Bannan, Sarah: Die Neue

Originaltitel: Weightless
Verlag:
Droemer
erschienen:
2015
Seiten:
368
Ausgabe:
Klappenbroschur
ISBN:
3426304244
Übersetzung:
Werner Löcher-Lawrence

Klappentext:

Als Carolyn Lessing neu an die Adam’s High kommt, sind zunächst alle angetan. Die Lehrer von ihrer Intelligenz, die Mädchen von ihrem Stil und die Jungs von ihrer Schönheit. Doch dann verliebt sie sich in den falschen Jungen, und dessen Ex-Freundin startet über Facebook eine fiese Hetzkampagne. Nach und nach kippt die Stimmung, bis die öffentliche Demütigung aus dem Ruder läuft und in einer Katastrophe mündet, nach der nichts mehr so ist wie es war.

Rezension:

Ich gestehe, nach den ersten zwanzig Seiten, war ich erstmal verwirrt, denn „Die Neue“ ist sehr ungewöhnlich geschrieben. Anstatt einer Ich-Erzählerin oder einem neutralen Erzähler, ist der Roman in der „Wir-Form“ geschrieben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich so was noch nie gelesen habe.

Dennoch ist die Erzählform rückblickend die einzige, die wirklich Sinn macht, denn wir alle sind kollektiv Täter und deswegen hat es mich persönlich auch nicht gestört, dass gar nicht näher erläutert wird, wer genau „wir“ überhaupt ist. Hinter „wir“ stecken keine bestimmten Gesichter, sondern eigentlich der versammelte Figurenstab des Romans.

Darauf muss man sich zweifellos einlassen und es führt anfangs dazu, dass man etwas konzentrierer lesen muss, als man es vielleicht erwarten würde, aber wie so oft bei ungewöhnlich konzipierten Büchern, lohnt sich die Arbeit. Zumal man wie oben erwähnt, das Gefühl hat, direkt dabei zu sein und somit eine Mitschuld an dem Geschehen trägt. Die Geschichte wird in Rückblenden erzählt und eigentlich ist von Anfang klar, wie es mit Carolyn enden wird. Doch in „Die Neue“ geht es gar nicht um das Ende, sondern um den Weg dorthin.

Immer wieder gibt es Möglichkeit, wo man hätte einschreiten, wo die Geschichte hätte anders abbiegen können und doch laufen alle wie hypnotisiert ins Verderben. Neid und Eifersucht verselbständigen sich, bis anscheinend niemand mehr aus dem Kreislauf von Intrigen und Lügen aussteigen kann. Sehr eindrücklich gelingt es der Autorin hier aufzuzeigen, wie schnell so etwas aus dem Ruder läuft.

Trotz des vorhersehbaren Endes, welches ich aber nicht als negativ bewerten würde, gelingt es Bannan dennoch einige Überraschungen in ihren Roman einzubauen, was sicherlich auch an der geheimnisvollen Carolyn liegt, die ich nie richtig einschätzen konnte. Im Gegensatz zu ihr wirken alle anderen fast ein wenig oberflächlich und naiv, aber dies ist wahrscheinlich genauso beabsichtigt.

Mobbing ist sicherlich ein aktuelles Thema. Menschen, die anders sind, werden heutzutage schnell ausgegrenzt und es gelingt Sarah Bannan sehr gut, die Gefahren und Folgen dieses Verhaltens aufzuzeigen. Ihre ungewöhnliche Erzählperspektive ist dabei Fluch und Segen zugleich, denn während man mitten drin ist, nimmt sie sich die Chance den Figuren die nötige Tiefe zu geben. Alle Charaktere verwischen im Laufe des Romans zu einer großen Masse und so fehlt es für den Leser an Möglichkeiten wirklich mit den Figuren zu leiden.

Natürlich ist Carolyns Schicksal schon schlimm genug und es gibt viele erschreckende Szenen, die einem zum Nachdenken bewegen, aber letztlich verschenkt Sarah Bannan immenses dramatisches Potenzial, welches sie für ihre zugegebenermaßen ungewöhnliche Erzählperspektive opfert.

So bleibt „Die Neue“ ein faszinierendes Experiment, mit einer aufwühlenden Geschichte, der mir persönlich aber ein bisschen die Emotionen fehlten.

Note: 2-

Moran, Caitlin: All about a girl

Originaltitel: How to build a girl
Verlag:
carl’s books
erschienen:
2015
Seiten:
384
Ausgabe:
Klappenbroschur
ISBN:
3789132187
Übersetzung:
Regina Rawlinson

Klappentext:

England 1990, die Happy Mondays sind in den Top of the Pops, Margaret Thatchers Regierungszeit neigt sich dem Ende zu, und das Land ächzt unter der Arbeitslosigkeit: Wie soll man bloß in einer Sozialsiedlung in Wolverhampton inmitten einer chaotischen Familie erwachsen werden – mit einem Vater, der seit zwanzig Jahren von einer Karriere als Rockstar träumt und einer Mutter, die, obwohl sie schon drei Kinder hat, eine erneute Schwangerschaft bis zum Geburtstermin als Magenverstimmung deutet? Reicht Johanna Morrigans Trickkiste aus schwarzem Eyeliner, Doc Martens, derben Sprüchen, einem wilden Partystil und einem immensen Wissen über angesagte Popmusik aus, um sich neu zu erfinden, endlich Sex zu haben und die Familie aus der Misere zu retten? Ein intelligenter, sprühend witziger Roman über das Erwachsenwerden, trügerische Rollenbilder und das Glück, ein Kind der Neunzigerjahre zu sein.

Rezension:

„All about a girl“ ist das zweite Buch von Caitlin Moran, die vorher mit „How to be a woman“, einem feministischen und autobiographischen Sachbuch Furore machte. Auch der nun vorliegende Roman scheint einige autiobraphische Züge zu haben, denn Caitlin stammt wie Johanna aus einer Sozialsiedlung in Wolverhampton. Zwar betont sie, dass besonders die Eltern nichts mit ihren realen Eltern zu tun haben, aber machen wir uns nichts vor, „All about a girl“ ist so entwaffnend ehrlich und eindrücklich, weil Moran genau weiß, wovon sie schreibt.

Ich bin mir sicher, nicht jeder wird mit diesem Buch etwas anfangen können. Es ist rotzfrech, so britisch wie der Big Ben und volle Kanne 90er. In der beschriebenen Zeit, war ich selbst ein Teenager und bei Erwähnungen von Bands, Top Ten Hits und Skandalen der damaligen Zeit, wird einem ganz warm ums Herz.  Zwischendurch hab ich glaube ich mal „Temple of Love“ gesummt. Ich will nicht sagen, dass jemandem der in dieser Zeit noch ein Kleinkind war, das Buch nicht gefallen kann, aber für „uns 90er Mädels“ ist es doch eine Zeitreise in die gute alte Zeit und das obwohl an Johannas Leben eigentlich vieles gar nicht so großartig ist.

Moran beschreibt die Aussichtslosigkeit einer englischen Sozialsiedlung schonungslos, aber mit Feingefühl und Witz und auch mit der nötigen Wärme. Johannas Eltern sind das absolute Looser-Ehepaar. Ihr Vater ein verkappter Musiker, der nichts auf die Reihe kriegt, die Mutter verschließt die Augen vor der Realität und merkt nicht mal, wenn sie schwanger ist. Die Kinder werden also groß in einer Umgebung voller Armut und Perspektivlosigkeit. Das alles garniert die Autorin aber mit typischem britischen Humor und vor allen Dingen mit Johannas frecher Klappe. Das Mädchen nennt alles beim Namen. Wer sich an einem 14jährigen masturbierenden Mädchen und auch ansonsten an diversen Kraftausdrücken und schonungslosen Betrachtungen stößt und das zu krass findet, dem fehlt vielleicht die Empathie sich das Leben auf dem sozialen Abstellgleis vorzustellen. Einfach mal schauen, wer auch in unserem Land mit 14 schwanger ist, keine Ausbdilung hat, etc.

Die Kunst an diesem Buch ist die Mischung an rüder und provokanter Sprache und der letztlich jedoch warmherzigen Geschichte eines Mädchens, dass seinen Platz im Leben sucht und immer wieder aufsteht und für seine Träume kämpft. Es mag nicht immer so realistisch sein, wie sich Johannas Träume erfüllen, aber es nötigt mir Respekt hat, wie sie für sich einsteht, den anscheinend für sie vorgesehenen Platz verlässt und nicht hinnimmt, dass ihr Leben genauso verlaufen wird, wie das ihrer Mutter.

Mir gefällt, dass Moran nichts beschönigt und die soziale Lage der Morrigans nicht für Klischees ausnutzt. Es ist einfach die Geschichte eines Mädchens, welche es damals (und wohl auch heute) zu tausenden gegeben hat. Den Kniff Johanna mit Dolly Wilde ein Alter Ego zu geben, finde ich ziemlich clever. Haben wir nicht gerade als Teenager alle mal davon geträumt jemand anderes zu sein? Für Johanna ist es der Weg auszubrechen. Dabei überschreitet sie jede Menge Grenzen, gerät ins Stopern, muss mit den Konsequenzen leben und geht dann weiter.

Das ist manchmal übertrieben, überbordend, anstrengend zu lesen und vulgär und doch irgendwie auf eine fragile Art und Weise berührend. „All about a girl“ ist vorlaut, bunt, leidenschaftlich und chaotisch und ich fand es wunderbar.

Das Buch ist übrigens für eine Verfilmung vorgesehen. Und für alle, die jetzt auch noch mal Bock auf die Musik von damals haben – meine Güte, Ofra Haza ist auch schon 15 Jahre tot. Wo ist die Zeit nur geblieben?!

Note: 2

Cass, Kiera: Selection – Die Kronprinzessin

Band 4 Selection Serie

Originaltitel: The Heir
Verlag:
Sauerländer
erschienen:
2015
Seiten:
400
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3737352240
Übersetzung:
Lisa-Marie Rust/Susann Friedrich

Klappentext:

Die Liebesgeschichte um America, Maxon und Aspen hat ihr Ende gefunden – aber die Geschichte der ›Selection‹ ist noch lange nicht vorbei!

Nun ist es an Maxons Tochter Eadlyn, der Kronprinzessin, sich ihren Prinzen aus 35 jungen Männern zu erwählen. Alles könnte perfekt sein, wäre da nicht ein Problem: Eadlyn hat dem Casting nur zugestimmt, um das aufgebrachte Volk mit einer glamourösen Show zu besänftigen. Und an die große Liebe glaubt sie sowieso nicht. Aber vielleicht glaubt die Liebe ja an Eadlyn!

Rezension:

Da ist er nun der vierte Band der ursprünglich als Trilogie geplanten Selection Reihe. Auf den ersten Blick hat sich nicht viel geändert. Maxon und America haben zwar die Kasten abgeschafft, aber noch immer brodelt es im Land und das Palastleben mit seinen Wachen, Zofen und Bediensteten geht seinen üblichen Gang. Das die Autorin ein erneutes Casting als Dreh- und Angelpunkt für ihre Fortsetzung vorsieht, ist Chance und Gefahr zu gleich.

Dadurch, dass nun eine Prinzessin ihren Ehemann finden soll, gibt es erstmal keine Horden von sich gegenseitig anzickenden jungen Mädchen. Dafür sind die männlichen Kandidaten noch austauschbarer wie die Mädchen aus den ersten drei Bänden. Nur einer handvoll gibt Cass im Laufe der Handlung so etwas wie ein Profil. Der Rest verschwindet in der Masse und man merkt sich nicht mal die Namen. Grundsätzlich fand ich die ganze Gruppe etwas merkwürdig geschildert. Junge Männer, die in einem Herrensalon herumsitzen und vor sich hinkichern, wenn die Prinzessin etwas sagt? Da würde mir an Eadlyns Stelle das Verlieben auch schwer fallen. Überhaupt hat es die Autorin nicht so mit ausführlichen Beschreibungen. Bis auf den Lockenkopf eines Kandidaten, kann ich keine einzige Figur in diesem Roman äußerlich beschreiben. Auch nicht Eadlyn. Es wird nicht mal erwähnt, welche Haarfarbe sie hat. Hier hätte man vielleicht die Schriftgröße mal etwas runterschrauben und ein bisschen Inhalt einfügen können, ohne die Anzahl von knapp 400 Seiten zu überschreiten.

Für Fans der vorherigen drei Bände ist „Die Kronprinzessin“ in Bezug auf Maxon und America zudem eine Enttäuschung. Natürlich sind nun knapp 20 Jahre vergangen, aber America hat absolut nichts mehr von der jungen Frau aus dem Casting. Sie wirkt auf mich eher wie eine Kopie von Maxons sanftmütiger Mutter. Beide sind zu austauschbaren Nebenfiguren geworden, was ich ziemlich ärgerlich finde. Auch das ewige Herumreiten auf Maxons graue Haare und Sorgenfalten fand ich doch etwas übertrieben. Der König ist vielleicht Mitte 40 und wird besonders gegen Ende beschrieben, wie ein alter Tattergreis. Natürlich lasten vermutlich die Sorgen und Nöte eines Volkes mehr auf einem Menschen, als ein normaler Job, aber auf der anderen Seite wird der Königsfamilie auch ziemlich viel abgenommen und sie leben ein priviligiertes Leben in Saus und Braus.

Letzteres führt mich dann auch gleich zu Eadlyn, mit der ich leider überhaupt nicht warm geworden bin. Das sie weder wie ihr Vater, noch wie ihre Mutter wirkt, finde ich tendenziell erstmal gut, denn alles von Band 1-3 nur aus einer anderen Perspektive noch mal zu lesen, wäre doch ziemlich uninteressant. So ist es durchaus löblich, dass Kiera Cass ihrer Protagonistin einen gänzlich anderen Charakter verleiht. Leider ist Eadlyn unnahbar, verwöhnt, überheblich und obwohl einige Eigenschaften erklärt werden, ist es letztlich einfach zu viel. Ich kann verstehen, dass die junge Fraue ihre Gefühle zurückhält, weil das nicht so ihr Ding ist und das es schwierig ist, sich von der Berufung der Kronprinzessin zu lösen, ebenfalls. Kein Verständnis habe ich jedoch für das wehleidige Geschwafel, dass sie ja ach so viel zu tun hat, während ihre Zofe ihr mal wieder das Badewasser einlaufen lässt und Blüten ins Wasser streut. Da ist mir doch manchmal ein sarkastisches „Liebchen, Du hasses echt schwer“ rausgerutscht.

Auf den letzten 50 Seiten nimmt der Roman dann endlich ein bisschen Fahrt auf, auch wenn ich mir nach dem wirklich guten dritten Band erhofft hätte, dass die Autorin etwas mehr auf die Rebellion und die Geschehnisse außerhalb des Palastes eingehen würde. Im Gegensatz zu Maxons Casting, bin ich mir bei Eadlyn auch nicht zu 100% sicher, für wen sie sich entscheiden wird. Kyle, der mit ihr zusammen aufgewachsen ist, scheint mir eine zu offensichtliche Wahl zu sein, auch wenn die Anziehungskraft zwischen ihnen deutlich ist. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich ja auf Henrys Übersetzer Erik tippen, der eigentlich gar kein Kandidat ist. Aber kommt Zeit, kommt Band 5, der Stand heute übrigens wirklich der Abschlussband der Serie sein soll.

Abschließend muss ich sagen, ist „Die Kronprinzessin“ für mich der schlechteste Band. Es passiert sehr wenig, die Figuren bleiben bis auf Eadlyn oberflächlich und wirken teilweise richtiggehend lieblos. Trotzdem habe ich die letzten 150 Seiten nachts bis knapp vier Uhr verschlungen. Es ist süffige Fastfood-Literatur und ich gebe ehrlich zu, ich freue mich auf den letzten Band und auf ein erneutes wunderschönes Cover.

Note: 3

St. John Mandel, Emily: Das Licht der letzten Tage

Originaltitel: Station Eleven
Verlag:
Piper
erschienen:
2015
Seiten:
416
Ausgabe:
Klappenbroschur
ISBN:
3492060226
Übersetzung:
Wibke Kuhn

Klappentext:

Niemand konnte ahnen, wie zerbrechlich unsere Welt ist. Ein Wimpernschlag, und sie ging unter. Doch selbst jetzt, während das Licht der letzten Tage langsam schwindet, geben die Überlebenden nicht auf. Sie haben nicht vergessen, wie wunderschön die Welt war. Sie vermissen all das, was einst so wundervoll und selbstverständlich war, und sie weigern sich zu akzeptieren, dass alles für immer verloren sein soll. Auf ihrem Weg werden sie von Hoffnung geleitet – und Zuversicht. Denn selbst das schwächste Licht erhellt die Dunkelheit. Immer.

Rezension:

Der Schauspieler Arthur Leander steht als König Lear auf der Bühne des Elgin Theaters in Toronto. Während der Vorstellung bricht er zusammen und stirbt an einem Herzinfarkt. Diese Szene ist der Anfang des Buches und der zeitliche Wendepunkt dieser Geschichte, denn es ist bereits ein tödlicher Grippevirus auf der ganzen Welt dabei sich rasend schnell auszubreiten.

Die Handlung teilt sich nun auf in „davor“ und „danach“. Zum einen wird Arthurs Lebensgeschichte erzählt. Er kommt als junger Mann nach Toronto mit dem Ziel Schauspieler zu werden. Wir erleben seinen Aufstieg und Ausschnitte aus seinem Privatleben bis hin zu seinem Auftritt als König Lear. Zum anderen bekommen wir Eindrücke, was sich nach seinem Tod nach Ausbruch der Pandemie ereignet.

Wir leben unser Leben in dem Gefühl zu wissen, wie unsere Zukunft aussieht. Wir arbeiten, essen, leben und schlafen und denken, dass es immer so weitergeht, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Genau darum geht es in diesem Buch.

Anhand Arthurs Leben wird gezeigt, wie trügerisch dieses Gefühl der Sicherheit ist und wie wenig planbar das Leben. Die Probleme der Vergangenheit sind belanglos angesichts der Probleme denen sich die Überlebenden gegenübersehen. Trotzdem hinterlässt er Spuren, die auch 20 Jahre später noch zu finden sind.

Viele Menschen, die in Arthurs Leben eine Rolle gespielt haben, überleben und anhand ihrer Geschichte erleben wir zum einen Arthurs Leben und dann wieder was sich nach Ausbruch der Grippe ereignet hat, was aus ihnen wurde, wie unterschiedlich ihr Leben 20 Jahre später aussieht.

Nach und nach erfahren wir, was nach Ausbruch der Grippe passiert ist und wie es den Überlebenden ergangen ist. Nur selten werden direkt Gewaltszenen beschrieben, doch die Autorin schafft es auch so, dass deutlich wird, was die Menschen erlebt haben und dass man nur überlebt hat, wenn man bereit war sich zu wehren und im Notfall auch zu töten.
Die beklemmende Atmosphäre ist jederzeit spürbar und ein Gefühl von Sicherheit kommt nur selten auf.

Alles was bisher selbstverständlich war wird nach und nach aufgebraucht, bis alle Ressourcen erschöpft sind. Essen und Wasser werden zum kostbaren Gut. Da es keinen Strom mehr gibt und das Benzin aufgebraucht ist, gibt es weder funktionierende technische Geräte, noch Medikamente und die anderen Selbstverständlichkeiten unserer Zivilisation wie z.B. Kreditkarten und Handys sind nutzlose Dinge. In dieser Zeit reist Kirsten mit der Künstlergruppe „Symphonie“ durch das Land um die vereinzelten Siedlungen mit Musik und Theater zu unterhalten. „Überleben allein ist unzureichend“ ist dabei ihr Leitspruch.

Wir erfahren nur, wie es nach der Pandemie in einem kleinen Teil von Nordamerika aussieht. Vom Rest der Welt wissen wir genauso wenig wie Kirsten und die Symphonie. Es steht jedoch die Vermutung im Raum, dass die Georgische Grippe etwa 99% der Weltbevölkerung das Leben gekostet hat.

Die Geschichte wird in einem melancholischen und epischen Schreibstil erzählt, der auch ohne das Beschreiben von Gewaltszenen den Schrecken nach Ausbruch der Grippe deutlich spürbar macht.

Besonders spannend war es für mich die Menschen aus Arthurs Leben zu entdecken, welche die Pandemie überlebt hatten. Nicht immer waren sie auf den ersten Blick erkennbar, was zum Spekulieren über ihre Identität eingeladen hat.

Dieses Buch unterscheidet sich deutlich von den Dystopien, die ich bisher gelesen habe. Zum einen beschäftigt es sich zu großen Teilen mit der Zeit vor der Pandemie, zum anderen verzichtet die Autorin fast ganz auf Action und direkte Konfrontationen.

Alles in allem habe ich das Buch gerne gelesen.

Note: 2

Condie, Ally: Atlantia

Originaltitel: Atlantia
Verlag:
FJB
erschienen:
2015
Seiten:
416
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3841421695
Übersetzung:
Stefanie Schäfer

Klappentext:

Bay, du fehlst mir so sehr, flüsterte sie in die Muschel. Aus dem Inneren tönte ein rauschender Gesang und erinnerte an eine Zeit, als Wasser und Land noch zusammengehörten. Wo auch immer an der Landoberfläche ihre Schwester nun war, sie musste sie finden – auch wenn es niemandem erlaubt war, die Stadt unter der Glaskugel zu verlassen.

In einer Welt, die in Wasser- und Landbevölkerung aufgeteilt ist, werden die Zwillingsschwestern Rio und Bay durch einen Schicksalsschlag getrennt. Bay tritt ihre Reise zur Oberfläche an. Rio bleibt in Atlantia zurück. Um ihre Schwester wiederzusehen, muss sie herausfinden, warum Wasser und Land getrennt wurden und welche wunderbare und zugleich zerstörerische Gabe die Frauen der Familie verbindet.

Rezension:

Ally Condie konnte mich schon mit ihrer Cassia & Ky Trilogie begeistern. Ich mag die unaufgeregte Schreibe der Autorin, die eher eine Verfechterin der leisen Geschichten ist. Wer eine krachende und actionlastige Dystopie erwartet, wird mit Condie nicht glücklich werden, was sich auch in den eher durchwachsenen Rezensionen von „Atlantia“ wiederspiegelt.

Mich hat „Atlantia“ allerdings glücklich gemacht. Angefangen mit einem detaillierten und farbenprächtigen Weltenbau, der so plastisch ist, dass ich ab und zu mal geschaut habe, ob es nicht oben bei mir an der Zimmerdecke durchtröpfelt. Ich finde die Vorstellung ja ziemlich gruselig, unter einer Glaskuppel zu wohnen, während über mir hunderte Meter Wasser vor sich hin plätschern. Die ganze Stadt, der Tempel und der Markt kommen einem vor wie in Technicolor, so eindrücklich und dabei gar nicht ausufernd beschreibt die Autorin ihre Vision.

Auch die Figuren haben mir allesamt sehr gut gefallen. Besonders natürlich Rio, deren Gedankenwelt, aber auch besonders ihre Gefühle nach dem Tod der Mutter und dem Weggang ihrer Schwester Bay sehr feinfühlig beschrieben werden. Sie ist auf dem ersten Blick ein eher zurückhaltendes Mädchen. Hier hat sie mich an Cassia aus Condies vorheriger Trilogie erinnert. Im Gegensatz zu vielen anderen Romanen dieses Genres mutieren Condies Heldinnen nicht innerhalb von drei Seiten zu absoluten Powerfrauen, sondern sie lernen bedächtig mit neuen Situationen umzugehen, wachsen an ihnen und beginnen für ihre Überzeugungen einzustehen. Dazu gehört Mut, aber eben auch die nötige Zeit, um sich zu entwickeln und diese gibt die Autorin ihren Figuren. Manche Leser mögen das langatmig finden. Ich empfinde es als realistisch und erfrischend anders.

Auch sprachlich überzeugt die Autorin wieder auf ganzer Linie. Sie hat eine manchmal fast poetische Art zu schreiben, die sich mit der Handlung verändert und wodurch sich ein harmonisches Ganzes ergibt. Das Geheimnis um „Atlantia“ bietet zudem jede Menge Knobelpotential und bis zum Ende gibt es immer wieder überraschende Wendungen. Figuren verhalten sich plötzlich anders als erwartet und nichts ist so, wie es scheint.

Positiv hervorheben, möchte ich, dass es sich bei „Atlantia“ tatsächlich mal um einen Einzelband handeln. Kein Warten auf irgendwelche Fortsetzungen, sondern ein bis zum Schluss gut erzählter und spannender Roman, den ich Freunden ungewöhnlicher Dystopien nur ans Herz legen kann.

Note: 1