Originaltitel: The Age of Innocence
Verlag: Manesse
erschienen: 2015
Seiten: 400
Ausgabe: Hardcover
ISBN: 3717523503
Übersetzung: Andrea Ott
Klappentext:
Geld oder Liebe, Pflicht oder Leidenschaft – der ehrgeizige New Yorker Anwalt Newland Archer muss sich entscheiden: Will er sein Leben mit May Welland teilen, einer jungen Frau aus gutem Haus und wie geschaffen für sein berufliches Fortkommen? Oder steht er zu seinen Gefühlen für Mays Cousine Ellen Olenska, die im Begriff ist, gegen alle Konventionen zu verstoßen?
Rezension:
Ich war ein Teenager (gerade mal 16), als ich Martin Scorseses Verfilmung von „Zeit der Unschuld“ sah und absolut hingerissen, von der eleganten und behutsamen Verfilmung und ihren Darstellen. Seitdem bin ich verliebt in Winona Ryder und Daniel Day Lewis. Wo sind sie nur hin, die glorreichen 90er Jahre von Winona, wo sie einen wundervollen Film nach dem anderen drehte (Betty und ihre Schwestern, Ein amerikanischer Quilt, etc.). Jedenfalls wollte ich immer das Buch lesen und als ich die Neuübersetzung der fabulösen Andrea Ott in der Manesse Verlagsvorschau sah, habe ich endlich Nägel mit Köpfen gemacht.
Müsste ich „Zeit der Unschuld“ mit einem Wort beschreiben, dann wäre es wohl „Eleganz“, denn diese umweht den Roman auf vielerlei Weise. Die gehobene New Yorker Gesellschaft scheint durch ihr Leben zu schweben. Immer gesittet, immer so wie es sich geziemt, immer kontrolliert, erhaben und wie man es von ihr erwartet. Männer und Frauen sind umgeben von einer Aura von Macht und Grazie. Eben die pure Eleganz, die sich aber auch besonders in Whartons Sprache niederschlägt.
Wie ich es schon vom Film kannte, gibt es einen auktorialen Erzähler, der alles beobachtet und beschreibt und dies manchmal mit einem fast lakonischen Ton. Wobei dies sehr unterschwellig passiert und man zwischen den Zeilen lesen muss. Es ist mehr die Sprachmelodie und die Stimmung, die zeigt, dass der Erzähler das Geschehen bloß stellt.
Es ist wohl das Drama des Romans, dass die feine New Yorker Gesellschaft sich vom europäischen Standesdünkel frei wähnt, aber eigentlich genauso in ihrer eigenen Welt voller Riten, Vorschriften und Konservatismus gefangen ist. Um in dieser Welt zu bestehen, wird alles unter dem Deckmantel der Höflichkeit getan.
Einige Figuren leben mit einer Selbstverständlichkeit in dieser Welt ohne sie zu hinterfragen oder sie als Bürde zu empfinden. Für Newland und Ellen bedeutet es hingegen etwas zu sein, was sie nicht sind und ihre Gefühle und ihr eigenes Ich zu verraten. Während Ellen sich immer ein Stück weit aus ihrer Komfortzone getraut hat, findet Newland letztlich nicht den Mut dazu.
Tatsächlich habe ich seine Verlobte May als stärkste Protagonistin empfunden. Obwohl sie auf den ersten Blick schwach wirkt, absolut vereinnahmt von den Konventionen ihrer Umwelt, ist sie es doch, die sich schließlich all dies zu nutze macht, um das zu erreichen, was sie will. Edith Whartons großer Verdienst ist es übrigens, dass man für alle Figuren Verständnis aufbringt, niemanden für sein Tun verurteilt. May mag ihren Beitrag dazu leisten, dass die Geschichte sich so entwickelt, wie sie es tut, aber doch sind es Newlands Entscheidungen, die schließlich den Ausschlag geben.
Die schmerzhafte Liebesgeschichte zwischen Newland und Ellen ist natürlich Drama pur. Ein Kaleidskop aus großen Gefühlen und unterdrückter Sexualität, die Wharton mit pointierten Dialogen spickt.
Die wunderbare Andrea Ott ist mir bereits positiv als feinfühlige Übersetzerin von Jane Austen und Charlotte Brontë aufgefallen.“Zeit der Unschuld“ ist ein weiterer Beweis für ihre hervorragende Arbeit. Auch wenn ich leider keinen Vergleich zu den früheren Übersetzungen anstellen kann.
Der Roman hat übrigens nur 363 Seiten. Der Rest sind Anmerkungen und ein ausführliches, sehr interessantes Nachwort von Paul Ingendaay. Wer sich für die großen Klassiker der amerikanischen Literatur interessiert, der kommt an diesem Meisterwerk, für den Edith Wharton als erste Frau überhaupt den Pullitzer Preis gewann, nicht vorbei.
Note: 1