Blondel, Jean-Philippe: Direkter Zugang zum Strand

Originaltitel: Accès direct à la plage
Verlag:
Piper
erschienen:
2015
Seiten:
160
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3492056997
Übersetzung:
Monika Buchgeister

Klappentext:

Jean-Philippe Blondel avancierte mit seinem Roman „6 Uhr 41“ rasch zum Publikumsliebling. „Direkter Zugang zum Strand“ ist ebenso lebensklug und amüsant. Während man von ersten Lieben, schmerzhaften Trennungen, Überraschungen und unverhofftem Glück liest, spürt man die Sonne im Gesicht am breiten Strand der französischen Atlantikküste. Die französische Atlantikküste, salzige Luft, weiter blauer Himmel: Der kleine Philippe Avril sehnt sich danach, einen Tag im Mickey Mouse Club verbringen zu dürfen, und findet fast einen neuen Freund. Der 18-jährige Jean-Michel träumt sich am Strand weit weg, bis in die noblen Landhäuser auf der anderen Seite des Atlantiks. Und Henri hat vor Kurzem seine Frau verloren, der »Tapetenwechsel« am Meer war die Idee seiner Kinder. Nun sitzt er verlassen im Sand und weiß nichts mit sich anzufangen. Danielle geht als Natacha auf Männerjagd und macht von sich reden. Doch die bösen Zungen wissen nicht, wovon sich Danielle in Wahrheit abzulenken versucht. Zufällige Begegnungen, verpasste Gelegenheiten, unbedachte Geständnisse und kleine Geheimnisse stellen die Weichen für große Veränderungen. Klug und nachdenklich erzählt Jean-Philippe Blondel von sonnigen Tagen am Atlantik und hat dabei das ganze Leben im Sinn.

Rezension:

Das Buch ist in vier Abschnitte aufgeteilt, die jeweils in einer anderen Stadt am Meer in Frankreich spielen. Zwischen den Abschnitten liegen jeweils 10 Jahre, beginnend im Jahr 1972 mit der Geschichte des kleinen Philippe Avril, der den Urlaub wie jedes Jahr mit seinen Eltern am Meer verbringt. Er wäre so gerne auch im Mickey Mouse Club, wo die anderen Kinder scheinbar so viel Spaß haben, doch er muss sich alleine am Strand beschäftigen, während seine Eltern unter dem Sonnenschirm liegen. Zeitgleich schlendert die schöne Danielle am gleichen Strand entlang um unter dem Namen Natascha auf Männerjagd zu gehen, damit sie ihren Schmerz vergisst …

In jedem Zeitfenster gibt es fünf Kurzgeschichten, die jeweils von einer anderen Person handeln, die sich gerade an einem der Urlaubsorte befindet. Es sind immer nur Momentaufnahmen, die einen Blick hinter die Fassade gewähren und oft erschreckend wahr sind. Der Autor schildert seine genauen Beobachtungen und schafft es, dass der Leser sich in die Situationen und das Kaleidoskop der Gefühle hineinversetzen kann, egal ob es um Enttäuschung, Liebe, Träume, Ignoranz oder Gleichgültigkeit geht. Und so ist das Buch mal beschwingt und leicht und dann wieder traurig und fast schmerzlich.

Ein besonderes Kunststück ist dem Autor gelungen, indem er die Personen alle miteinander verknüpft. Auf die ein oder andere Weise sind sie alle jemandem aus den vorangegangenen Kapiteln begegnet, manchmal ohne dass es ihnen bewusst ist.  So ist z.B. Danielle/Natascha eine Bekannte von Philippes Mutter und eine weitere Geschichte handelt von einem der Männer, der zu ihren Eroberungen gehört.  Nicht immer sind diese Querverbindungen offensichtlich und es war stellenweise eine Herausforderung die einzelnen Puzzlestücke zusammenzusetzen. Am Ende des Buches gibt es vier Schriftstücke die einen Einblick in die Zukunft einzelner Beteiligter gewähren.

Fazit: Ein bunter Strauß aus Lebenseindrücken, der mir ein kurzweiliges Leseerlebnis beschert hat.

Note: 2

Temelkuran, Ece: Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann

Originaltitel: Düğümlere Üfleyen Kadınlar
Verlag:
Atlantik
erschienen:
2014
Seiten:
400
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3455600042
Übersetzung:
Johannes Neuner

Klappentext:

On the Road im Arabischen Frühling: Vier Frauen in einem alten weißen Mercedes, unterwegs von Tunis nach Beirut: Amira, Tänzerin und Aktivistin, Maryam, Wissenschaftlerin und fromme Muslima, und die Ich-Erzählerin, eine arbeitslose Journalistin. Und dann ist da noch Madame Lilla, eine geheimnisvolle alte Dame, die die Frauen auf diese Reise ins Ungewisse eingeladen hat. Eine Hymne an die Freundschaft, ein wilder Roadtrip und eine rasante Geschichte über weibliche Selbstbehauptung.

Rezension:

Dieses Buch ist kein Buch für „ich les das mal eben zwischen kochen und staubsaugen oder ein paar Minütchen in der Mittagspause“. Dieses Buch ist Arbeit, aber der schönsten Sorte! Mich hat ehrlich gesagt der Titel sofort angesprochen und er ist genauso ungewöhnlich wie der Roman. Unwillkürliche Szenensprünge machen es anfangs schwer richtig tief in das Geschehen einzutauuchen, aber ich habe aufgrund der wunderschönen Sprache einfach weitergelesen und plötzlich ergab alles einen Sinn. Es störte mich nicht mehr und mein Lesefluss wurde nicht unterbrochen. Es war mehr so, als würde ich manchmal über eine kleine Unebenheit drüber hüpfen, so wie der alte weiße Mercedes auf seiner Reise von Tunis nach Beirut.

Ich weiß ja nicht, ob Araberinnen sich das bei Scheherazade abschauen, aber beiden hatten es hinbekommen, ihre Erzählung ausgerechnet dann zu unterbrechen, als es spannend wurde. (S.17)

Temelkuran skizziert fein die verschiedenen Charaktere der Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber trotzdem viel gemeinsam haben. Alle tragen Wünsche, Hoffnungen und Verletzungen mit sich herum und sind auf der Suche nach einem Platz im Leben. Vielleicht wirkt es auf den ersten Blick etwas merkwürdig, dass sich diese Frauen, obwohl sie sich kaum kennen auf eine Reise mit der mysteriösen Madame Lilla einlassen. Aber trotz aller Ängste, blitzt in den Frauen doch der Drang nach Abenteuer auf und die überbordende Lebenslust des Romans ist einfach ansteckend.

Über außenpolitische Themen nachzudenken, ist denke ich in Bezug auf die Unbeständigkeit der aktuellen Weltlage für jeden mündigen Bürger eine Pflicht, dennoch ist „Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann“ mein erster Berührungspunkt mit dem arabischen Frühling, über den ich ehrlich gesagt vorher nicht mehr wusste, als das, was in den Nachrichten berichtet wurde. Noch immer beschäftigen wir Europäer uns viel zu wenig mit der Politik, aber auch dem Leben in den arabischen Staaten.

Für mich bekam das Geschehen durch die persönliche Bindung zu den Hauptfiguren einen ganz anderen Dreh. Allerdings sei hier auch gleich gesagt, dass das Buch nicht übermäßig politisch ist und der arabische Frühling nur eine Randnotiz bleibt. Vielmehr geht es darum, was diese Ereignisse für Amira, Maryam und Co. bedeuten. Welche Auswirkungen hat das auf ihr Leben.

Es gibt da draußen jede Menge Romane über Frauen, die ihren Platz im Leben suchen und von Selbstverwirklichung träumen. Doch es ist ein großer Unterschied, die Geschichte dann in einer immer noch von Männern dominierten Welt spielen zu lassen. Der Wunsch nach Selbstbestimmung bekommt ein ganz anderes Gewicht.

Dennoch werden auch wir Europäer uns in diesem wunderschönen Debütroman wiederfinden, denn Freiheit finden zunächst einmal im eigenen Kopf statt und von diesem mutigen Plädoyer für Freundschaft können auch wir noch jede Menge lernen! Für Leser, die eine wunderbar komponierte Sprache zu schätzen wissen, ist Ece Temelkurans Roman ohnehin Pflichtlektüre.

Note: 2+

Lindner, Lilly: Was fehlt, wenn ich verschwunden bin

Lilly Lindner Was fehlt, wenn ich verschwunden bin Cover Verlag: Fischer
erschienen:
2015
Seiten:
400
Ausgabe:
Taschenbuch
ISBN:
9783733500931

Klappentext:

April ist fort. Seit Wochen kämpft sie in einer Klinik gegen ihre Magersucht an. Und seit Wochen antwortet sie nicht auf die Briefe, die ihre Schwester Phoebe ihr schreibt. Wann wird April endlich wieder nach Hause kommen? Warum antwortet sie ihr nicht? Phoebe hat tausend Fragen. Doch ihre Eltern schweigen hilflos und geben Phoebe keine Möglichkeit, zu begreifen, was ihrer Schwester fehlt. Aber sie versteht, wie unendlich traurig April ist. Und so schreibt sie ihr Briefe. Wort für Wort in die Stille hinein, die April hinterlassen hat.

Rezension:

Ich entschuldige mich schon einmal vorab, für diese wahrscheinlich ausufernde Rezension, aber das liegt an Phoebe und an April und an Lilly, die mich so tief berührt haben und mir viele neue Worte für Dinge gezeigt haben, von denen ich dachte, es gäbe gar keine anderen Worte dafür.

Das Buch kann man auch für sich sehen, aber es ist durchaus hilfreich, sich vorher kurz mit der Autorin zu beschäftigen. Lilly Lindner veröffentliche 2011 mit Mitte 20 ihre Autobiographie „Splitterfasernackt“, in der sie davon erzählt, wie sie als Kind sexuell missbraucht wurde. Lindner wurde magersüchtig und verkaufte sich später als Prostituierte. Das Buch war ein großer Bestseller. Nicht nur wegen des grausamen Schicksals der Autorin, sondern besonders wegen ihres literarischen Talentes, auf das ich später noch eingehen werde. Ich habe ihr Buch damals nicht gelesen, weil ich normalerweise keine Erfahrungsbücher lese, von daher ging ich vollkommen unbedarft an ihr erstes Jugendbuch heran. Nur um gestern abend nach Beenden des Romans alle ihre bisherigen Bücher zu bestellen.

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist keine leichte Lektüre. Das Thema ist traurig und es erschüttert einen um so mehr, weil Phoebe und April einem so nah sind, wie wirkliche Geschwister und weil Lilly Lindner eine Sprache hat, der man sich nicht entziehen kann. Eine Sprache, die einen lehrt, das Worte nicht einfach nur Worte sind, sondern das man sie neu verbinden kann. Immer wieder überraschen die Protagonisten mit Gedanken und Gefühlen, die noch nie jemand auf dieser Welt mit diesen Worten ausgesprochen hat und ich habe mich auf jeder Seite gefragt, wieso hat das noch nie jemand so ausgesprochen? Wieso denken nicht mehr Menschen so? Wieso findet Lilly Worte für meine Gedanken, obwohl sie sie gar nicht kennt?

Nach fünfzig Seiten habe ich aufgehört mir wunderschöne Sätze zu markieren, weil es eigentlich auf jeder Seite eine handvoll davon gab und mein Buch mittlerweile wie eine explodierte „Bibliothek der schönen Worte“ aussah.

„Ich glaube, es gibt bei Erwachsenen immer wieder Momente, in denen sie sich fragen, warum sie all die Dinge tun, die sie tun. Und dann überlegen sie ganz heftig, was sie stattdessen machen könnten. Sie kriegen Migräne. Sie nehmen Tabletten. Und am Ende machen sie dann doch das Gleiche, was sie auch schon vor dem Nachdenken getan haben. Aber wenn man vor dem Denken das Gleiche weiß wie nach dem Denken, dann ist man entweder nicht sehr klug, oder man hat unvollständig gedacht, oder in die falsche Richtung. Bei Frau Sener ist es besonders schlimm. Sie ist erst vierzig, aber sie sieht aus, als wäre sie schon neunundneunzig – das ist das Alter, das auf Brettspielen als obere Begrenzung angegeben ist. Danach ist man zu alt für Spiele, dann beginnt der Ernst des Leben.“ (S.55.)

Ich möchte vorweg nehmen, dass es in diesem Buch nicht wirklich um Magersucht geht. Die Magersucht ist ein Symptom und wird übrigens auch kaum beschrieben. Es geht viel mehr um die innere Welt von zwei Kindern, die so außergewöhnlich sind, dass ihre Eltern 24 Stunden am Tag mit ihnen überfordert sind. Es geht darum, wie Phoebe mit dem Schmerz umgeht, weil ihre Schwester monatelang fern von ihr in einem Krankenhaus lebt und um ihr Leben kämpft, während Phoebe keine Nachricht bekommt und ganz allein mit einem erstarrten Elternpaar leben muss. Es geht darum, wie April alleine mit ihren Gedanken und ihrem Schweigen in einem Krankenhausbett liegt und außer Worten, die sie für Phoebe in Briefen niederlegt, nichts mehr zu haben scheint, um diese Stille zu durchbrechen.

Ich mag eigentlich keine Briefromane, aber ich glaube ohne dieses Stilmittel hätte „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ nicht diese emotionale und literarische Wucht. Interessant ist so zudem, wie unterschiedlich die beiden Schwestern z.B. die Beziehung zu den Eltern sehen. Berührend ist es aber vor allen Dingen, wie sehr die beiden sich lieben und wie sehr sie einander brauchen. Die neunjährige Phoebe mag den meisten Leser wohl näher sein. Sie ist wie ein kleiner Kobold mit ihrem nie stillstehenden Plappermäulchen und den wie April es ausdrückt „butterkecksblonden“ Haaren. Sie trägt ihr Herz und ihren Verstand auf der Zunge und lässt sich nicht verbiegen, auch wenn ihre Eltern sie meistens nur fragend anschauen, weil sie mal wieder etwas gesagt hat, was neunjährige Kinder eigentlich nicht sagen. Tatsächlich sagt sie viele Dinge, die nicht mal Erwachsene sagen, weil diese sich längst an die gängige Norm angeglichen haben.

Ich habe das Buch in einer Leserunde bei lovelybooks gelesen und es gab dort auch einen Fragetag, wo die Autorin uns Rede und Anwort stand. Danach hatte das Buch für mich ehrlich gesagt noch eine andere Kraft als vorher, denn tatsächlich sind Phoebe und April wohl eins. Sie sind Lilly. Sie sind die beiden Wege, die Lilly Lindner hätte einschlagen können, wenn das Leben für sie anders gelaufen wäre. Sowohl im Positiven, als auch im Negativen.

Für mich ist der Roman allerdings auch ein Zeichen für ein besseres Miteinander. Mehr aufeinander achtgeben, mehr hinschauen, mehr hinhören, auch wenn eigentlich das Gegenüber gar nichts sagt. Ja, es ist wohl auch eiin Plädoyer andere Menschen so sein lassen zu dürfen, wie sie sind. Wenn ein Kind anders ist, dann ist es anders. Wenn es über die Maßen talentiert und intelligent ist, dann möchte es vielleicht nicht wie die anderen auf dem Spielplatz Ball spielen oder später Partys feiern. Deswegen sind diese Menschen nicht weniger normal, als die anderen.

Aber vielleicht gibt es ja auch gar keine hochbegabten Menschen, sondern nur ziemlich viele tiefbegabte.(S. 304).

Tatsächlich hat Lilly Lindner ein bisschen in mir das selbstbewusste Pflänzchen genährt. Ich bin vielleicht anders, aber wer hat mir eigentlich gesagt, dass ich nicht wunderbar bin? Ich glaube nicht viele Bücher können so berühren, vielleicht sogar etwas tief in einem selbst verändern. Ich bin 37 Jahre alt und ich habe sicherlich weit über tausend Bücher in meinem Leben gelesen, aber dies ist Stand heute mein absolutes Lieblingsbuch und Lilly Lindner ist für mich eine wahre Heldin. Eine Wort-Heldin!

Note: 1 (mit ganz vielen Extra-Sternchen)

Cuneo, Anne: Zaïda

Originaltitel: Zaïda : Fragments d’une vie
Verlag:
Insel
erschienen:
2014
Seiten:
414
Ausgabe:
Taschenbuch
ISBN:
345836059X
Übersetzung:
Erich Liebi

Klappentext:

Zaïda de Vico ist eine außerordentliche Frau. Schön, abenteuerlustig, mutig, selbstbewusst, emanzipiert. 1859 in eine englische Adelsfamilie geboren, verstößt sie schon als junges Mädchen gegen alle Konventionen. Eine frühe Liebesheirat hält sie nicht davon ab, in Zürich Medizin zu studieren und ihren Beruf später in Florenz und Mailand mit großem Engagement auszuüben. Da ist sie bereits mit ihrem zweiten Mann und Vater ihrer zwei Söhne verheiratet. Mit ihrem dritten Mann – wie sie in der Resistenza gegen den Faschismus – flüchtet sie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs nach Zürich, wo die beiden sich zu Psychoanalytikern ausbilden lassen, in der Überzeugung, sich damit für eine bessere Welt einzusetzen. Ein pralles Leben lang liebt Zaida, leidenschaftlich und bedingungslos: Ihre Männer, ihre Söhne, ihren Beruf, die Menschen. Am Ende ihres Lebens, über hundert Jahre alt, schreibt sie ihre Geschichte auf. Eine Hymne an das Leben und an die Liebe.

Rezension:

Wenn ich Verlagsvorschauen studiere und ein Buch von einem französischen Autor sehe, blättere ich meist weiter. Ich stehe einfach mit ihnen auf Kriegsfuß. So war es ein großes Glück sowohl für die Autorin Anne Cuneo, als auch für mich, dass mir erst während des Lesens von „Zaïda“ auffiel, dass es sich um eine französische Autorin handelt. Mir wäre wohl ein wunderbares Buch entgangen.

Bereits nach wenigen Seiten hatte mich Cuneos wunderbarer Schreibstil gefangen genommen, obwohl ich eigentlich vom Prolog ein bisschen überfordert wurde. Namen über Namen und Verwandtschaftsverhältnisse bis zur gefühlten Steinzeit, machen den Einstieg nicht gerade leicht, aber ich beschloss einfach weiter zu lesen. Glücklicherweise entwirrt sich dann alles ganz schnell, denn der Roman macht einen Sprung in die Vergangenheit und beginnt mit Zaïdas behüteter Jugend.

Von der ersten Sekunde an, habe ich mich in die warmherzige und ungezwungene Protagonistin verliebt. Obwohl reich und adelig, ist sie frei von jeglicher Arroganz, dafür aber gesegnet mit einem ausgeprägten Willen nach Freiheit, Selbstbestimmung und Mitgefühl. Cuneo hält sich auch nicht lange mit Geplänkel auf, sondern lässt Zaïda höchst ungebührlich in eine heftige Verliebtheit stürzen, die nach wenigen Tagen in eine Ehe mündet. Tatsächlich lieben sich Zaïda und ihr Ehemann Basil auf so verzehrende Weise, dass ich bei jedem Liebesroman genervt aufgestöhnt hätte. Kitschig und unrealistisch würde ich es im Normalfall finden, aber hier zeigt sich wohl der Unterschied zwischen reiner Unterhaltung und anspruchsvoller Literatur.

Irgendwie schafft es Cuneo das Paar so lebendig und real zu zeichnen, dass nichts an ihren Gefühlen überbordend und künstlich wirkt. Sie sind einfach zwei Menschen, die anscheinend zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren und die sich auf unvergleichliche Art und Weise ergänzen. Fast atemlos folgt man von da an Zaïdas Leben voller Liebe, Drama, Glück, Trauer und Freude. Eingebettet ist das Geschehen dabei in die Weltgeschichte mehrerer Jahrzehnte, die die Protagonistin manchmal mehr, manchmal weniger betreffen und deswegen verschieden stark Einfluss auf die Handlung nehmen.

Manchmal hätte ich mir noch mehr Detail gewünscht. Zum Beispiel wenn es um Zaïdas Ausbildung zur Ärztin geht. So wirkt es trotz der Zeit, in der sie gelebt hat und in der es fast unmöglich war als Frau Medizin zu studieren, doch irgendwie gar nicht so schwer. Aber das ist erstens Jammern auf ganz hohem Niveau und zweitens liegt es wohl in der Natur der Sache einer wenn auch fiktiven Autobiographie, dass die entsprechende Person selektiert und vermeintlich Unwichtiges für sich selbst weglässt.

Für Leser, die einen gut geschriebenen Schmöker zu schätzen wissen, ist „Zaïda“ sicherlich ein absoluter Geheimtipp!

Note: 1-

Bennett, Alan: Cosi fan tutte

Originaltitel: The clothes they stood up
Verlag:
Wagenbach
erschienen:
2003
Seiten:
120
Ausgabe:
Hardcover
ISBN:
3803112133
Übersetzung:
Brigitte Heinrich

Klappentext:

Mit knochentrockenem britischen Humor erzählt Bennett die Geschichte eines englischen Middleclass-Ehepaars, das vom Opernbesuch nach Hause kommt und seine Wohnung vollkommen leer vorfindet. Mit dem Verlust der Einrichtung aus zweiunddreißig Ehejahren tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf … Mozart spielte in ihrer Ehe eine wichtige Rolle. Sie hatten keine Kinder, und ohne Mozart hätten sie sich wahrscheinlich schon vor Jahren getrennt. An jenem Abend waren die Ransomes in Cos fan tutte, und als sie nach Hause kommen, ist ihre Wohnung komplett ausgeräumt. Auf der Suche nach dem Nötigsten für den Alltag – Tassen, Teebeutel, Spülmittel, Sieb und eine ochsenblutfarbene Schuhcreme für ihren Mann – gerät Mrs. Ransome in Läden und Gegenden, die sie vorher nie aufgesucht hätte. Eine merkwürdige Abenteuerlust und Lebensfreude bemächtigt sich ihrer, und am Ende ist für die Ransomes nichts mehr so, wie es einmal war.

Rezension:

Ein wunderbares kleines Buch und zwar in vielerlei Hinsicht. Erstmal vom Äußerlichen. Bei „Cosi fan tutte“ handelt es sich um ein schmales in rotem Leinen gebundenes Bändchen aus dem Wagenbach Verlag. Wenn man das in die Hand nimmt, merkt man es – das ist noch wirkliche Verlagskunst, wie man sie selten findet.

Aber auch innen stimmt alles. Die Geschichte ist ein kleines Kleinod mit dem für die Briten so typischen Humor. Alleine die Grundidee in diesem Buch ist einfach wahnwitzig gut. Ein völlig konservatives Ehepaar kommt nach einem Konzertbesuch nach Hause und es ist wirklich alles weg. Sogar das Klopapier. Man stelle sich das einmal vor! Doch während Mr Ransom die Situation grauenhaft findet, beginnt Mrs Ransom sich zu arangieren und ihr Leben neu zu gestalten. Das Ganze ist gespickt mit wunderbarem trockenen britischen Humor, dazu skurile Charaktere und wirklich köstliche Dialoge.

Note: 1