    • Hallo Kate!

      Ich glaube, man muss sich etwas davon lösen, alle astrologischen Bezüge zu verstehen, geschweige denn sie überhaupt zu finden! :-) Manchmal war das für mich in dem Buch ganz eindeutig, was sie meint, und manchmal wieder nicht. Ich habe mich aber nicht daran festgehalten, weil – für mich – das Buch dann trotzdem funktioniert hat.

      Das Ende, habe ich im Vergleich zum Rest auch als etwas kurz und offen empfunden (ich würde eine Fortsetzung mit Kusshand nehmen), aber die Kapitel werden ja am Ende ohnehin immer kürzer – im Bezug zur Astrologie, von daher passte es wieder. Und ja, nicht alle Fragen werden beantwortet. Den Eindruck hatte ich auch.

      Liebe Grüße,
      Steffi

      • Hallo Steffi,
        Danke für deine Rückmeldung. Beim Lesen schien es mir, als müsste man die astrologischen Bezüge durchdringen, um einige Vorgänge in der Handlung zu verstehen.

        Deine Antwort beruhigt mich schon etwas, nichtsdestotrotz frage ich genauer nach, um sicher zu sein mich nicht völlig auf den Holzweg zu befinden.
        Alle die das Buch noch nicht gelesen haben und es lesen möchten sollten jetzt nicht weiterlesen ;-)

        Die Vorgänge des 14. Januar 1866, die im letzten Kapilet kurz dargestellt werden, zeigen, was die Protagonisten, welche die Autorin als Planeten bezeichnet, getan haben. Wie kam Emery Stains beispielsweise in die Kiste auf das Schiff von Carver? Ist Cosbie Wells durch die Hand Carvers gestorben (bin davon ausgegangen, aber das Ende hat mich dann wieder verwirrt)? Wieso ist der Gefängnisdirektor ebenfalls ein Planet? Ich habe ihn im Roman eher als Nebenfigur empfunden und für die Handlung nicht von großer Wichtigkeit. Und meine letzte Frage, ist Lydia Wells die „magische“ Drahtzieherin hinter dem Geschehen? Denn anders kann ich die letzen Sätze über sie nicht erklären.
        Ich hoffe meine Fragerei strengt nicht zu sehr an :-)

        Liebe Grüße
        Kate

        • Hallo Kate!

          Also ich habe das so verstanden, dass Tauwhare Carver umgebracht hat (während des Transports ins Gefängnis), wobei die Sache mit dem Laudanum und Cosbie auch komisch war. Ich glaube die Autorin lässt da mit Absicht Interpretationsspielraum.

          Ich hab mal gegoogelt, was andere Leute so dazu sagen und fand diese Goodreads-Gruppe ganz interessant:
          https://www.goodreads.com/topic/list_book/17333230-the-luminaries

          Die Sache mit der Kiste, kann ich jetzt auch spontan nicht erklären. Das ist beim Lesen irgendwie an mir vorbei.

          Ob Lydia die Drahtzieherin ist, lässt sich wohl ebenfalls nicht abschließend erklären. Ich habe sie wie Du, aber als extrem wichtige Person empfunden, bei der vieles zusammengeht.

          Insgesamt glaube ich, das Buch wäre perfekt für eine Leserunde und man
          muss es vielleicht 2-3 Mal lesen, um alle Feinheiten zu finden bzw. zu verstehen.

          Liebe Grüße,
          Steffi

          • Hallo Steffi,

            Das Tauwhare Carvers Mörder ist habe ich ebenfalls erschließen können. Dann ist wahrscheinlich das Ende gewollt offen gestaltet, sodass viel Interpretationsspielraum für den Leser entsteht, ideal für eine Lesegruppe, da kann ich dir nur zustimmen.

            Dank deinem Link habe ich diese plausible Antwort auf die Frage gefunden, wie Staines auf Carvers Schiff kam:

            Does this seem right regarding how Staines ended up on board in the crate on the Godspeed: On 1/14 he spends the night with Anna. On 1/15, Anna wakes up and is upset, thinking he can’t love her, so she takes opium. Since Staines is her astral twin, he feels the effects of the opium, falls, hits his head on Gibson Quay and collapses into Lauderback’s open shipping crate left there by the dockside crew, who, without seeing him, nail up the crate in the dark. He spends two weeks living in the crate sustained by Anna (who had collapsed in the street when Staines hit his head). 1/27 he is found by Moody in the crate. Just at that moment, Anna fires her gun into her breast, which instead injures Staines, though he is far away. Then the ship sinks and he washes up on shore. Anna sustains him during his time in the wilderness, getting thinner and thinner.

            Jedenfalls bin ich beruhigt, dass es mir wie vielen anderen Lesern geht :-)

            Viele Grüße
            Kate