Temelkuran, Ece: Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann

Originaltitel: Düğümlere Üfleyen Kadınlar
Verlag:
Atlantik
erschienen:
2014
Seiten:
400
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3455600042
Übersetzung:
Johannes Neuner

Klappentext:

On the Road im Arabischen Frühling: Vier Frauen in einem alten weißen Mercedes, unterwegs von Tunis nach Beirut: Amira, Tänzerin und Aktivistin, Maryam, Wissenschaftlerin und fromme Muslima, und die Ich-Erzählerin, eine arbeitslose Journalistin. Und dann ist da noch Madame Lilla, eine geheimnisvolle alte Dame, die die Frauen auf diese Reise ins Ungewisse eingeladen hat. Eine Hymne an die Freundschaft, ein wilder Roadtrip und eine rasante Geschichte über weibliche Selbstbehauptung.

Rezension:

Dieses Buch ist kein Buch für „ich les das mal eben zwischen kochen und staubsaugen oder ein paar Minütchen in der Mittagspause“. Dieses Buch ist Arbeit, aber der schönsten Sorte! Mich hat ehrlich gesagt der Titel sofort angesprochen und er ist genauso ungewöhnlich wie der Roman. Unwillkürliche Szenensprünge machen es anfangs schwer richtig tief in das Geschehen einzutauuchen, aber ich habe aufgrund der wunderschönen Sprache einfach weitergelesen und plötzlich ergab alles einen Sinn. Es störte mich nicht mehr und mein Lesefluss wurde nicht unterbrochen. Es war mehr so, als würde ich manchmal über eine kleine Unebenheit drüber hüpfen, so wie der alte weiße Mercedes auf seiner Reise von Tunis nach Beirut.

Ich weiß ja nicht, ob Araberinnen sich das bei Scheherazade abschauen, aber beiden hatten es hinbekommen, ihre Erzählung ausgerechnet dann zu unterbrechen, als es spannend wurde. (S.17)

Temelkuran skizziert fein die verschiedenen Charaktere der Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber trotzdem viel gemeinsam haben. Alle tragen Wünsche, Hoffnungen und Verletzungen mit sich herum und sind auf der Suche nach einem Platz im Leben. Vielleicht wirkt es auf den ersten Blick etwas merkwürdig, dass sich diese Frauen, obwohl sie sich kaum kennen auf eine Reise mit der mysteriösen Madame Lilla einlassen. Aber trotz aller Ängste, blitzt in den Frauen doch der Drang nach Abenteuer auf und die überbordende Lebenslust des Romans ist einfach ansteckend.

Über außenpolitische Themen nachzudenken, ist denke ich in Bezug auf die Unbeständigkeit der aktuellen Weltlage für jeden mündigen Bürger eine Pflicht, dennoch ist „Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann“ mein erster Berührungspunkt mit dem arabischen Frühling, über den ich ehrlich gesagt vorher nicht mehr wusste, als das, was in den Nachrichten berichtet wurde. Noch immer beschäftigen wir Europäer uns viel zu wenig mit der Politik, aber auch dem Leben in den arabischen Staaten.

Für mich bekam das Geschehen durch die persönliche Bindung zu den Hauptfiguren einen ganz anderen Dreh. Allerdings sei hier auch gleich gesagt, dass das Buch nicht übermäßig politisch ist und der arabische Frühling nur eine Randnotiz bleibt. Vielmehr geht es darum, was diese Ereignisse für Amira, Maryam und Co. bedeuten. Welche Auswirkungen hat das auf ihr Leben.

Es gibt da draußen jede Menge Romane über Frauen, die ihren Platz im Leben suchen und von Selbstverwirklichung träumen. Doch es ist ein großer Unterschied, die Geschichte dann in einer immer noch von Männern dominierten Welt spielen zu lassen. Der Wunsch nach Selbstbestimmung bekommt ein ganz anderes Gewicht.

Dennoch werden auch wir Europäer uns in diesem wunderschönen Debütroman wiederfinden, denn Freiheit finden zunächst einmal im eigenen Kopf statt und von diesem mutigen Plädoyer für Freundschaft können auch wir noch jede Menge lernen! Für Leser, die eine wunderbar komponierte Sprache zu schätzen wissen, ist Ece Temelkurans Roman ohnehin Pflichtlektüre.

Note: 2+

Lesetagebuch #2 – Verliebt in Lilly Lindner

Lilly Lindner und Ece Temelkuran

Nun – eigentlich ist das Foto ein bisschen geflunkert. Also ein kleines bisschen. Ein ganz ganz kleines bisschen. Ach scheiß drauf! Es ist die größte Lüge seit Maradonas irregulärem Tor  mit der „Hand Gottes“.  (95% der weiblichen Leser googlen nun, was das ist :mrgreen: ).

Eigentlich lese ich nämlich noch:
Kiera Cass: The Selection
Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks
Sylvia Day: Hingabe
Waltraut Levin: Der Wind trägt die Worte – Geschichte und Geschichten der Juden (Langzeitprojekt – zwei Bände mit jeweils ca. 800 Seiten)

„Hingabe“ (der vierte Crossfire Band) liegt allerdings schon seit Ende November brach und fängt sozusagen schon an vor sich hin zu müffeln. Ich habe die ersten drei Bände wirklich gerne gelesen, aber der vierte Band ist einfach nur doof. Keine Ahnung, ob ich den noch zu Ende lese.

Momentan aber auf der Prioritätenliste ganz oben, sind die beiden Bücher auf dem Foto. Einmal „Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann“ von Ece Temelkuran aus dem Atlantik Verlag und „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ von Lilly Lindner. Das Schöne ist – beide Bücher haben überhaupt nichts gemein, aber beide sind auf ihre Art und Weise ganz besondere Bücher.

Die türkische Autorin Ece Temelkuran überzeugt mich sehr mit ihrem Roman. Ich bin zwar noch nicht ganz so weit, weil sich der Roman nicht mal eben so weglesen lässt und es zwischendurch komische Szenensprünge gibt, an die man sich mal erstmal gewöhnen muss, aber die Handlung ist sehr interessant und Temelkuran streut so wunderschön gebaute Sätze ein, geschmückt mit außergewöhnlichen Metaphern, dass man am liebsten mit dem Textmarker durch die Seiten pflügen will. Mache ich natürlich nicht. Dafür hilft mir meine Moses Haftmarker-Rolle, die meiner momentanen Lektüre folgt wie der Hund dem Herrchen. Aus meinem Buch hängen überall kleine Papierschnipsel.

Noch schlimmer geht es mir mit Lilly Lindners neuem Roman „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“, den ich gerade in einer Leserunde bei LovelyBooks lese. Die Community veranstaltet dieses Jahr eine Jahreschallenge mit den S.Fischer Verlagen und ich habe mir vorgenommen, da mal mitzumachen. Das Buch für den ersten Monat klang nach der Leseprobe wirklich gut, aber trotzdem bin ich mit wenig Erwartungen an das Buch gegangen. Ich wusste, dass Lindner mit ihrem Erstling „Splitterfasernackt“, in dem sie ihre eigene Vergangenheit verarbeitet hat, einen großen Erfolg hatte, aber irgendwie hatte ich die Autorin trotzdem nie auf dem Schirm. Und nun sitze ich hier und frage mich, wie mir das passieren konnte.

Der Roman ist in einem Wort „unbeschreiblich unfassbar wundebar“ (wer behauptet dass ich zählen kann… ). Es geht um eine vierköpfige Familie, in der die ältere Tochter aufgrund einer Magersucht im Krankenhaus ist. Weit weg von ihrer Familie. Phoebe, die kleinere Schwester, deren Alter nie genannt wird, aber die ich nach knapp der Hälfte des Buches auf ca. 10 Jahre schätzen würde, schreibt ihrer Schwester April Briefe und diese Briefe bilden im Prinzip den Roman. Und dieses wundervolle altkluge und warmherzige Mädchen hat sich tief in mein Herz vergraben und Lindners Schreibe gleich mit.

Ich kann dem glaube ich mit meinen Worten gar nicht gerecht werden, aber die Autorin verfasst Sätze, die mich innehalten und aufseufzen lassen und die mich schon das ein oder andere Mal tief berührt haben und die tatsächlich, was ich in der Form noch niemals bei einer Autorin hatte, irgendetwas in mir bewegen. Sehr literarisch, poetisch und verspielt, dabei aber klar und leicht zu verstehen. Wunderschöne Bilder und Wortspiele, die ich noch nie gelesen habe. Auf Seite 55 bin ich beim Lesen aufgesprungen und an den PC gestürzt, um meine Gedanken in der Leserunde sofort aufzuschreiben.

Leider habe ich die vage Vermutung, dass Lindner mir im Laufe des Romans das Herz brechen wird. Das kann doch alles fast nicht gut ausgehen.